Ein Rendering des geplanten Motivs mit dem Schriftzug "I saw this".

Wiener Städtische Versicherung

Die andere Seite des Turms soll eine Computerspielfigur vor einer Explosion zeigen.

Wiener Städtische Versicherung

Mitte Juni soll sie fertig sein, die jährliche Verhüllung des Wiener Ringturms im Auftrag der Wiener Städtischen Versicherung. Gestaltet wird sie diesmal von Gottfried Helnwein. Der Künstler sieht sich in der Tradition von Goya und Picasso, auch sie haben die Kriege ihrer Zeit in ihrer Kunst festgehalten. Das sei eine Notwendigkeit, meint Helnwein. Wir haben ihn per E-Mail in seiner Wahlheimat Los Angeles erreicht.

STANDARD: Wie zu erwarten war, polarisiert Ihre Ringturmverhüllung. Fragt man Leute auf der Straße, dann gibt es positive Stimmen, aber auch jene, die Ihnen Kalkül vorwerfen: Sie würden aus Kriegsleid Kapital schlagen. Was antworten Sie denen?

Helnwein: Vor 200 Jahren hat Francisco Goya die Gräueltaten der Soldaten Napoleons und der aufständischen spanischen Bevölkerung in einer Reihe von Radierungen festgehalten. Es ist das erste Mal in der Kunstgeschichte, dass Krieg nicht als Heldentat und Verherrlichung der Sieger dargestellt wurde, sondern als das, was er wirklich ist: die Bestie Mensch auf seiner niedersten Stufe. Goya ergreift nicht Partei, in seiner Darstellung gibt es nur Verlierer. Leichenberge, Verstümmelte und Wahnsinnige, die sinnlos aufeinander einhacken, stechen und schießen. Es war der verzweifelte, wenn auch wahrscheinlich hoffnungslose Versuch, diesen Irrsinn in seinen Bildern für immer festzuhalten damit die Menschheit diese Ereignisse nie mehr vergessen möge.

Es gibt also in der Kunstgeschichte neben der Hof- und Salonmalerei oder der heute so beliebten Investment-Kunst auch eine Tradition von Künstlern, die sich mit den elementaren Fragen menschlicher Existenz und deren Abgründen auseinandersetzen.

STANDARD: Sie sind mit Ihren Bildern reich geworden. Waren Sie denn selbst nie Investment-Kunst?

Helnwein: Mit der Bezeichnung Investment-Kunst meine ich Objekte, die in erster Linie zum Zweck der Investition und Spekulation für einen kommerziellen Kunstmarkt hergestellt und vermarktet werden. "Pink Ballon Poodles" zum Beispiel. Natürlich können Sie auch Goyas Radierungszyklus "Die Schrecken des Krieges" käuflich erwerben, das degradiert sein Werk noch lange nicht zur "Investment-Kunst".

Helnwein gehört zu den erfolgreichsten lebenden Künstlern Österreichs.
Foto: APA/Herbert Neubauer

STANDARD: Worauf wollen Sie mit der Ringturmverhüllung konkret hinaus?

Helnwein: Die Welt befindet sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch in einem permanenten Kriegszustand. In diesen Kriegen starben 50 Millionen Menschen, ganze Nationen wurden in die Steinzeit zurückgebombt und versanken im Chaos. Keine dieser militärischen Interventionen hat jemals irgendein Problem gelöst oder irgendjemandem geholfen, außer dem Militär, der Rüstungsindustrie und deren Banken. Und da das Geschäft mit dem Tod gar so gut läuft, werden die Kampfhandlungen auf immer neue Länder ausgeweitet. Womit ich mit meiner Arbeit hinaus will? Vielleicht hat meine Arbeit genau mit diesen Dingen zu tun, die ich einfach nicht aus dem Kopf kriege.

STANDARD: Sie meinen, es ginge hier nur ums Geschäft?

Helnwein: Dieser Verdacht kann sich einem schon aufdrängen, wenn man sieht, wie trotz gigantischer Staatsschulden, weltweiter Wirtschaftskrise und Sparmaßnahmen im Sozialbereich, Unterricht und Kultur die Militärbudgets ständig weiter erhöht werden. Noch nie sind so viele Waffen produziert und exportiert worden. Obwohl die Nato jährlich bereits 900 Milliarden Dollar für Rüstung ausgibt, fordern die USA Europa ständig auf, noch mehr aufzurüsten. Man kann sich natürlich fragen ob dieses Geschäft den Preis wirklich wert ist. Madeleine Albright, US Secretary of State, beantwortete diese Frage 1996, in einem Interview in der Fernsehsendung 60 minutes: "500 000 Tote Kinder im Irakkrieg sind den Preis wert".

STANDARD: Sie fühlen sich der 68er-Generation verbunden. Wie sehen Sie diese Revolte 50 Jahre danach?

Helnwein: Die Jugendrevolte der 1960er-Jahre war der letzte Versuch, sich gegen ein System aufzulehnen, das für zwei Weltkriege und den Holocaust verantwortlich war. Die linke Studentenschaft wollte damals den Marsch durch die Institutionen antreten. Bei diesem Marsch haben aber die Institutionen gewonnen. Fischer, Schily und Mahler sind links unten hineinmarschiert, und ganz rechts oben sind sie wieder herausgekommen. Man kann es ruhig sagen: Das amerikanische, raubkapitalistische System hat den endgültigen und totalen Sieg errungen.

STANDARD: Der globale Siegeszug des Kapitalismus hat doch auch Armut verringert.

