"Die Selbstmord-Schwestern" bei den Wiener Festwochen.

Foto: Judith Buss

Wien – In Jeffrey Eugenides‘ Roman "The Virgin Suicides" ist es biederste Normalität, die alle Beobachter in den Wahnsinn treibt. Die fünf halbwüchsigen Töchter einer US-Mittelstandsfamilie begehen Selbstmord. Ihr Todeswunsch bildet das Rätsel in einer von Frohsinn und zugleich von Enthaltsamkeit dominierten, blitzsauberen, dabei von finsteren Gelüsten geplagten Welt. Unvergesslich das hintergründige Lächeln von Kirsten Dunst in Sofia Coppolas legendärer Verfilmung eines letztlich undurchschaubar bleibenden Stoffs.

Immer ist es der Blick der anderen – hier: der hilflosen Verehrer der Lisbon-Mädchen -, der die Unglücklichen stets aufs Neue dem Tode weiht. Und so steht man auch vor Susanne Kennedys Bühneninstallation "Die Selbstmord Schwestern", Importgut aus den Münchner Kammerspielen, neu montiert und zur Besichtigung freigegeben im Auftrag der Festwochen im Wiener Theater Akzent. Man ist als Betrachter untröstlich, ein Stück weit alleingelassen. Und doch meint man, einem unbekannten Ritual beizuwohnen: einer Leichenfeier zu Ehren einer mit sich – und ihren eigenen Glücksverheißungen – heillos überforderten Kultur.

Ein Schrein mit riesigen Altarflügeln lenkt den Blick auf einen Glasschrein, in dem Schneewittchen als Anatomiepuppe zu Ausstellungszwecken liegt. Cola-Flaschen bilden Grabbeigaben. Papierblumen schmücken vier (männliche) Schauspieler, die wie Tempelpriesterinnen des Wahnsinns hinter Masken mit Manga-Augen verschwinden.

Irdisches Gezänk und kleinlicher Hader

Ambientmusik (Typ: der späte Eno) umwölkt das unbegreifliche Geschehen. Ein androgynes Bildschirmwesen von hoheitlich postsexueller Anmut preist einen Selbsterfahrungstrip an, der auf der Ausschaltung des persönlichen Willens basiert. Irdisches Gezänk und kleinlicher Hader sollen keinen Platz finden in einer Welt der Asepsis, in der nichts als ewige Friedhofsruhe herrscht.

Noch flackern Bilder über die zahlreichen Schirme; Sequenzen mit anonymen Internet-Lolitas, die mit Schminkfarben ihr Heil suchen in der trostlosen Imitation des Erwachsenseins. Aber die Großwetterlage bleibt in Kennedys faszinierender Alptraumwelt unbestimmt.

Keine Fabel belastet die Installation. Stimmen sprechen quälend verzerrt aus dem Off. Zwei, drei bestrumpfte Schritte hoch auf den Altar markieren geradezu exzessive Höhepunkte angewandter Theatralität. Und doch scheint das ganze angespannte Kunstwollen der Moderne aufgehoben in diesem geheimnisvollen Auf und Ab von Gesten und Gedanken. Man kann sich trefflich langweilen in "Die Selbstmord Schwestern". Und muss doch zur Kenntnis nehmen, dass Zeit eben keine Rolle spielen kann und darf, da ja die unerweckten Lisbon-Mädchen in ihren sterilen weißen Hemdchen – allesamt Opfer einer besitzergreifenden männlichen Blicklust – schon lange tot sind.

Die reale Kirsten Dunst

Man erfährt nicht nur einiges Wissenswerte über die reale Kirsten Dunst. Erfahrbar wird die Suggestivität von Zeitangaben und das Beschämende einer Denkweise, die Frauen keine eigene Geschichtlichkeit zugesteht, sondern ihre Lebenszeit in biologischen Zyklen misst.

Man muss mit Blick auf Frau Kennedys installatives Genie vielleicht nicht gleich von einer Neuerfindung des abendländischen Theaters sprechen. Aber man darf fasziniert Querverbindungen zur narkotisierenden Bilderfindungskunst und -lust des jungen Robert Wilson ziehen. Und auf weitere Susanne-Kennedy-Gastspiele in Jolly-bunt-Farben in Wien hoffen. Das aktuelle läuft noch heute, Samstag, und morgen im Theater Akzent. Ein Besuch sei hiermit dringend empfohlen. (Ronald Pohl, 2.6.2018)