Die Trophäe für den Turniersieg in Lyon nimmt Dominic Thiem keiner mehr. Der zehnte Titel des Niederösterreichers war ideal zur Einstimmung auf die French Open.

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Paris – So euphorisch hört man Günter Bresnik selten. "Das war in Ordnung", sagt der Trainer von Dominic Thiem. Der topgesetzte Niederösterreicher hatte am Samstag in Lyon mit seinem 200. Einzelsieg sein zehntes ATP-Turnier gewonnen. Und dies mit Stil. Der 24-Jährige bezwang den Franzosen Gilles Simon nach einem 2:4-Rückstand im zweiten Satz noch mit 3:6, 7:6 (1), 6:1. Ein Kraftakt in knapp zweieinhalb Stunden.

Die Korken muss Thiem allerdings ein anderes Mal knallen lassen. Der Champion stemmte die Trophäe, posierte für ein Abschiedsfoto mit den Ballkindern, nahm ein Taschengeld von 89.435 Euro entgegen und setzte sich in den Zug Richtung Paris. Die erste Trainingseinheit auf der Anlage von Roland Garros stand am Sonntag bereits am frühen Nachmittag auf Court 14 auf dem Programm, Thiem spielte sich mit dem US-Amerikaner Sam Querrey warm.

Zunächst drosch man sich Auf- und Rückschläge um die Ohren, anschließend wurde bei strahlendem Sonnenschein zwanzig Minuten unter Matchbedingungen trainiert. "Ich fühle mich mental und körperlich in Topform", sagt der Österreicher in der anschließenden Pressekonferenz.

Siege nicht gegen "Blinde"

In den vergangenen zwei Jahren hatte Thiem im 16. Arrondissement von Paris jeweils das Halbfinale erreicht, dementsprechend hoch die Erwartungshaltung: "Ich will diesmal weiter kommen". Bresnik will davon nichts hören, ihn interessiert nur die aktuelle Formkurve seines Spielers: "Er hat in Lyon mit Feuer gespielt, er hat gut gekämpft." Am Weg zum Titel ging Thiem gegen Guillermo García-López, Dušan Lajović und Gilles Simon jeweils aus dem entscheidenden dritten Satz als Sieger hervor. "Und das", sagt Bresnik zum STANDARD, "sind auch keine Blinden".

Aber welche Rückschlüsse lässt der Triumph von Lyon für das nun beginnende Grand-Slam-Turnier zu? Hat Thiem in Lyon gar zu viel Kraft liegen lassen? "Nein, das hält er schon aus, er ist gut beisammen", sagt Bresnik. Mehr Kopfzerbrechen bereiten dem Trainer die sichtbaren Schwankungen im Spiel seines Schützlings. "Man muss realistisch bleiben, gegen einen Rafael Nadal oder Alexander Zverev würden die gezeigten Leistungen nicht ausreichen." Thiem schlägt ähnliche Töne an: "Spätestens ab dem Achtelfinale komme ich damit in Paris nicht mehr weiter."

Konstanz gefragt

In der Tat funktionierte das Spiel von der Grundlinie im Finale lange Zeit nicht nach Wunsch, auch die ausbaufähige Quote beim ersten Service ließ den Gegner immer wieder zu Chancen kommen. Simon musste nur geduldig auf Fehler des Österreichers warten. Erst als die Niederlage fast schon besiegelt schien, fand Thiem zu seinen Stärken, im Entscheidungssatz spielte er seine körperliche Überlegenheit aus. "Er muss unbedingt konstanter werden", fordert Bresnik.

Der Coach will aber nicht nur den Bad Cop spielen, schon gar nicht nach einem Turniersieg. Thiem hat in dieser Saison zwanzig Spiele auf Sand gewonnen, mehr als jeder andere. "Was soll man dem Burschen vorwerfen? Es ist beeindruckend, wenn einer durchschnittlich spielt und die Matches trotzdem gewinnt. Er schlägt Asse mit dem zweiten Aufschlag, das gefällt mir." Mit dem gewonnenen Selbstvertrauen könne Thiem guten Mutes in die French Open gehen, "und große Turniere mag er sowieso gern, da fühlt er sich wohl".

Daviscup-Reminiszenzen

Der Coach meidet Prognosen traditionell, muss aber bei allem Understatement einsehen, dass sich die Favoritenrolle gegen den Weißrussen Ilja Iwaschka in der ersten Runde am Montag (zweites Spiel nach 11 Uhr auf Court 1) kaum vermeiden lässt. "Wenn man gerade gewonnen hat, gilt man natürlich als Favorit." Gegen den 24-jährigen Iwaschka, der sich über die Qualifikation ins Hauptfeld gespielt hat und auf Rang 119 der Weltrangliste steht, hat Thiem im bisher einzigen Aufeinandertreffen in diesem Jahr im Daviscup in zwei Sätzen gewonnen. Eine ideale Aufwärmübung, zumindest der Papierform nach.

Blickt man weiter voraus, gestalten sich die Aufgaben für die Nummer sieben der Setzliste im Bois de Boulogne weitaus komplizierter. Bereits in der zweiten Runde könnte er es mit dem aufstrebenden Shootingstar Stefanos Tsitsipas zu tun bekommen. Gegen den erst 19-jährigen Griechen hat Thiem zuletzt in Barcelona glatt in zwei Sätzen verloren. Ein Wunschkonzert sieht anders aus.

Nadal erst im Finale möglich

Bei programmgemäßem Verlauf wäre Gilles Muller, die Nummer 29 aus Luxemburg, in Runde drei der erste gesetzte Gegner. Im Achtelfinale würde Thiem auf Trainingspartner Querrey (12) oder den nach einer Verletzung zurückgekehrten Japaner Kei Nishikori (19) treffen. Bereits im Viertelfinale stünde der als Nummer zwei gesetzte Deutsche Alexander Zverev auf dem Menü.

Und jetzt die gute Nachricht: Ein Duell mit Sandplatzkönig Nadal ist erst im Finale möglich. "Das beschäftigt mich nicht, ich denke von Match zu Match", sagt Bresnik. "Ich kenne den Turnierraster auswendig", sagt Thiem, "man lebt ja nicht ohne Smartphone." (Philip Bauer aus Paris, 27.5.2018)