Helnwein: Noch nie war die Kluft zwischen Arm und Reich so groß wie heute. Das reichste Prozent der Menschheit besitzt heute mehr als der gesamte Rest. Und die Schere geht immer weiter auf.

STANDARD: Die 68er politisierten sich einst an den Gräuelbildern des Vietnamkriegs, die damals erstmals via Fernseher in die Wohnzimmer geliefert wurden. Heute scheint durch die mediale Überfrachtung mit Gewaltbildern eher ein Fluchtreflex einzusetzen. Man will eben nicht mehr hinsehen. Ist das gefährlich?

Helnwein: Der ganze Planet ist fest im Griff eines Systems, das Pasolini schon in den 60er-Jahren als Konsumterror, als den neuen Faschismus bezeichnet hat. Die Überflutung der Menschen mit überflüssigen Konsumprodukten, schwachsinnigem Entertainment, Kitsch und Gewalt in Massenmedien, Filmen und Computerspielen haben die Menschen desensibilisiert und in einen Zustand von Apathie getrieben. Systemkritisches Denken und einen nennenswerten politischen Widerstand gibt es heute kaum mehr.

STANDARD: Auch Ihr Werk schockiert längst nicht mehr so wie in früheren Jahren. Ist beim Kunstpublikum ebenfalls ein Gewöhnungseffekt eingetreten?

Helnwein: Es war nie meine Absicht, irgendjemanden zu schockieren, es ist eher so, dass mich die Gesellschaft, in der ich lebe, immer wieder schockiert. Meine Arbeit ist lediglich ein Versuch, mich dagegen zu wehren und zurückzuschlagen. Bei meiner Retrospektive in der Albertina vor ein paar Jahren war Direktor Klaus Schröder ganz erstaunt, immer wieder Menschen zu sehen, die vor meinen Bildern standen und weinten. Ich erlebe das immer wieder. In einer Museumsausstellung in San Francisco hat mich eine Besucherin spontan umarmt und sich bei mir bedankt, sie sagte "Sie wissen vielleicht gar nicht wie wichtig es ist, dass Sie ihre Bilder gerade hier und jetzt zeigen".

STANDARD: Glauben Sie, dass Ihr Werk die Gesellschaft reflektierter, friedfertiger gemacht hat?

Helnwein: In den letzen Jahren haben mir in Österreich immer wieder Menschen, darunter viele Journalisten, gesagt, dass meine Bilder ein wesentlicher Teil ihrer Kindheit gewesen seien, die sich ihnen schon sehr früh tief eingeprägt hätten. Ich war überrascht und es hat mich sehr berührt. Welcher Maler kann das schon von seinem Werk sagen? Eine Frau hat mir erzählt, dass sie als 14-Jährige das erste Mal meine frühen Arbeiten mit den verwundeten Kindern gesehen hat und völlig erschüttert war. Sie begann zu zittern und zu weinen und brach zusammen. Erst langsam wurde ihr bewusst, dass diese Bilder etwas in ihr aufgewühlt hatten, das sie all die Jahre völlig verdrängt hatte: sie war als Kind missbraucht worden. Sie sagte, dass ihr die Auseinandersetzung mit meinen Bildern letztlich geholfen hätte, das Trauma zu überwinden.

Helnwein vor einem seiner Bilder von verletzten Kindern.
Foto: APA/Gert Eggenberger

STANDARD: Die Frau hat sich den Bildern bewusst im Museum ausgesetzt. Bei der Ringturmverhüllung hängt Ihre Arbeit aber großflächig im öffentlichen Raum. Analog zu den Bauten eines Architekten entkommt man Ihrem Werk hier nicht. Entsteht bei Kunst im öffentlichen Raum nicht ein demokratisches Problem?

Helnwein: Kunst ist niemals demokratisch. Ganz im Gegenteil: Jedes relevante Kunstwerk entsteht durch die willkürliche, eigensinnige und diktatorische Entscheidung eines Künstlers. Ein guter Rat: Wenn Ihnen ein Kunstwerk nicht gefällt: Schauen sie einfach nicht hin!

STANDARD: Welche Aufgabe sollte Kunst im öffentlichen Raum erfüllen? Behübschung, Provokation, ein Bildungsauftrag wie beim öffentlichen Rundfunk?

Helnwein: Kunst braucht keine Aufgaben und keine Regeln, das Einzige, was sie braucht, ist absolute Freiheit. "Kunst darf alles", wie Kandinsky sagt.

STANDARD: Sie leben seit vielen Jahren in L.A. 2018 gab es in den USA bereits 22 sogenannte School-Shootings. Wo liegen die Wurzeln dieser Gewaltausbrüche?

Helnwein: Niemand hat je hinterfragt, warum in Amerika eines Tages Kinder begonnen haben, in Schulen andere Kinder mit Maschinenpistolen niederzumähen. Und inzwischen akzeptieren wir das als Teil des American Way of Life. Wir haben uns daran gewöhnt. Kinder, die Massenmorde an Kindern begehen, das hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit noch niemals gegeben. Das ist neu. Wenn Kinder beginnen, andere Kinder zu töten und sich dann selbst richten, ist das ein sicheres Anzeichen für das Sterben einer Zivilisation. Statt sich um die Erziehung ihre Kindern zu kümmern, stopft man sie hier mit Psychopharmaka voll, überlässt sie dem Internet, und ist froh, wenn man sie los ist. (Stefan Weiss, 30.5.2018)