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Im März 2017 empfing Wladimir Putin Marine Le Pen in Moskau.

Foto: AP/Mikhail Klimentyev

Der ukrainische Politikwissenschafter Anton Schechowzow hat versucht, die Verbindungen zwischen Russland und weit rechts stehender Parteien des Westens auszuleuchten.

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Der Besuch von Russlands Präsident Wladimir Putin in Österreich hat erneut die Debatten über Moskaus außenpolitische Agenda angeheizt, über Putins Netzwerke in Europa und den USA sowie deren jeweils innenpolitische Instrumentalisierung auf beiden Seiten.

Der geopolitische Hintergrund dafür ist durchaus prekär: Spätestens seit Ausbruch des Krieges in der Ostukraine und der Annexion der Krim begegnet der Westen Russland mit äußerster Vorsicht und traut weder den Machthabern im Kreml über den Weg noch dem weiteren Kreis des politischen und wirtschaftlichen Establishments in Moskau.

Die aufgeheizte Atmosphäre nach dem Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Agenten Sergej Skripal in Großbritannien oder die Dauerdebatte über die Einflussnahme Moskaus auf die US-Präsidentschaftswahl des Jahres 2016 machen dies nur allzu deutlich. Umgekehrt interpretiert Russland Kritik aus dem Westen in der Regel als Beleg dafür, dass man sich dort gegen Moskau verschworen hat und einen nur halbherzig verborgenen, dafür aber umso erbitterteren Feldzug gegen russische Eigenständigkeit, Stärke und Würde führt.

Strategien medialer Beeinflussung tragen ihr Übriges zu einer Gemengelage bei, in der die klassische Diplomatie, die selbst zur Zeit des Kalten Krieges für offene Gesprächskanäle gesorgt hat, oft nur noch schwer Tritt fassen kann.

Desinformation, Ängste und Stereotype

Besonders umstritten sind in diesem Zusammenhang die Kontakte Russlands zu Vertretern weit rechts stehender Parteien des Westens. Die Debatte darüber ist aber nicht einfach zu führen, zumal sie sich durch ein kaum überschaubares Gestrüpp aus Desinformation, Stereotypen und bisweilen diffusen Ängsten bewegen muss. Der ukrainische Autor und Politikwissenschafter Anton Schechowzow, derzeit Visiting Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), hat deshalb den Versuch unternommen, diese Verbindungen systematisch auszuleuchten.

Herausgekommen ist dabei sein – vorläufig nur auf Englisch erschienenes – Buch Russia and the Western Far Right: Tango noir.

Schechowzow's Buch erschien vor Kurzem bei Routledge.

Dass sich der Haupttitel wohl am ehesten mit "Russland und die westliche extreme Rechte" übersetzen ließe, gibt einen ersten Eindruck von der terminologischen Komplexität des Themas. Dem deutschen Begriff "rechtsextrem" ist, wohl vor allem aus historischen Gründen, eine Radikalität zu eigen, die in anderen Sprachen weniger stark spürbar ist – etwa wenn man im Zusammenhang mit dem französischen Front National von der "extrême droite", der extremen Rechten, spricht.

Das dem englischen "far right" entsprechende "weit rechts stehend" wirkt im Deutschen wiederum eher sperrig, was nichts daran ändert, dass einige der Parteien und Gruppen, die in Schechowzows Buch vorkommen, die Bezeichnung "rechtsextrem" für sich wohl entschieden ablehnen würden.

Verbindungen schon vor 100 Jahren

Schechowzow konzentriert sich in seiner Analyse zwar auf die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit, liefert aber auch einen breiteren historischen Kontext mit. Bereits vor fast 100 Jahren hätten demnach ultranationalistische Kreise in Deutschland die Nähe zur damals noch jungen Sowjetunion gesucht, um sich Komplizen für ihre Gegnerschaft zu Großbritannien und Frankreich zu sichern. Den Sowjets wiederum sei das nicht unrecht gewesen, da sie darin – allen ideologischen Differenzen zum Trotz – eine Möglichkeit gesehen hätten, ihre geopolitische Isolation nach Westen hin zu durchbrechen.

Heute, so folgert Schechowzow, sei das Bild nicht unähnlich. Abermals würden rechtsextreme Kräfte in Europa und den USA sich im Kampf gegen liberale Demokratie und Multikulturalismus an der Seite Moskaus sehen, während man dort erfreut sei über die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe im westlichen politischen Diskurs Fuß zu fassen und gleichzeitig in ihnen Unterstützer zu finden für die Durchsetzung eigener strategischer Interessen, insbesondere in anderen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.

Darüber hinaus würden natürlich auch rechtsextreme Gruppen beider Seiten untereinander Kontakte pflegen. Die Wurzeln für diese Entwicklung sieht Schechowzow bereits am Anfang der 1990er-Jahre, als einige russische Ultranationalisten schon allein deshalb Beziehungen zu westlichen Gesinnungsgenossen knüpften, um ihre Position innerhalb der heimischen nationalen Szene durch vorzeigbare Auslandskontakte zu konsolidieren.

