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Kohlekraftwerke haben gegenüber Erneuerbaren einen entscheidenden Vorteil: Die Energieproduktion hängt nicht davon ab, ob die Sonne scheint oder genügend Wind weht.

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Extreme Wetterphänomene werden immer häufiger. Vieles deutet darauf hin, dass heuer ein neuer Rekordsommer bevorsteht. Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung drängt auf eine rasche Energiewende. Anders seien die Ziele des Pariser Abkommens nicht erreichbar.

STANDARD: Wie bekommen wir den Klimawandel in den Griff?

Luderer: Der Klimawandel geht ungebremst weiter, wir eilen von Temperaturrekord zu Temperaturrekord. Die Temperatur steigt proportional zu den kumulierten CO2-Emissionen – je mehr Treibhausgase wir ausstoßen, desto wärmer wird es. Damit steigen die Risiken: Extremwetter, Meeresspiegelanstieg, wirtschaftliche Schäden. Entscheidend sind kurzfristige Einstiegspunkte in die globale Energiewende. Langfristig müssen die Emissionen auf null sinken, wollen wir das Klima stabilisieren.

STANDARD: Aber von welchem Zeithorizont sprechen Sie?

Luderer: Global gesehen müssen wir in der zweiten Jahrhunderthälfte die Emissionsneutralität erreichen. In der letzten Eiszeit waren die globalen Durchschnittstemperaturen um drei bis vier Grad niedriger als Mitte des 19. Jahrhunderts – der Unterschied klingt klein, war aber ausreichend, um einen großen Teil der Nordhalbkugel mit einem Eisschild zu überziehen. Wir müssen davon ausgehen, dass eine Erwärmung um drei bis vier Grad extreme Folgen hätte.

Gunnar Luderer sieht Österreich in einer zentralen Position im europäischen Energieverbund.
PIK

STANDARD: Kann der Pariser Vertrag einen solchen Temperaturanstieg verhindern?

Luderer: Das Pariser Abkommen hat zwei Gesichter. Die Vertragsstaaten haben das gemeinsame Ziel formuliert, den Anstieg der globalen Temperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu deckeln und zudem Anstrengungen zu unternehmen, um eine Begrenzung auf 1,5 Grad zu erreichen. Das ist durchaus eine Errungenschaft. Schwieriger ist es, diese langfristigen Ziele in kurzfristige Maßnahmen zu übersetzen. Damit sind wir beim zweiten Gesicht des Abkommens.

STANDARD: Weil Nationalstaaten selbst festlegen können, wie stark sie ihre Emissionen mindern?

Luderer: Genau. Das ist zwar ein sehr hilfreicher Prozess, weil er die nationale Politik verpflichtet, eine konkrete Energiestrategie zu entwickeln. Dass das Ambitionsniveau letztlich von jedem Staat selbst festgelegt wird, macht die Sache aber nicht leichter. Die nationalen Anstrengungen zur Emissionsminderung reichen in Summe leider bei weitem nicht aus. Ohne Nachbesserungen werden wir die Zwei-Grad-Marke deutlich überschreiten.

STANDARD: An welche Nachbesserungen denken Sie?

Luderer: Wärmeerzeugung, Transport und andere Sektoren, in denen Energie bislang nicht in Form von Strom verbraucht wird, machen über 60 Prozent der globalen energiebedingten Emissionen aus. In Österreich sind es sogar 80 Prozent. Diese Energienachfrage muss elektrifiziert werden. Wir brauchen immer weniger Material und Energie, um erneuerbare Energiequellen zu erschließen. Das ist wichtig, weil die Elektrifizierung von derzeit nichtelektrischem Energieverbrauch die Stromnachfrage erhöhen wird.

STANDARD: Die Energienachfrage ist variabel. Im Winter wird viel Wärme nachgefragt, im Sommer kaum. Mit fossilen Energieträgern kann man darauf reagieren – und im Winter einfach mehr Kohle verbrennen. So bedarfsabhängig kann unter den Erneuerbaren nur Wasser eingesetzt werden.

