Ach, Kanye! Für den Kardashian-Clan, der in Sachen Medienaufmerksamkeit noch nie klagen konnte, muss es im Moment ziemlich hart sein: Egal was gepostet wird, es verpufft. Das neue Parfum von Kim mit einem Flakon, für den an ihren Originalkurven Maß genommen wurde? Interessiert kein Schwein. Die Konkurrenz kommt aus der eigenen Familie. Beinahe stündlich hält Kanye West, Kardashian-Gatte, genialer Rapsuperstar, Neomodedesigner, der demnächst auch Häuser entwerfen möchte, und selbsternannter Gott, die Welt mit abstrusen Twitter-Meldungen in Atem. Da kann nur einer mithalten: Amerikas umstrittener Präsident Donald Trump.

Kein Wunder, dass West ihn einen Bruder nannte und zwischen ihm und Trump "Dragon Energy" ortete: zwei Narzissten, die einfach nicht die Klappe halten können. Kanye plauderte munter drauf los, dass 400 Jahre Sklaverei doch wohl auch ein bisschen selbst gewählt sein müssten – und verordnete im selben Atemzug der Welt eine Portion Liebe. Das war so crazy, dass im Internet die Idee kursiert, West würde im Sinne von Andy Kaufman eine radikale Performance abziehen, das sei alles bitterböse Kunst. Gleichzeitig würde sich keiner wundern, wenn West demnächst mit Justin Bieber eine Sekte gründen würde. Alles ist möglich.

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Zwei, die einfach nicht die Klappe halten können: Kanye West (rechts) und Donald Trump.
Foto: APA / AFP / Getty Images / Drew Angere

Es hat schon bessere Zeiten gegeben, um über Wests Bedeutung als Fashiondesigner zu reflektieren. Trotzdem lohnt sich die Frage, ob er mit seinem Label Yeezy in die Modegeschichte eingehen wird. Sicher ist, dass West bereits bei Nike und später bei Adidas ikonografische Sneakers vorgelegt hat. Klobig und eigenwillig, man erkennt sie sofort. Auch die Preiskalkulation ist raffiniert: Jugendliche, die sparen, können sich die Schuhe leisten. Sie müssen sich nur dafür anstellen.

West hat früh erkannt: Der Hype ist wichtig. Wenn man Dinge jederzeit bekommt, sind sie weniger begehrenswert. Insofern verkörpert Yeezy perfekt, was die Mode gerade prägt: Streetwear wird als High Fashion aufgewertet, von einstigen Skaterlabels wie Supreme lernt man, wie durch limitierte Ware Hypes erzeugt werden. "Yeezy verkauft 40.000 Paar Sneakers in einer Minute", sagt Kanye gewohnt unbescheiden: "Damit lässt sich nur das iPhone vergleichen."

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West-Ehefrau Kim Kardashian erhielt am 4. Juni den CFDA-Inlfuencer-Award.
Foto: ap/agostini

Roughe Ästhetik

Bei der Yeezy-Kleidung hätte West es sich einfach machen können, indem er groß seinen Namen auf T-Shirts drucken lässt, wie das viele andere Labels gerade zelebrieren. Seine minimalistisch-roughe Ästhetik mit einer nerdig-monochromen Farbpalette – von strumpffarbenrosa bis Military-Camouflage – ist zwar nicht neu. Aber in der Mode remixen ohnehin gerade alle vergangene Epochen. Und West hat mit Helmut Lang, Raf Simons und Martin Margiela keine schlechten Referenzen gewählt. West hat keine Ausbildung als Modemacher, aber auch darin ist er ein Prototyp, der gerade Furore macht: der Designer als Kurator.

Der Rapper holte eine coole Crew an Jungtalenten, die ihm half, seine Visionen zu verwirklichen – von Demna Gvasalia, der mit Vetements und Balenciaga die Ästhetik einer Generation prägt, bis zu Off-White-Gründer Virgil Abloh, der gerade als Chefdesigner der Männerlinie von Louis Vuitton ernannt wurde. Wests früherer Art-Director war Heron Preston, der bei Kids den Status eines Popstars genießt. Er vermarktet sein Streetwarelabel erfolgreich zwischen DIY-Kunst und DJ-Auftritten mit Autogrammstunde und Selfiemöglichkeit: ein Instagram-Modemacher zum Angreifen.

West ist Teil einer hippen Jugendbewegung, die erkannt hat, dass Mode die neue Popkultur ist. "Vor 20 Jahren haben sich die Kids vor den Plattenläden angestellt, um die neuesten Veröffentlichungen ihrer Lieblingsbands zu ergattern", bringt es der russische Fashionquereinsteiger Gosha Rubchinskiy auf den Punkt. "Heute warten sie auf den Release der neuesten Sneakers oder Kollektionen ihrer Lieblingslabels."

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Schlange stehen in Moskau im November 2017 für Adidas-Sneakers, die von Kanye West entworfen wurden.
Foto: reuters/karpukhin

West ist im Modebusiness ein Außenseiter, deshalb stellt er das System, das sich ohnehin gerade im Umbruch befindet, grundlegend infrage. Er stellte bei seiner ersten Show 2015 gemeinsam mit der Performancekünstlerin Vanessa Beecroft eine Armee an Models auf. Seine dritte Show 2016 füllte 20.000 Sitzplätze des Madison Square Garden und war gleichzeitig eine Launch-Party für sein Album "Life of Pablo".

Ein Jahr später beschlagnahmte er Roosevelt Island in New York, was allerdings zum Desaster wurde, aufgrund der Hitze kippten Models um. Yeezy 5 wurde auf übergroßen Leinwänden übertragen und enthüllte die Kollektion, bevor das erste Model den Laufsteg betrat. Jede Saison geht neue Wege: Season 6 fand nur im Internet statt, Kim Kardashian trug Yeezy-Klamotten, die im Fake-Paparazzi-Stil fotografiert wurden.

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Präsentation von Yeezy Season 4 auf Roosevelt Island.
Foto: ap/leanne italie

Aktuell provoziert Kanye West auf Twitter mit halbnackten Doubles von Kim, Khloé und Kourtney, die seine Adidas Yeezy 500 in einer neuen Farbvariante tragen.

Kanye West plappert viel, wenn der Tag lang ist. Trotzdem meint er es ernst mit der Mode. 2009 waren er und Virgil Abloh bei Fendi als Praktikanten beschäftigt, beide bekamen je 500 US-Dollar im Monat bezahlt und mussten Kaffee für alle holen. West schwärmt noch immer von dieser Zeit, sein Idol Raf Simons hatte ihn zuvor als Praktikanten abgelehnt. Klar, sonderlich raffiniert sind Yeezy-Entwürfe nicht, eher Basics, deren Qualität allerdings überzeugt.

West macht kein Geheimnis daraus, dass er der nächste Ralph Lauren sein möchte – ein Designer, der für zeitlosen Preppy-Look und den Siegeszug der Leisure-Wear steht und auch nie eine Ausbildung in diesem Bereich absolviert hat. Expansion ist geplant, es soll schon bald eigene Yeezy-Shops geben. Spannend, wie es ästhetisch weitergehen wird, ob der Hype auch ohne limitierte Auflagen anhält. So blöd der Musiker, der kein Fettnäpfchen auslässt, auch manchmal klingen mag, man sollte ihn als Künstler und Designer nicht unterschätzen. (Karin Cerny, 17.6.2018)

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