Donald Trump hat schon mehrfach signalisiert, dass er bisherige Abkommen nicht einhalten möchte.

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Was bleibt noch? Was wird noch übrig sein von der "amerikanischen" Weltordnung, wenn Donald Trump die Abrissbirne richtig zum Schwingen bringt? Was, wenn sein Zerstörungswerk nicht nach vier Jahren beendet ist, sondern er sich in einer zweiten Amtszeit ab 2021 mit voller Kraft dafür einsetzt?

Bremsfaktoren, die den US-Präsidenten hemmten, sobald er seiner wuchtigen Polemik Taten folgen lassen wollte, gibt es seit diesem Frühjahr nicht mehr. Im Weißen Haus ist er fast nur von Ratgebern umringt, die ihn eher in seinen disruptiven Instinkten bestärken. Sei es Hardliner John Bolton an der Spitze des Nationalen Sicherheitsrats oder Protektionist Peter Navarro als Spiritus Rector im Kreis seiner Wirtschaftsberater. Es fühlt sich an wie eine Zeitenwende, zumal Trump jetzt Ernst macht. Mit Importzöllen, erst auf Stahl und Aluminium, womöglich bald auch auf Autos. Mit dem Abschied vom Iran-Deal, der wie sonst nichts jenes "America alone" symbolisiert, auf das sein "America first" in der Praxis häufig hinauszulaufen scheint.

Kein Gewinn ohne Verlierer

Trump tut, was er im Wahlkampf ankündigte. Unbeirrt, mit diebischer Freude an der Konfrontation. Konnte man auf Kampagnenbühnen noch den Eindruck gewinnen, als hätte er seine Botschaft nur auf die Stimmung der Stunde zugeschnitten, jederzeit bereit, sie später im Oval Office der Realität anzupassen, so wird nun klar: Der Mann handelt aus tiefen Überzeugungen, an denen sich so schnell nichts ändern wird. Er versucht tatsächlich, die liberale Ordnung auszuhebeln.

Deren Grundidee, dass alle profitieren, wenn sie nach allgemeingültigen Regeln spielen, und das Wachstum des einen nicht auf Kosten des anderen gehen muss, ist in seinen Augen naives Wunschdenken jener politischen Klasse, die seit 1945 bestimmt, welchen Kurs die USA einschlagen. Win-win-Situationen hält er für eine Illusion, seine Weltsicht kennt nur Nullsummenspiele: Wo es Gewinner gibt, muss es Verlierer geben. Zu Letzteren rechnet er sein eigenes Land, angeblich über den Tisch gezogen von schlaueren Chinesen, Mexikanern und Deutschen, während eine globalisierungstrunkene Elite in Washington, New York, Los Angeles die nationalen Interessen verkaufe. Mancher Freund, allen voran Deutschland, ist in seinen Augen ein Trittbrettfahrer, der sich weigert, angemessen für den militärischen Schutzschirm zu zahlen, unter dem es sich bequem leben lässt. Auch daher "America first".

Regelbrecher Trump

Amerika an die erste Stelle zu rücken, das bedeute für Trump, sich aus all den Deals zurückzuziehen, auf denen die Nachkriegsordnung basiere, doziert Adam Posen, Direktor des Peterson Institute for Economics, eines Thinktanks in Washington. "Wenn die USA den Rückzug aus ihrer wirtschaftlichen Führungsrolle fortsetzen, werden sie den Rest der Welt, wie auch sich selbst, schmerzhaft treffen", schreibt Posen in der Zeitschrift Foreign Affairs.

Gerade der Ausstieg aus dem Iran-Abkommen bedeutete in diesem Kontext eine Zäsur. Warum, das hat Susan Rice, Sicherheitsberaterin des Präsidenten Barack Obama, in prägnanten Sätzen erklärt. "Kündigen die USA eine internationale Abmachung auf, ohne dass jemand gegen sie verstoßen hätte, untergraben wir, wie unsere Verlässlichkeit und unser Verantwortungsgefühl international wahrgenommen werden." Washington zeige, dass es sich nicht an gemeinsame Regeln halte.

Zustimmung auch von links

Zur nüchternen Analyse gehört aber auch ein Blick auf die Vorgeschichte. Donald Trump ist nicht vom Himmel gefallen. Auch Obama, sein als Weltbürger bejubelter Vorgänger, folgte der Maxime, sich mehr auf die eigene Nation zu besinnen. Dass man besser Brücken in Kansas City baue als in Kerbela oder Bagdad, predigten zuerst die Demokraten, es war ihre Antwort auf die Hybris des Republikaners George W. Bush. Von den Europäern höhere Verteidigungsausgaben zu verlangen gehörte schon unter Obama zum Forderungskatalog des Weißen Hauses. Die Verunsicherung, die der Terror des 11. September 2001 wie auch der Aufstieg Chinas ausgelöst haben, beschränkt sich nicht auf Trumps Wähler. Um es zuzuspitzen: In mancher Hinsicht ist Trump kein Ausreißer, sondern eine Fortsetzung Obamas mit anderer, sehr viel gröberer Sprache.

Ob ihn das politische System mit seinen "checks and balances" einhegen kann, wird davon abhängen, wie die Demokraten bei den Kongresswahlen im November abschneiden. Ob es ihnen gelingt, den Republikanern die Mehrheit im Kongress abzunehmen, getragen vom Anti-Trump-Kampfgeist ihrer hochmotivierten Basis. Garantiert ist der Sieg der Opposition nicht, zumal die Partei nach dem Schock der Niederlage Hillary Clintons zu klären hat, welche Richtung sie nimmt. Und: Auch im Chor der Demokraten fehlt es nicht an Stimmen, die Trumps protektionistische Abschottung, etwa die Stahlzölle, durchaus richtig finden.

Noch ein heilsamer Schock?

Schließlich werden Präsidentschaftswahlen allen Erfahrungswerten nach dort entschieden, wo das Land den Anschluss an die Weltspitze längst verloren hat. Nicht an den Küsten, nicht im Silicon Valley oder in Manhattan, sondern im Rust Belt des Mittleren Westens. Vor allem dort kann sich Trump auf eine noch immer stabile Anhängerschaft stützen.

Was also bleibt von der liberalen Ordnung? Trotz aller Risiken, Gerüchte über ihr Ableben seien stark übertrieben, meint Jake Sullivan, unter Obama Planungsdirektor im Außenministerium. "Sie kann aber nur überdauern, wenn jene, die sie verteidigen, nach vorn treten." Vielleicht würde eine Wiederwahl Trumps die Welt zu dem Schluss kommen lassen, dass es sich bei ihm nicht um ein Kurzzeitphänomen handelt, sondern um die neue US-Normalität. Erst dann, orakelt Sullivan, könnten andere, etwa Chinesen und Europäer, mehr die West- als die Osteuropäer, wirklich bereit sein, nach Alternativen zur "amerikanischen" Ordnung zu suchen. (Frank Herrmann aus Washington, 31.5.2018)