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Motivation ist durch Fluchtgedanken ersetzt worden, medizinische Messungen zeigen die Stresspegel am Anschlag. Vielleicht sollten die Unternehmen endlich klarkriegen: Mehr Druck auf den Menschen erzeugt nur mehr Bremsen in seinem Hirn.

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Algorithmen finden sich heute überall. Sie wohnen in allen Geräten, in unseren Autos und begleiten uns überallhin, beobachten und verrechnen unsere Schritte und Handlungen. Fast könnte man die grauen Männer mit den dicken Zigarren erkennen, wäre da nicht die dichte grüne Matrix, hinter der sie sich verbergen.

Und erst die Arbeitswelt, strahlt uns da nicht permanent die Zuversicht einer leuchtenden Zukunft entgegen, nahezu blendend? Machen wir doch kurz einen Reality-Check. Die Führungskräfte haben vielerorts ihre Hausaufgaben erledigt, den Personalstand reduziert, Kosten eingespart und die Digitalisierung in Gang gesetzt. Allerdings versprechen die tollen Möglichkeiten der Algorithmen einerseits noch weiteres Einsparungspotenzial, andererseits aber auch viele neue Möglichkeiten der Verrechnungserweiterungen.

So wachsen die Controlling-Systeme während die eigentlichen Wertschöpfungsbereiche durch mehr Automatisierung in der Anzahl der Beschäftigten schrumpfen. Immer bessere Maschinen, vor allem schneller, genauer, fehlerfreier versprechen den Führungsetagen immer passgenauere Produktion. Die Führungskräfte lernen also die Beschleunigungspotenziale der Algorithmen mehr und besser zu schätzen, dadurch entsteht unbewusst robotergeprägtes Denken.

Besser, fehlerfreier

Dies geschieht in der gesamten Gesellschaft, wer will sich denn überhaupt noch an die langsamen Geräte erinnern, wenn hochaufgelöste Videos in Echtzeit über irgendeinen Bildschirm sausen. Technik kann die Geschwindigkeit steigern und tut dies auch, jedes Jahr mit jeder neuen Gerätegeneration ein bisschen mehr. Wir gewöhnen uns daran, so glauben wir. Das muss schneller, weil es nur dann wertvoll ist. Und wir werden sehr ungeduldig, wenn es einmal langsamer wird.

Leider macht diese Einstellung auch vor der Arbeit nicht halt. Permanente Beschleunigung und Zugriffsmöglichkeit findet ihren Niederschlag. Führungskräfte sind in diesen Zusammenhängen genauso "lernfähig" wie jeder einzelne Mensch. Die Welle der Digitalisierungsbeschleunigung hat bereits Anzeichen, zum Tsunami zu werden. Die Beschleunigungswelle der Arbeitsschritte trifft auf die Überlebenden der großen Personalabbauwelle. Die bedeutet, dass weniger Menschen immer mehr Aufgaben übertragen werden, weil die Möglichkeiten der Algorithmen massiv gewachsen sind.

Zu hoher Spannungsdruck

Ich erlebe derzeit viel zu viele Menschen in Unternehmen, die beschleunigt immer mehr Arbeiten erledigen müssen und dabei auch noch permanent zur Verfügung stehen sollen. Die Einheiten der direkten Wertschöpfungskette werden personell heruntergefahren, weil teil durch Roboter ersetzt, beziehungsweise durch die Zusammenarbeit mit immer besseren Robotern angetrieben, andererseits wachsen die Verwaltungseinheiten, weil immer mehr Algorithmen auch besser und mehr verrechnet, kontrolliert und verarbeitet werden wollen. Die Beschleunigung hat also das gesamte Unternehmen erfasst, das ist sehr anders, als dies durch Fließband oder elektrische Schreibmaschine geschehen ist. Und intensivere Datennutzung und -verrechnung ist ein genereller Wert in den Gehirnen der Menschen geworden, wogegen die Fließbänder damals nur bedingt ins Privatleben hinüber gereicht hatten.

Die Zahl der psychisch Belasteten steigt in einem Ausmaß an, das volkswirtschaftlicher Wahnsinn ist, aber es gibt leider keine Anstalt dafür und damit leider auch keine Behandlung.

Burnout mag zwar immer noch keine offizielle Diagnose mit klarem Symptomenkatalog sein, aber das ist aufgrund der Unterschiedlichkeit von Gehirnen auch gar nicht möglich. Der zu hohe Spannungsdruck findet bei jedem Menschen seinen ganz eigenen Ausgang.

Die vielen Gespräche (in den vergangenen drei Jahren waren es über 2300) als Arbeitspsychologe mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Hierarchien und Tätigkeitsbereiche in Unternehmen sind mehr und mehr zu Hilferufen geworden.

"Ich will hier raus"

Motivation ist durch Fluchtgedanken ersetzt worden, medizinische Messungen zeigen die Stresspegel am Anschlag. Vielleicht sollten die Unternehmen endlich klarkriegen: Mehr Druck auf den Menschen erzeugt nur mehr Bremsen in seinem Hirn. Wir sind als Spezies für Kurzzeithochleistung geeignet (und das auch nicht in Serie), unsere Vorfahren haben nicht den ganzen Tag Mammuts gejagt. Und nur weil Roboter das können, kann der Mensch das nicht auch. Stellen Sie Sich doch bitte ein Gerät vor, das hilft, Ihren Arm zu bewegen, und dann denken Sie an immer höhere Geschwindigkeiten dabei. Glaubt da wirklich irgendwer an grenzenlose Leistungserhöhung?

Nun, es gab vor gar nicht so langer Zeit laute Stimmen, die die Geschwindigkeiten von Eisenbahn und Automobilen als für den Menschen zu gefährlich klassifizierten.

Heute lachen wir über diese Rückschrittlichkeit, aber ist der Mensch wirklich ungefährdet durch allen Formen der Beschleunigung, denen wir ihn aussetzen können? Und gewinnen wir durch die Beschleunigung wirklich so viel Zeit?

Fast könnte man die grauen Männer mit den dicken Zigarren erkennen, wäre da nicht die dichte grüne Matrix, hinter der sie sich verbergen. (Johann Beran, 5.6.2018)