Wiens neuer Sozial- und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) fordert die Bundesregierung im Antrittsinterview mit dem STANDARD auf, die Finanzierung von Deutschkursen für Flüchtlinge ab dem ersten Tag ab Antragsstellung auf Asyl sicherzustellen. Wie berichtet, sollen Flüchtlinge laut dem Reformvorhaben von Türkis-Blau nur dann volle Mindestsicherung erhalten, wenn sie ausreichend Deutschkenntnisse nachweisen können.

Nach einem Angebot von ausreichend Deutschkursen "schaut es aber gar nicht aus", kritisiert Hacker den Bund. "Es werden, ganz im Gegenteil, Deutschkurse von der Regierung gestrichen."

Regine Hendrich

Kein Flüchtlingskoordinator in Wien mehr

Seine Funktion als Flüchtlingskoordinator gibt Hacker als Stadtrat ab, sie wird aber auch nicht nachbesetzt: "Wir sehen keinen Bedarf." Hacker hatte diese Funktion seit den großen Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 inne.

Hacker, der seit 2001 Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien (FSW) war, spricht sich außerdem für eine "grundlegende Debatte über die Reform des Pflegesystems" aus. "Ich bin kein ultimativer Fan des Pflegegelds." Er plädiert dafür, die Pflegestufen zu streichen, Geld solle nach erbrachter Leistung fließen.

Einsparungspotenzial ortet er im Spitalsbereich. So sollen Patienten schneller aus Spitälern entlassen werden, danach aber noch Pflege und Betreuung erhalten.

STANDARD: Schon 2004 wurden Sie erstmals als Sozialstadtrat in Wien gehandelt. Wieso konnten Sie jetzt dazu überredet werden?

Hacker: Es waren zwei intensive Tage, darüber nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen. Aber Michael Ludwig hat mich mit dem Argument überzeugt, dass er Personen für sein Team sucht, die Berufserfahrung einbringen und klare gesellschaftspolitische Meinungen haben. Das Team funktioniert hervorragend, wir haben Spaß miteinander. Wir brauchen keine Regierungskoordinatoren, die sich ausmachen, was wir denken und sprechen sollen. Wir haben einen schnellen Draht zueinander, telefonieren pausenlos, schicken SMS oder Whatsapp.

STANDARD: Noch im Februar haben Sie gesagt: "Ich habe kein Bedürfnis, meine Jobsituation zu ändern." Wieso sind Sie jetzt dennoch Stadtrat?

Hacker: Es ist nicht so, dass das auf meiner Agenda gestanden ist. Ich wollte früher einmal Feuerwehrmann oder Lokomotivführer werden. Von mir aus war der Ehrgeiz nicht da, Stadtrat zu werden. Ich habe aber ein riesiges Bedürfnis, für die Stadt und ihre Menschen zu gestalten. Jetzt habe ich die Letztverantwortung für das, was wir im Ressort tun.

STANDARD: Bei der Präsentation seines Teams fiel von Ludwig der Satz: "Im Zweifelsfall entscheidet der Bürgermeister." Wie viel Handlungsspielraum haben Sie?

Hacker: Die Spielregeln sind klar: Er ist Chef des Regierungsteams und hat die Letztentscheidung. Aber auch wenn ich nicht Stadtrat geworden wäre, wäre der Bürgermeister der Chef.

STANDARD: Die Bundesregierung hat eine Reform der Mindestsicherung verkündet. Flüchtlinge sollen den vollen Bezug erhalten, wenn sie Deutschkenntnisse nachweisen. Wird Wien dem nachkommen?

Regine Hendrich

Hacker: Wenn die Regierung das vorhat, dann muss sie auch sicherstellen, dass ab dem ersten Tag ab Antragsstellung auf Asyl Deutschkurse angeboten werden. Das ist eine genuine Aufgabe der Bundesregierung und wäre ein Grundsatz, den man in einer Grundsatzgesetzgebung festlegen könnte. Danach schaut es aber gar nicht aus: Es werden, ganz im Gegenteil, Deutschkurse von der Regierung gestrichen.

STANDARD: Mehr als die Hälfte der Bezieher in Wien sind ausländische Staatsbürger. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?

Hacker: Ich sehe das trocken. Wien hat keine Außengrenze: Es kann keiner nach Wien kommen, der nicht auch durch ein anderes Bundesland gekommen ist. Und für Zuwanderung und Asyl gibt es Zuständige in der Bundesregierung, nicht in den Ländern.

STANDARD: Türkis-Blau will nur noch staatlich organisierte Unterbringung für Flüchtlinge. Private Quartiere sollen aufgelöst werden, die FPÖ fordert Asylzentren am Stadtrand. Was ist der Stand der Gespräche?

