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Mitte Februar wurde Cyril Ramaphosa als neuer Präsident Südafrikas vereidigt. Einen Tag später hielt er seine erste Rede zur Lage der Nation und sagte dabei der Korruption den Kampf an.

Foto: Reuters

Seinem Zeugnis hat Cyril Ramaphosa wohl selbst nicht ganz vertraut. Kurz vor seinem hundertsten Regierungstag, der in Südafrika wie in anderen Teilen der Welt zum Anlass für eine erste Notenvergabe genommen wird, gab der Präsident noch schnell die künftige Abgabe der Hälfte seines Gehalts zu wohltätigen Zwecken bekannt: Eine publikumswirksame Geste, die den schwerreichen Ex-Geschäftsmann nicht wirklich schmerzt, ihn aber noch klarer als bisher von seinem Vorgänger abheben soll. Jacob Zuma hatte, wie sich nun immer krasser herausstellt, die Staatskasse gnadenlos leergeräumt.

Weil Ramaphosa als Vizepräsident dem Treiben der Zuma-Gang fünf Jahre lang eher untätig zugeschaut hatte, waren sich viele Südafrikaner nicht sicher, ob der neue ANC-Chef alles anders machen und die Gangster hinter Gittern bringen würde: Man fürchtete, der joviale Kumpeltyp sei für solche Eingriffe zu "soft". Doch Ramaphosa hob zu einem fulminanten Start an, indem er Zuma zu seiner vorzeitigen Abdankung als Staatschef zwang: Danach war am Kap der Guten Hoffnung von "Ramaphorie" die Rede – einer Euphorie, die fast an die Zeiten Nelson Mandelas erinnerte.

Schutz vor dem Kadi

100 Tage nach dem Machtantritt Ramaphosas sitzt jedoch noch immer kein einziger der regierenden Räuber hinter Gittern, einige klammern sich sogar noch hartnäckig an ihre Kabinettssessel. Ihre Macht ist zumindest noch so weit in Takt, dass sie nicht ohne weiteres isoliert, entblößt und vor den Kadi gezogen werden können – was vor allem daran liegt, dass Ramaphosa die ANC-Wahl im Dezember nur mit einer hauchdünnen Mehrheit gewann.

Will der Präsident mit seiner Partei die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen gewinnen, ist er auf die Unterstützung der gesamten Organisation angewiesen: Zerbricht der ANC oder zerreibt er sich in Fraktionskämpfen, dann wird die kompromittierte Partei die absolute Mehrheit verlieren. Dann hätte dem Präsidenten auch die beste Regierungsführung nichts genützt. Ramaphosa muss sich derzeit also wie ein gehandikapter Herkules vorkommen: Er soll den Augiasstall ausmisten, darf dazu jedoch statt einer Mistgabel nur einen Federwedel verwenden.

Unter den gegebenen Bedingungen hat der 65-jährige Staatschef bereits Beachtliches erreicht. Außer Zuma zum Rücktritt gezwungen zu haben, hat er zehn Minister geschasst, den umstrittenen Chef der Steuerbehörde suspendiert, die Aufsichtsräte der vier größten Staatsbetriebe ausgewechselt, einen Zuma-nahen Provinzfürsten aus dem Amt entfernt, den Geheimdienstchef versetzt sowie einen neuen, erstmals wieder ernst zu nehmenden Polizeichef eingesetzt.

Morgendämmerung

Auch die Wirtschaft schöpft Mut: Moody's wertete das Kap der Guten Hoffnung wider Erwarten nicht in den Ramsch-Status ab, nach jahrelangem Schlingerkurs wird dem Land wieder ein Aufschwung prognostiziert. Ramaphosa spricht vom "New Dawn", der Morgendämmerung, die auch die Bevölkerung genießt. Hatten sich die Südafrikaner nach dem wunderbaren Ende der Apartheid und unter Führung Nelson Mandelas noch als etwas Besonderes betrachtet, war das Gefühl des Auserwähltseins unter Zuma in sein Gegenteil verwandelt worden. Doch jetzt hat das Kap wieder Hoffnung geschöpft.

Wie fundamental der ANC von der Morgendämmerung ergriffen und verwandelt wird, steht nach 100 Ramaphorie-Tagen allerdings lange noch nicht fest. Zumindest drei der neun Provinzen des Landes werden noch immer von Zuma-Freunden geführt: Dessen Patronagesystem hat sich wie ein klebriges Spinnennetz über das gesamte Land ausgebreitet und die ehemalige Befreiungsbewegung in eine Selbstbereicherungsbewegung verwandelt. In Kürze nimmt eine Untersuchungskommission ihre Arbeit auf, die dem "state capture", der Geiselnahme des Staates, nachgehen soll: Nach Einschätzung ihres vorsitzenden Richters braucht sie dafür mindestens zwei Jahre und 66 Millionen Euro. Ob die raffgierigen Comrades danach geläutert sind, muss bezweifelt werden.

Es ist keine faule Ausrede, für die verheerenden Verirrungen der Zuma-Jahre auch die Geschichte Südafrikas verantwortlich zu machen: Wem Hunderte von Jahren lang verwehrt wurde, sein Schicksal selbst mitzugestalten, muss ein opportunistisches Verhältnis zum Glück entwickeln – man nimmt, was man kriegen kann. Noch heute haben schwarze Südafrikaner wirtschaftlich wesentlich weniger als weiße zu sagen – ein Umstand, den Zuma stets zur Rechtfertigung seiner Plünderung bemühte.

Suche nach Gerechtigkeit

Will Ramaphosa alles anders machen, muss er auch die anstößigsten aller südafrikanischen Realitäten angehen: Die derzeit heftig umstrittene Landreform ist eines von zahlreichen Exerzierfeldern dafür. Statt ihre Arme theatralisch in die Luft zu strecken, sollten auch die weißen Südafrikaner mit auf die Suche nach einem gerechteren Land kommen: Schließlich erlebten sie in den vergangenen Zuma-Jahren, was sonst mit dem Land passiert.

Südafrika auf eine tragfähige soziale Grundlage zu stellen ist eine Herausforderung, die Ramaphosa auch in tausend Regierungstagen nicht alleine meistern kann. Doch ein Anfang ist immerhin gemacht. Und ein besserer Proband ist nicht in Sicht. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 30.5.2018)