Eines seiner Lieblingsbeispiele, sagt Bergmann: Ein Mann, der jahrelang am Fließband gearbeitet hatte und Yogalehrer wurde. (Symbolbild)

Foto: istock

Frithjof Bergmann empfiehlt, das zu tun, "was man wirklich, wirklich will".

Foto: Andreas Teichmann

STANDARD: Sie waren bereits Tellerwäscher, Preisboxer, Hafenarbeiter, Fabrikarbeiter, Bankangestellter, Drehbuchautor und Unternehmensberater. Haben Sie noch im Kopf, in wie vielen unterschiedlichen Jobs Sie schon tätig waren?

Bergmann: Sie wollen eine konkrete Zahl hören? 20 Jobs werden es schon gewesen sein ...

STANDARD: Welche davon waren denn beglückend?

Bergmann: Viele! Aber am liebsten erinnere ich mich an die Zeit als Preisboxer. Ich war zwar nicht arg stark wie die meisten, dafür aber sehr schnell. Ich habe die Menschen verprügelt, bevor sie es gemerkt haben. Das hat mir große, große Befriedigung gegeben.

STANDARD: Wurden Sie je verprügelt?

Bergmann: Ja. Sie müssen sich vorstellen: Flint, Michigan, war einst die Wiege von General Motors (GM). Flint war der Inbegriff einer funktionierenden, prosperierenden Industrie. Auch ich habe damals dort gearbeitet. Im Zuge der Automatisierung und Robotisierung Ende der Siebzigerjahre jedoch wurden in der Automobilbranche sehr viele Fabrikarbeiter entlassen. Die Stadt stürzte in eine Depression. Ich dachte mir: Wie können wir aus dieser Situation das Beste machen? Also habe ich den Menschen geraten, sie sollten die Zeit konstruktiv nutzen, um sich zu überlegen, was sie in ihrem Leben wirklich, wirklich wollen. Zu Beginn hatten die Arbeiter absolut keine Sympathie für mich. Immer wieder ist es handgreiflich geworden. Einige haben sich mit mir geprügelt.

STANDARD: Aus dieser Zeit nach den Massenentlassungen ist viel darüber bekannt, was Sie den Menschen damals geraten haben.

Bergmann: Ich habe ihnen immer wieder gesagt, sie sollen sich überlegen, was sie wirklich, wirklich wollen...

STANDARD: Was ist aus der Umsetzung der Ratschläge geworden?

Bergmann: Manche haben Cafés eröffnet, andere sind Gärtner geworden, doch eines meiner Lieblingsbeispiele ist ein Mann, der jahrelang unter dem Fließband gearbeitet hatte. Er war schwarz von Öl. Er hat seine Arbeit gehasst. Als ich ihn fragte, was er denn lieber tun würde, stellte sich heraus, dass er sich nach einer weißen, nach einer sauberen Arbeit sehnte. Kurze Zeit später machte er eine Ausbildung zum Yogalehrer und baute sein eigenes Yogastudio auf.

STANDARD: Damals haben Sie bereits entlassene und wegrationalisierte Arbeiter beraten. Heute, 40 Jahre später, haben viele Menschen Angst, durch Industrie 4.0 und durch die zunehmende Automatisierung und Robotisierung ebenfalls ersetzt zu werden. Wiederholt sich das Phänomen von damals?

Bergmann: Absolut ja! Es geht um Effizienzsteigerung und Abbau von menschlichen Arbeitskräften. Die Menschen haben tragische Angst, dass sie eines Tages ohne Job dastehen. Bloß gibt es einen klitzekleinen Unterschied zu damals. Das, was sich Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger abspielte, war nur ein Vorspiel. Alles, was wir bisher erlebt haben, war nur ein Hauch dessen, was uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bevorsteht. Es wird ein Sturm auf uns zukommen, stärker als alles Vorhergehende. Vielleicht wird es auch ein Orkan werden.

STANDARD: Was macht Sie denn so pessimistisch?

