Die Türkei ist in den Wahlkampf gestartet, und dies mit solchem Elan, dass man glauben möchte, es handle sich um ein normales Land. Kandidaten halten Kundgebungen ab und reisen ungehindert von Stadt zu Stadt. Oppositionsanhänger versammeln sich täglich zu Tausenden auf öffentlichen Plätzen. TV-Talkshows diskutieren Wahlprogramme, Reporter besuchen Wähler an ihren Arbeitsplätzen. Selbst der Staatschef macht sich gemein und tritt vors Volk, um Stimmen zu erbitten. Doch so funktioniert Tayyip Erdoğans Demokratie. Sie ist für den Wahltag gemacht. Und nur für diesen.

Der Pluralismus ist Realität und Fassade in der Türkei. Auch bald zwei Jahre Ausnahmezustand und die autoritäre, die bürgerlichen Freiheiten abschnürende Herrschaft des Präsidenten Erdoğan haben die Türken nicht kleinkriegen können. Zugleich aber ist die eigene Meinung ein krimineller Tatbestand geworden. Ein Tweet, eine Zeitungskolumne, ein Stück Leintuch, das sechs Menschen auf der Straße halten und auf dem "Tamam" steht – "genug" für Erdoğans Regierungszeit –, ist im Handumdrehen ein Fall für die Justiz. Ein Kandidat, Selahattin Demirtaş, sitzt ohnehin im Gefängnis.

Ergebnis muss Sieg sein

Die Spielregeln mögen gleich für alle erscheinen. In Wirklichkeit nutzt die politische Führung nicht nur den Staatsapparat und ihre Kontrolle über die Medien für den Wahlkampf. Sie hat auch das Wahlgesetz so abgeändert, dass es ihr – wenn nötig – zum Vorteil gereicht. Denn das Ergebnis der vorgezogenen Präsidenten- und Parlamentswahl am 24. Juni muss der neuerliche Sieg von Tayyip Erdoğgan und dessen konservativ-islamischer AKP sein. Machtverlust ist nicht vorgesehen.

Die Zukunft der Türkei ist gleichwohl offen. Mit der Wahl in vier Wochen wechselt das politische System von einer rechtlich noch parlamentarischen Demokratie zu einem Präsidialregime, ohne dass klar wäre, wie Parlament und Präsidentenpalast tatsächlich im Einzelnen weiterarbeiten. Die Macht im Staat, auch wenn Erdoğan sie in der Hand hält, wird neu organisiert.

Und was, wenn Erdoğan verliert? Nicht die Präsidentenwahl, aber doch die absolute Mehrheit im neuen, größeren Parlament? Kann sich die Opposition dann behaupten und Erdoğans autoritäre Herrschaft eindämmen? Oder setzt Erdoğan dann gleich wieder Neuwahlen an? Noch mehr Unwägbarkeiten.

Investoren zweifeln

Die Finanzmärkte reagieren längst auf diese türkischen Fragen. Billiges ausländisches Kapital fließt nicht mehr wie früher in Schwellenländer wie die Türkei. Trotz robusten Wachstums zweifeln Investoren an den finanziellen und politischen Rahmenbedingungen des Landes. Die Lira stürzt deshalb ab, die Inflation ist spürbar hoch für jeden in der Türkei, Unternehmer mit Dollar-Verbindlichkeiten bekommen Probleme.

Erdogan macht für die Währungskrise Ränkespiele ausländischer Mächte verantwortlich. Das wird gern geglaubt. Auf die Verschwörungssucht in der Türkei ist immer Verlass.

Es muss aber nicht beim Reden auf Großkundgebungen bleiben. Der türkische Staatschef könnte, so steht zu fürchten, auch die Armee in Marsch setzen, wenn er vor oder nach der Wahl politisch unter Druck gerät. Eine Ausweitung des Kriegs im Nordirak gegen die PKK oder gegen die Kurden in Syrien ist denkbar. Und Taten gegen die USA und Israel fordern auch Erdogans Herausforderer bei der Wahl. (Markus Bernath, 27.5.2018)