Moskau – Der Täter wartete im Hauseingang. Als Arkadi Babtschenko am Dienstag vom Einkauf zurückkehrte, schoss ihm ein Unbekannter in den Rücken. Seine Frau fand den 41-Jährigen blutüberströmt im Korridor, auf dem Weg ins Krankenhaus starb der Journalist an den Verletzungen. Die Herangehensweise erinnert stark an einen professionellen Auftragskiller. Drei Schüsse gab der Täter auf Babtschenko ab, der offensichtlich beschattet wurde. Seine Frau erklärte später, sie habe keine Schüsse, sondern nur ein Ploppen gehört, das vermutlich vom Schalldämpfer der Pistole stammte.

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Der Tatort: ein einfacher Wohnblock in Kiew.
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Inzwischen gibt es Phantombilder von dem mutmaßlichen Täter. Es soll sich um einen etwa 1,80 Meter großen Mann mittlerer Statur zwischen 40 und 45 Jahren mit Bauch- und Bartansatz handeln. Die Polizei wertet Überwachungskameras in der Nähe des Tatorts aus und spricht von einem möglichen Komplizen des Killers.

Viele Feinde

Babtschenko hat sich im Leben eine Menge Feinde gemacht: Der gebürtige Moskauer ist als Schriftsteller und Kriegsreporter über die Grenzen Russlands hinaus bekannt geworden, hatte seine Erlebnisse als Soldat in den Tschetschenien-Kriegen später in Artikeln und Büchern – in deutscher Übersetzung als "Die Farbe des Krieges" und "Ein guter Ort zum Sterben" erschienen – verarbeitet und dabei die russische Regierung scharf kritisiert. Er arbeitete unter anderem für die kremlkritische "Nowaja Gaseta", für die auch die 2006 ebenfalls in einem Hauseingang erschossene Anna Politkowskaja tätig war. Er kritisierte als Kriegsreporter den russischen Fünftagekrieg in Georgien 2008 und später auch den Syrien-Konflikt. Todfeinde hatte er sich auch bei den prorussischen Separatisten im Donbass gemacht, wo er in zahlreichen Reportagen Position für die ukrainische Armee bezog.

Häufig polarisierten seine kompromisslosen Aussagen: So verstieg er sich zur provozierenden Aussage, im Abrahams-Panzer unter Nato-Flagge die Twerskaja entlang fahren zu wollen. Nach einem Flugzeugabsturz 2016 über Sotschi, bei dem Mitglieder eines Militärorchesters, russische Journalisten, aber auch die Notfallärztin und humanitäre Aktivistin Jelisaweta Glinka ("Doktor Lisa") auf dem Weg nach Syrien ums Leben kamen, verweigerte er öffentlich Beileidsbekundungen, weil die Opfer seiner Aussage nach auch "nach dem Tod (anderer) weiter zur Unterstützung der Obrigkeit gesungen und getanzt, oder von den TV-Bildschirmen Schmutz ausgeschüttet haben."

In Kiew wird des ermordeten Reporters gedacht.
Foto: AFP PHOTO / Vasily MAXIMOV

Drohungen zuhauf

Anschließend forderten Parlamentarier wie der skandalträchtige Witali Milonow die Ausweisung Babtschenkos und sogar den Entzug der russischen Staatsbürgerschaft. Die kremlnahe Website "Life" bewarb ein Videospiel, in dem man Babtschenko und andere "Volksfeinde" zusammenschlagen konnte. Wegen diverser Drohungen und fehlender Arbeitsmöglichkeiten verließ der Journalist 2017 schließlich Russland. Zuletzt arbeitete er beim krimtatarischen Fernsehsender ATR in Kiew.

Nach seinem Tod überhäufen sich nun russische und ukrainische Stellen mit Schuldzuweisungen: "Ich bin davon überzeugt, dass die russische totalitäre Maschinerie ihm seine Ehrlichkeit und Prinzipientreue nicht verziehen hat", kommentierte der ukrainische Premier Wolodymyr Hrojsman den Mord. Babtschenko sei ein "echter Freund der Ukraine" gewesen, der der Welt "die Wahrheit über die russische Aggression berichtet" habe.

