Auf der serbischen Autobahn spazieren ein paar Migranten – allerdings Richtung Süden und nicht in Richtung der EU-Grenze zu Kroatien. Ein paar sind auf Baustellen im Süden Albaniens zu sehen. Einige Dutzend sitzen jeden Abend rund um den Brunnen – genannt Sebilj – im Herzen Sarajevos. Seit dem Frühling hat die Anzahl der Migranten, die versuchen, von Griechenland nach Mitteleuropa zu kommen, wieder zugenommen.

Und heuer nehmen sie erstmals den Weg über Albanien, Montenegro, aber auch über Zentralserbien nach Bosnien-Herzegowina. Von dort versuchen sie, nach Kroatien zu gelangen. Viele von ihnen sind Pakistaner, die allermeisten haben gar keine Chance, jemals Asyl in einem der europäischen Staaten zu bekommen.

Und viele wollen gar nicht nach Österreich, sondern nach Italien, um dort unterzutauchen. Ein Vergleich mit der Flüchtlingskrise 2015/2016, als tausende Menschen in organisierten Reisezügen, schnell, billig und quasi legal nach Mitteleuropa reisten, ist in vielerlei Hinsicht unangebracht. Keiner der Staaten in der Region lässt die Migranten passieren – von "Durchwinken" kann keine Rede sein. Im Gegenteil, die Migranten werden an den Grenzen immer wieder abgefangen und zurückgeschickt. Das erzählen alle, mit denen man spricht.

Edi Rama kommt nach Wien

Wenn Kanzler Sebastian Kurz also behauptet, die österreichische Regierung arbeite mit der albanischen zusammen, damit "das Weiterwinken nicht stattfindet", so geht das an der Realität vorbei. Die albanischen Grenzer winken auch ohne jegliche Einmischung Österreichs niemanden weiter, und sie haben das auch nie getan.

Heuer nehmen die Flüchtlinge erstmals den Weg über Albanien, Montenegro, aber auch über Zentralserbien nach Bosnien-Herzegowina.

Die Aussage von Kurz hat wohl eher damit zu tun, dass der albanische Premier Edi Rama am Mittwoch nach Wien kommt und der Kanzler das Thema Erweiterung mit der Migrationsfrage verbinden will. Den Balkanstaaten, die noch nicht in der EU sind, wird schon seit geraumer Zeit vermittelt, sie sollten in erster Linie als Migrations-Bollwerk dienen, wenn sie Unterstützung erwarten. Von einer "Albanien-Route" zu sprechen, wie dies nun in Österreich der Fall ist, hilft dem Balkanstaat mit dem Imageproblem aber sicherlich nicht. Tatsächlich sind in Albanien auf den Straßen und im öffentlichen Raum kaum Migranten zu sehen. Überall wurden die Kontrollmaßnahmen verstärkt. Montenegro denkt sogar darüber nach, an der Grenze zu Albanien einen Stacheldrahtzaun zu errichten, aber das hat eher damit zu tun, dass Montenegro will, dass Albanien alle Migranten wieder zurücknimmt.

Asylansuchen in Slowenien

Offen ist, wie viele Migranten es über die Balkanroute überhaupt nach Österreich schaffen. Laut dem slowenischen Innenministerium haben in diesem Jahr bis zum 27. Mai 2105 Personen die slowenisch-kroatische Grenze illegal überschritten. Dies sei ein Anstieg von 283 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, sagt die Sprecherin des Ministeriums, Vesna Drole, zum STANDARD. "Die meisten dieser Migranten suchen um internationalen Schutz in Slowenien an." In den letzten Monaten wurde in Slowenien 1478 Personen die Einreise ins Land und damit in die Schengenzone verweigert. Die meisten versuchen es aus Kroatien über den Fluss Kupa bei Novo Mesto.

Offen ist, wie viele Migranten es über die Balkanroute überhaupt nach Österreich schaffen.

Doch das ist gefährlich, und überall wird verstärkt kontrolliert. An der montenegrinisch-bosnischen und an der serbisch-bosnischen Grenze wurden allein vergangenen Freitag 41 Personen aufgehalten. Insgesamt haben die bosnischen Beamten seit Jänner 2603 Personen an den Grenzen zurückgewiesen. In Sarajevo wurde ein operatives Zentrum für Migrationsfragen als Koordinierungsstelle eingerichtet. Viele Migranten aus Sarajevo wurden mittlerweile in ein Zentrum in die Herzegowina gebracht. Sie campen nicht mehr im Park gegenüber dem Alten Rathaus, denn dieses Lager wurde anlässlich des Besuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufgelassen.

De EU übernimmt zurzeit mehr Koordinationsaufgaben im Management der Migranten auf dem Balkan. Eine eigene Taskforce unter der Leitung der EU-Kommission wird kreiert. Viele der Migranten, die zurzeit auf dem Balkan sind, kommen aus den griechischen Flüchtlingslagern, sie waren oft Monate, manche sogar Jahre dort. Sie haben einfach nichts mehr zu verlieren. (Adelheid Wölfl, 29.5.2018)