Zäsur durch "Farbrevolutionen"

Was das Russland der Putin-Ära betrifft, so spricht Schechowzow von einer Zäsur durch die sogenannten "Farbrevolutionen" im postsowjetischen Raum, also etwa die Rosenrevolution in Georgien 2003 oder die Orange Revolution in der Ukraine 2004. Der Kreml habe diese Entwicklungen als vom Westen gesteuerte Versuche wahrgenommen, den russischen Einfluss in der Region zu untergraben, und sei deshalb seinerseits dazu übergegangen, einen antiwestlichen, insbesondere antiamerikanischen Diskurs zu etablieren und diesen auch in westlichen Staaten selbst zu fördern.

Die dadurch neu geknüpften Bande hätten Russland auch direkte Vorteile verschafft, etwa durch freundlich gesonnene "Wahlbeobachter" in Staaten des – aus russischer Sicht – "nahen Auslands", also dort, wo Moskau seine legitime Einflusszone sieht. Auch beim Referendum über den Status der Krim im Jahr 2014 sollten inoffizielle "Wahlbeobachter", darunter Politiker der FPÖ, zum Bild einer legitimen Abstimmung beitragen.

Der Georgien-Krieg als Meilenstein

Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der Beziehungen zwischen Kreml-nahen Kreisen und westlichen Aktivisten am rechten Rand des politischen Spektrums sind der Georgien-Krieg im August 2008 und die heftige internationale Kritik an Russland, die dieser auslöste: "In Moskau gelangten viele zur Ansicht, dass Russland zwar den Krieg gewonnen, aber den Informationskrieg verloren hatte", erklärte Schechowzow kürzlich bei einer Buchpräsentation in Wien.

In weiterer Folge hätten sich staatsnahe russische Medien immer weniger darauf beschränkt, die Absichten russischer Außenpolitik in einem guten Licht zu präsentieren, und seien vielmehr auf ein neues Narrativ eingeschwenkt: Der Westen, so lasse es sich ungefähr beschreiben, sei nicht wirklich in der Lage, die russischen Absichten korrekt einzuschätzen, da seine liberaldemokratischen Gesellschaften dekadent seien und sich durch gescheiterten Multikulturalismus sowie mangelnden Respekt vor den Rechten der Mehrheit in einer tiefen moralischen Krise befänden.

Kritik "aus erster Hand"

Zu jenem Narrativ würden seither auch rechtsextreme Stichwortgeber aus Europa und Amerika durch zahlreiche Medienauftritte beitragen – sowohl für ein westliches Publikum, um dieses gegen die eigenen Eliten aufzubringen, als auch für ein russisches, dem die vermeintlichen gesellschaftspolitischen Schwächen der EU und der USA quasi aus erster Hand vor Augen geführt werden sollten.

Allen diesen Szenarien zum Trotz ortet Schechowzow in der russischen Führung einen starken Willen, offiziell vor allem auf Verbündete unter den politischen Eliten des Westens zu setzen. Mit anderen Worten: Wer etwa mit der "illiberalen Demokratie" des ungarischen Premierministers Viktor Orbán liebäugelt, muss sich nicht auch mit der rechtsextremen Oppositionspartei Jobbik abgeben.

Nur dort, wo die potenziellen Verbündeten an Macht verlören, würde es Sinn machen, die Hand nach rechten systemkritischen Parteien auszustrecken. So sei es auch im jüngsten französischen Präsidentschaftswahlkampf gewesen: Moskau habe zunächst den konservativen, als russlandfreundlich geltenden Kandidaten François Fillon unterstützt. Erst als dessen Stern im Sinken war, habe man sich wieder Marine Le Pen und ihrem Front National zugewandt.

Plan A und Plan B

Plan A und Plan B nennt Schechowzow die beiden Teile dieses Konzepts. Was Moskaus Verhältnis zur FPÖ betrifft, die mit der Kreml-Partei Einiges Russland 2016 einen Kooperationsvertrag abgeschlossen hat, so wurde aus dem einstigen Plan B nun sogar ein Plan A: Immerhin ist die FPÖ nun Regierungspartei.

Moskau steht der EU als Verhandlungspartner prinzipiell skeptisch gegenüber und setzt stattdessen lieber auf bilaterale Diplomatie. Das kleine, neutrale Österreich, Sitz zahlreicher internationaler Organisationen, ist aus russischer Sicht ein guter Ansprechpartner innerhalb der EU. Das hat Tradition.

Dennoch: Das, was Schechowzow als Plan A der Moskauer Kontaktpflege bezeichnet, ist ein Grund, warum die internationale Öffentlichkeit Putins Besuch in Wien diesmal besonders aufmerksam verfolgen wird – ungeachtet dessen, dass Russlands Beziehungen zu Österreich auch davor stets wesentlich besser waren als die zur Europäischen Union als Ganzes. (Gerald Schubert, 4.6.2018)

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DER STANDARD