Bergmann: Denken Sie nur daran, dass wir heute dabei sind, elektrische Autos zu produzieren, die sich nicht nur weitestgehend selbst bauen können, sondern die aufgrund ihrer Technologie kaum Wartung und Reparatur benötigen werden. Hinzu kommt, dass viele dieser E-Cars autonom fahren werden. Und jetzt rechnen Sie sich einmal aus, wie viele Millionen Jobs langfristig dadurch verloren gehen werden! Das ist nur ein Beispiel von vielen. Das Gleiche trifft auch auf die Baubranche, auf die Medienbranche und auf den Finanzdienstleistungssektor zu.

STANDARD: Was tun? New Work?

Bergmann: New Work. So ist es.

STANDARD: Das Konzept in wenigen Worten?

Bergmann: New Work ist ein dynamischer Begriff. Damals haben wir darunter folgende Aufteilung verstanden: ein Drittel normale Erwerbstätigkeit, ein Drittel Eigenproduktion beziehungsweise Selbstversorgung und ein Drittel selbstgewählte Arbeit, also das, was man wirklich, wirklich will.

STANDARD: Was ist heute anders?

Bergmann: Unter Eigenproduktion und Selbstversorgung meinten wir in den Siebziger- und Achtzigerjahren vor allem ein neues Bauerntum, das seine Nahrung und Kleidung selbst produziert. Heute verstehen wir unter Eigenproduktion mehr und mehr einen umfassenden Do-it-yourself-Alltag. Dank 3D-Drucks und anderer raffinierter Technologien werden wir schon bald in der Lage sein, einen Großteil unserer Güter selbst zu produzieren. Der Konsument wird zum Produzenten, zum sogenannten Fabrikator.

STANDARD: In welchen Bereichen werden Ihres Erachtens die Ansätze von New Work heute bereits gelebt?

Bergmann: Überall. Ich stelle fest, dass sehr viele Arbeitgeber mittlerweile sensibilisiert sind. Sie haben erkannt, dass Arbeit glücklich machen kann und dass glückliche Arbeitnehmer, die sich mit ihrem Beruf identifizieren können, deutlich effizienter, zuverlässiger und auch selbstverantwortlicher sind. In vielen Jobs und Branchen ist mein Appell, das zu tun, was wir wirklich, wirklich wollen, bereits Realität geworden. Das wirkliche, wirkliche Wollen ist Teil der Unternehmenskultur geworden. Ich bin so glücklich, dass sich das geändert hat.

STANDARD: Warum verwenden Sie das Wort "wirklich" eigentlich immer doppelt?

Bergmann: Weil mir wirklich, wirklich viel daran liegt und ich will, dass die Menschen mein Anliegen wirklich, wirklich ernst nehmen.

STANDARD: Sie sind als Berater tätig. Wer zählt heute zu Ihren Kunden?

Bergmann: Menschen, Unternehmen, Institutionen und diverse Regierungen – so wie beispielsweise Indien und Südafrika. Die Beratungstätigkeit umfasst im Wesentlichen das Ernstnehmen der Zukunft. Es geht um ein seriöses Ernstnehmen, ohne aber den Menschen Angst zu machen. Wenn der Frithjof gefragt wird, dann sagt er: Alles, nur keine Angst!

STANDARD: Woran arbeiten Sie zurzeit?

Bergmann: Erstens engagiere ich mich dafür, dass die Lohnarbeit zurückgeht, denn Lohnarbeit ist eine langweilige, ermüdende und erschöpfende Tätigkeit, die den Menschen auf lange Sicht zermürbt. Und zweitens setze ich mich dafür ein, dass die Idee der New Work weltweit mehr und mehr Unterstützer findet. Ich bin dabei, sogenannte Zentren für Neue Arbeit zu errichten, in denen die Menschen zusammenkommen und sich über ihre Ängste, Wünsche und Sehnsüchte austauschen können. Ohne gegenseitige Unterstützung gibt es auch keine Evolution. Das erste Zentrum dieser Art steht in Mumbai.

STANDARD: Was ist es, das Sie wirklich, wirklich wollen?

Bergmann: Oh, das ist verhältnismäßig leicht! Ich will das Neue Arbeiten global verbreiten. Und ich träume von einer Kultur, in der von Kindheit an alles Erdenkliche getan wird, um Menschen zu stärken und zu kräftigen. (Wojciech Czaja, 2.6.2018)