Es ging relativ schnell: 1847 starb die berühmte Kurtisane Marie Duplessis 23-jährig an der Schwindsucht, nur ein Jahr später veröffentlichte Alexandre Dumas (Sohn) den von ihr inspirierten Roman La Dame aux camélias. Und 1853 wurde Verdis La Traviata in Venedig uraufgeführt. Wo bleibt eigentlich die Lady-Di-Oper?

An der Wiener Staatsoper wurde Verdis Wunderwerk seit 1876 rund 800-mal gegeben, und auch nach der Traviata-Aufführung am Samstagabend war das Publikum komplett aus dem Häuschen. Plácido Domingo bekam für seine ersten Töne als Giorgio Germont sogar einen spontanen Auftrittsapplaus, schon bei seinem Erscheinen auf der Szene hatte großes Raunen und Tuscheln eingesetzt – der Weltstarbonus.

Der Ex-Tenor hat sich jedenfalls sein rundes, viriles Timbre auch in der Baritonlage bewahrt. Doch der 77-jährige Domingo, schon recht kurzatmig geworden, kann seine Klangpracht leider nur noch entfalten, wenn er mit voller Kraft in die Attacke geht. So hatte etwa seine Interpretation des sanften Di Provenza il mar eine toreroartige, kämpferische, beinahe bissige Note: Beruhigende Baritonlyrik klingt eigentlich anders.

Pavol Breslik war als Alfredo auch stimmlich ganz der Sohn des älteren Germont: Der Slowake beeindruckte in der schlichten Inszenierung von Jean-François Sivadier hauptsächlich mit kraftvollen, langen, vergoldeten Linien, variierte aber vor allem dynamisch zu wenig; im Schlussensemble des Mittelakts bügelte Breslik (wie auch Domingo) über das geforderte dreifache Piano lautstark drüber.

Wundervoll, virtuos, berührend die routinierte Irina Lungu als kämpferische Violetta Valéry: in vielen Belangen nur einen Hauch vom ganz großen Faszinosum entfernt. Und Marco Armiliato führte das souveräne Staatsopernorchester präzise und sängerdienlich: toll. (sten, 28.5.2018)