Ähnliche Verdächtigungen äußerte der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin auf einer UN-Sitzung: "Es ist zu früh, davon zu sprechen, wer dahintersteckt. Allerdings veranlasst uns das Verstehen analoger Vorfälle zu denken, dass Russland verschiedene Taktiken zur Destabilisierung der Ukraine nutzt und beispielsweise Terroranschläge, Sabotage und politische Morde verübt", sagte er. Babtschenko habe wegen der Bedrohungen in Moskau seine Heimat verlassen müssen, erklärte der Minister.

Gegenseitige Vorwürfe

Das russische Außenministerium hingegen verwies darauf, dass die Gewalt gegen Medien in der Ukraine "unaufhörlich steigt". "Blutige Verbrechen und totale Straflosigkeit sind Routine für das Kiewer Regime geworden", heißt es in einer Mitteilung des Außenamts, in dem zugleich die schnellstmögliche Aufklärung gefordert wird. Zugleich hat auch die russische Ermittlungsbehörde ein Verfahren eingeleitet, da Babtschenko immer noch die russische Staatsbürgerschaft besaß.

Russische Medien erklärten, die Gefahr in Russland habe sich Babtschenko eingebildet, in der Ukraine sei sie jedoch real gewesen. Babtschenko habe den Russen als Überlebensstrategie das Ausreisen empfohlen. Doch am eigenen Beispiel sei demonstriert worden, "dass das nicht die beste, sondern die schlechteste Strategie ist", höhnte der Autor der nationalistischen Internetzeitung "Wsgljad", Anton Krylow. Vielfach wird der Mord als Provokation dargestellt, um den Kreml vor der Fußball-Weltmeisterschaft zu diskreditieren.

An dem Zaun, der die russische Botschaft in Kiew schützt, bringen Aktivisten Bilder des getöteten Journalisten an.
Foto: AFP PHOTO / Sergei SUPINSKY

Verwiesen wird auf die ungeklärten Todesfälle anderer Journalisten in Kiew. So wurde vor zwei Jahren der aus Weißrussland stammende, aber lange in Russland tätige Journalist Pawel Scheremet in die Luft gesprengt, der vor seinem Tod sowohl Kremlchef Wladimir Putin als auch den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko kritisiert hatte. Bis heute sind die Täter nicht gefasst. Noch ein Jahr früher wurde der prorussische Publizist Oles Busina erschossen, die mutmaßlichen Täter – ukrainische Nationalisten – kamen aber wieder auf freien Fuß.

Nicht der einzige ungeklärte Todesfall

Allerdings sind ungeklärte Todesfälle auch in Russland keine Seltenheit. Nicht nur Politkowskaja, auch ihre Kollegin Natalja Estemirowa und, als jüngeres Beispiel, der Oppositionelle Boris Nemzow wurden ermordet, ohne dass die Hintermänner gefasst wurden. Stets hatte der Kreml die Taten – übrigens auch im Ausland die Vergiftung Alexander Litwinenkos oder jüngst Sergej Skripals – als Handlungen zur Diskreditierung Russlands bezeichnet.

Der russische Satiriker Wiktor Schenderowitsch lässt diese These nicht gelten: Seit dem Tod Politkowskajas "sind Morde und eigenartige Todesfälle politischer Opponenten zur Norm geworden, und jedes Mal werden wir mit derselben verfaulten verschwörungstheoretischen Geschmacklosigkeit abgefüttert", dass ihr Tod den Putin-Gegnern nütze, erregte er sich. Die russischen Sicherheitsorgane hätten mit der Tat einmal mehr bewiesen, dass ihr Arm auch ins Ausland reiche. (André Ballin aus Moskau, 30.5.2018)