Luderer: Oder Biomasse, wobei deren nachhaltiges Potenzial sehr stark begrenzt ist. Aber natürlich stimmt es, die Variabilität von Nachfrage und Angebot ist ein Riesenthema für die Energiewende. Österreich hat mit seiner hervorragend entwickelten Wasserkraft einen Standortvorteil. Zwischen dem sonnenreichen Mittelmeer und dem windreichen Mittel- und Nordeuropa gelegen, spielt Österreich eine wichtige Rolle im europäischen Energieverbund. Ein erneuerbares Energiesystem muss sein Potenzial aus Wind-, Solar- und Wasserkraft poolen, um mit der hohen Variabilität zurechtzukommen. Dafür brauchen wir europaweit leistungsfähige Übertragungsnetze.

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Syrische Flüchtlinge machen aus Olivenresten Biomasse-Brickets. Biomassekraftwerke oder Biokraftstoff sind zwar klimafreundlich – die Herstellung von Biomasse benötigt aber große Flächen Land.
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STANDARD: Und Möglichkeiten, Energieüberschüsse zu speichern.

Luderer: Die österreichischen Pumpspeicherkraftwerke werden am zunehmend von Erneuerbaren dominierten EU-Strommarkt immer wichtiger. Wir müssen aber auch die Herausforderungen der Elektrifizierung mit der Variabilität im Stromsektor zusammendenken. Im Fernwärmeverbund könnte man etwa überschüssigen Solarstrom im Sommer in Wärme umwandeln und einspeichern – und im Winter zur Gebäudebeheizung nutzen.

STANDARD: Verteuert die Energiewende die Strompreise?

Luderer: Deutschland hat auf eine stärker wettbewerblich organisierte Ökostromförderung umgestellt und gezeigt, dass Wind- und Sonnenstrom sehr günstig bereitgestellt werden können. Inzwischen sind wir bei Vergütungen von unter fünf Cent pro Kilowattstunde – das ist spektakulär! Fossile Energie ist zwar auch billig, aber nur, weil die externen Kosten – die Klimarisiken und Gesundheitsschäden – sich in den Preisen nicht niederschlagen. Die sozialen und ökologischen Kosten fossiler Energie sind immens. Damit die Energiepreise die ökologische Wahrheit sprechen, brauchen wir eine Stärkung des europäischen Emissionshandels. Eine Untergrenze für den CO2-Preis im Emissionshandel, wie von der österreichischen Ministerin Köstinger vorgeschlagen, wäre ein Riesenschritt vorwärts.

STANDARD: Und was ist mit einer Emissionssteuer?

Luderer: Der Emissionshandel deckt bereits Stromerzeugung und energieintensive Industrien ab. Aber auch im Verkehrs- und Wärmesektor müssen zusätzliche Anreize geschaffen werden, um Energieeinsparungen zu erzielen und CO2-Emissionen zu senken. Für diese Bereiche brauchen wir dringend Steuersätze, die sich an den CO2 Emissionen orientieren.

STANDARD: Unternehmen würden dann einfach ihre Produktionsstandorte verlegen.

Luderer: Die Einnahmen aus einer Emissionssteuer können dazu genutzt werden, die Energiewende für Unternehmen und Einkommensschwache verträglich auszugestalten. Für energieintensive Unternehmen gibt es auch schon längst Ausnahmeregelungen beim Emissionshandel. Aber natürlich ist es viel sinnvoller, durch europaweite und zunehmend auch globale Koordination Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Das gilt übrigens auch und gerade für den Verkehr: Wer von Deutschland nach Italien fährt, tankt in Österreich noch schnell voll, weil die Kraftstoffpreise hier deutlich niedriger sind. Hier wäre Angleichung wichtig. Klimaschutz sollte aber eben nicht nur als Kostenfaktor, sondern vor allem auch als wirtschaftliche Chance begriffen werden. Der rasante Ausbau der erneuerbaren Energien wird auch global weitergehen. Innovationen und Investitionen werden für die Klimawende eine immens wichtige Rolle spielen. Wer hier Vorreiter ist, erarbeitet sich Wettbewerbsvorteile in diesen Milliardenmärkten. (Aloysius Widmann, 29.5.2018)