Ted Hawkins nahm mehrere Male Anlauf für seine musikalische Karriere. Dann gelang es ihm weltweit – doch kurz nach der Rezension von The Next Hundred Years kam schon die Pflicht des Nachrufs.

Was er im Lied Big Things andeutete, sollte sich allzu schnell als Prophezeiung erweisen. "I've got big things to do / too soon my life will be through", sang Ted Hawkins. Das war 1994. Damals erschien sein Album The Next Hundred Years. Es katapultierte ihn aus der Obskurität einer kleinen eingeweihten Gemeinde auf die großen internationalen Bühnen. Da war er 57, am Neujahrstags 1995 starb er, da war er 58.

So ging ein Märchen frühzeitig zu Ende, für das sein Hauptdarsteller mehrmals Anlauf genommen hatte – und das sich wenigstens für kurze Zeit erfüllt hatte.

Musik im Knast

Hawkins stammte aus Mississippi. Dort wurde er 1936 in eine arme Familie geboren und wuchs unter harten Bedingungen auf. Wegen kleinkrimineller Delikte erfuhr er schon als Teenager, wie sogenannte Besserungsanstalten innen aussehen. Immerhin kam er da erstmals mit Musik in Berührung.

Mit 19 wurde er entlassen, und bald darauf hörte er erstmals Sam Cooke aus einem Radio singen – das sollte es sein, das wollte er auch machen. Doch die nächsten Jahre verbrachte er als singender Hobo, versuchte quer durch die USA sein Glück – ohne Glück.

Liberal und warm

Mitte der 1960er ging Hawkins nach Kalifornien. Das war liberal und warm, da konnte man als Straßenmusiker und singender Obdachloser halbwegs über die Runden kommen. Doch er kam mit Drogen in Kontakt, die daraus entstehenden Probleme brachten den großgewachsenen Mann in den nächsten 15 Jahren immer wieder hinter Gitter.

Ted Hawkins war lange Jahre ein singender Obdachloser in Venice. Mehrmals wurde er entdeckt – erst spät sollte es klappen.
Foto: Rounder

Das soll sein Wesen verdunkelt haben, Hawkins galt als misstrauisch, schwierig, wer wollte es ihm verdenken? Wenn er in Freiheit war, drehte er seinen Hut um, setzte sich in Venice an den Strand und sang.

Der Blues war das Lied seines Gemüts und seines Herzens, aber mit einer Breitseite aus dem Soul und einer Neigung für Country. Diese drei Stile vermischte er zu einem Stil, zu seinem.

Mit Strange Conversation beginnt The Next Hundred Years – man könnte auch sagen, damit geht die Sonne auf.
José Fabela

Dass Hawkins talentiert war, fiel immer wieder auf. 1982 erschien ein erstes Album: Watch Your Step war gut, aber eine unentschlossene Mischung aus Hawkins solo an der Gitarre und mit Band – wobei er mit Band überzeugender, wuchtiger klang.

Das wiederholte sich über die Jahre mehrmals, doch nur in Europa erhörte man den Gesang des Mannes, hier lebte er Ende der 1980er einige Jahre, trat in Skandinavien auf, in Frankreich und England.

Back in the USA

Wieder zurück in Kalifornien, war er hingegen ein unbekannter Straßensänger, einer, mit dem es öfter probiert worden war – ohne Erfolg. Erst 1994 sollte sein Jahr werden, da wollte es wieder einmal einer wissen, da erschien unter der Regie des Produzenten Tony Berg auf dem Major Geffen Records The Next Hundred Years.

Erlesene Studioband

Dafür brachte Berg den Songwriter mit einer erlesenen Studioband zusammen: Greg Leisz ließ seine Pedal-Steel-Gitarre weinen, Jim Keltner rührt in seinen Trommeln, ein wenig Orgel steuerte Berg selbst bei, ein bisschen davon, etwas von hier, fertig war ein Meisterwerk.

Afraid – ein Trennungslied mit gewaltigem Taschentücherverbrauch – natürlich weint auch die Pedal-Steel.
Dale Johnson

Hawkins prägnantes Songwriting wurde von der Band behutsam umrahmt. Nur Joe Henry hätte es vielleicht noch besser gemacht, doch das ist bloß eine späte Spekulation.

Zärtlicher Anschlag

Hawkins' vom Leben und seinen Härten geprägte Stimme steht im Mittelpunkt der Produktionen, sein zärtlicher Anschlag erinnert manchmal an den hawaiianischen Gitarristen Gabby Pahinui.

Große Dinge hatte er noch vor: Big Things.
xdarling7

Das Album hat mit Liedern wie Afraid, Strange Conversation oder The Good And The Bad einige potenzielle Hits zu bieten, andere Songs besorgen einem allein wegen des Gesangs Gänsehaut. Und zum Schluss des Albums singt Hawkins das ebenfalls prophetisch anmutende Long As I Can See The Light von Creedence.

Ein letzte Gruß: Long As I Can See The Light – damit empfiehlt sich Ted Hawkins auf The Next Hundred Years.
dinkydonk0808

Der Zuspruch war enorm, dabei war Hawkins enttäuscht. Er mochte das Album nicht, was ihn natürlich in die Klemme brachte, denn sein Publikum liebte ihn dafür. Er hingegen fand es überproduziert und kitschig. Da war er vielleicht ein wenig zu kritisch mit sich selbst. Aber wie schon gesagt – viel Zeit, sich darüber zu ärgern, blieb ihm nicht.

Humor und etwas Bitterkeit

Hawkins hinterließ der Welt mit diversen Kompilationen und einem posthum erschienenen Live-Album 17 Longplayer. Auf den meisten ist er allein mit seiner Gitarre zu hören. Diese Songs präsentieren einen höchst talentierten Songwriter, viel Gefühl, einen trockenen Humor und manchmal ein wenig Bitterkeit. Selbst wenn die Produktion das Wort oft kaum verdient, die beseelte Bluesstimme Hawkins' erwischt einen doch fast immer. (Karl Fluch, 29.5.2018)