Begnadete Musiker, großartige Schriftsteller, gewitzte Diplomaten – irische Männer und Frauen, angefangen beim heiligen Patrick über James Joyce und Samuel Beckett bis zu Sinéad O'Connor, haben seit Jahrhunderten das europäische Kultur- und Geistesleben mitgeprägt. Umso absonderlicher schien es, dass sich die Grüne Insel einer Errungenschaft westlicher Zivilisation widersetzte: der Gleichstellung von Mann und Frau, zu der auch die Autonomie über den eigenen Körper gehört.

Das Abtreibungsreferendum in Irland stellt den Schlussstein in einem Prozess dar, der 1973 mit dem Beitritt zur damaligen EWG begann. Aus der verarmten, theokratischen Insel weit draußen im Atlantik ist schon zur Jahrhundertwende dank Milliardensubventionen aus Brüssel ein wirtschaftlich erfolgreicher, politisch selbstbewusster Staat geworden. Endlich waren die Iren aus dem Schatten des einst übermächtigen Nachbarn Großbritannien herausgetreten.

Die Ablösung von der katholischen Kirche dauerte länger und kam in einem Dreischritt: zunächst die staatlichen Untersuchungen der schrecklichen Verbrechen gegen Kinder, die Priester und Nonnen jahrzehntelang ungestraft begehen konnten; vor drei Jahren die erfolgreiche Volksabstimmung über die Schwulenehe; nun mit Zweidrittelmehrheit die Abschaffung eines faktischen Abtreibungsverbots, das Irinnen selbst in schwersten medizinischen und sozialen Notlagen zur unwürdigen Reise ins Nachbarland zwang.

Bis Ende des Jahres wird das Dubliner Parlament unter Führung des dynamischen, jungen Premierministers Leo Varadkar die andernorts geltende Fristenregelung einführen. Dann bleibt in ganz Westeuropa nur noch ein rückständiges Land, was Frauenrechte angeht: der nordirische Teil des Vereinigten Königreichs. Dort befindet sich die katholische Kirche in einer unheiligen Allianz mit protestantischen Fundamentalisten. Und deren politischer Arm, die DUP, hält in London Theresa Mays schwache Regierung an der Macht. Man darf gespannt sein, wie die erklärte Feministin in der Downing Street mit dem jetzt akut gewordenen Konflikt umgehen wird. Bisher redete die britische Elite gern ein wenig herablassend über irische Rückständigkeit, verwies zudem auf die regionale Autonomie. Das erste Argument ist jetzt passé, das zweite dürfte nicht lang standhalten. (Sebastian Borger, 28.5.2018)