Hacker: Wir haben noch keine Gespräche gehabt. Ich hoffe auf einen Termin bei Innenminister Kickl und habe eine klare Meinung: Großquartiere braucht es in der Stadt nicht, und sie kommen für mich nicht infrage. Sie sind auch die teuerste Form der Unterbringung. Integrationsstadtrat Czernohorszky und ich haben auch beschlossen, dass es keinen neuen Flüchtlingskoordinator in Wien mehr geben wird. Wir sehen keinen Bedarf.

Regine Hendrich

STANDARD: Als mittelfristig größte Herausforderung für Wien haben Sie den Bereich Pflege bezeichnet. Sie rechnen mit einer deutlichen Zunahme der Kosten. Wie dramatisch ist die Entwicklung?

Hacker: Ab 2020 werden die Kosten deutlich nach oben springen. Meine Hauptsorge betrifft aber das Personal. Man wird sehen, welche Auswirkungen die Reform der Familienbeihilfe auf die 24-Stunden-Betreuung hat. Wenn auch nur zehn Prozent der Pflegerinnen aus dem Ausland den Job nicht mehr machen, haben wir ein veritables Problem. Wir brauchen eine grundlegende Debatte über die Reform des Pflegesystems. Ich bin kein ultimativer Fan des Pflegegelds.

STANDARD: Was sind Ihre Ideen?

Hacker: Wir müssen die qualitätsvolle Pflege stärker finanziell unterstützen und daher eine Konzentration vornehmen. Steuergelder sollen für tatsächlich erbrachte Leistung eingesetzt werden. Das derzeitige Pflegegeld-System basiert auf einem Hoffnungsprinzip. Wir hoffen, dass die alten Menschen gut gepflegt und betreut werden. Ich fand es immer zynisch, dass im Pflegegeld-Gesetz steht, dass es eine Unterstützung dafür ist, dass sich die Menschen selbst organisieren. Ich halte nichts von Finanzierung by Hoffnung.

Regine Hendrich

STANDARD: Wie kann das anders sichergestellt werden?

Hacker: Wir müssen eine Grundsatzdiskussion über einen Systemumbau führen. Derzeit geben wir Geld auf der Grundlage der Beschreibung des individuellen Pflegebedarfs aus. Das halte ich für nicht so treffsicher.

STANDARD: Das kann mehr Bürokratie bedeuten, wenn alle Leistungen nachgewiesen werden müssen.

Hacker: Das ist die Gefahr dabei. Man kann Bürokratie dämlich, aber auch intelligent gestalten.

STANDARD: Schon 2016 war mit 1,03 Milliarden Euro der größte Budgetposten beim FSW die Pflege. Braucht es Einsparungen?

Hacker: Der FSW erbringt ganz zentrale Leistungen, und es ist gar keine Frage, dass wir diese Leistungen brauchen. Die Effizienzsteigerungen meines Ressorts liegen eher im Verbessern des Zusammenwirkens des Systems Soziales und Gesundheit.

STANDARD: Können Sie Beispiele nennen?

Hacker: Wir müssen uns etwas überlegen für Menschen, die noch nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden können, aber auch kein Hochleistungsspital mehr brauchen. Sie sollen Pflege und Betreuung erhalten, um mit ihrer neuen gesundheitlichen Situation zurechtzukommen. Ziel sind daher bessere Transferierungen, so können wir die Hochleistungsspitäler entlasten und dem Gesamtsystem Aufwand sparen.

STANDARD: Apropos Spital: Sie sind auch für das Krankenhaus Nord zuständig. Wie viel wird es kosten?

Regine Hendrich

Hacker: Ich habe die Führung des Krankenanstaltenverbunds beauftragt, sämtliche Pläne noch einmal durchzudenken. Ich möchte in drei Wochen einen Bericht vom Topmanagement gemeinsam mit dem Management von vor Ort über die wesentlichen Fragen haben. Wann ist das Spital im Vollbetrieb? Wie schaut die Kostenentwicklung aus? Ich möchte auch hören, wo noch Risiken liegen. Erst dann werde ich mich zu diesen Fragen äußern. Danach wird nur noch ein Energiekreis übrig bleiben – und das bin ich.

STANDARD: Sie waren jahrelang Drogenkoordinator der Stadt. Bürgermeister Ludwig hat ein Alkoholverbot am Praterstern erlassen, weitere Alk-Verbote schließt er nicht aus. Was halten Sie davon?

Hacker: Ich habe mein ganzes Leben lang für Freiheit gekämpft. Auf der anderen Seite kann Freiheit nicht heißen, dass jeder auf Kosten anderer immer tun und lassen kann, was er will. Daher ist es die Aufgabe der Politik, zu sagen: Wenn Freiraum missverstanden und fehlinterpretiert wird, muss ein Regulativ eingreifen. Wenn eine Situation ist wie am Praterstern, macht es auch nichts, ein Verbot auszuprobieren. Das finde ich total in Ordnung. Es gehört natürlich dazu, dass wir die bestehenden Sozialmaßnahmen verstärken. (David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 29.5.2018)