Gipfel am 12. Juni? Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un (re.) und Südkoreas Präsident Moon Jae-in wollen sich künftig "regelmäßig" zu direkten Gesprächen treffen

Foto: AFP PHOTO / Dong-A Ilbo / Handout / South Korea OUT

Es hat vielfach den Charakter einer eher absurden Choreografie gehabt und wird einige Zeit hindurch weiter so inszeniert werden. Das Grenzstreifen-Hüpfen und Händchenhalten. Deeskalation – so hört man; Angst vor dem Atom, Gier nach dem Geld, Befehl von oben. Das Nord- und das Südland einer historisch übervollen Halbinsel telefonieren im Staatslenkerrang, ja treffen gar aufeinander in allerhöchster Besetzung, und das im Süd(!)teil des Schauer-Grenzstreifens. Die drei tatsächlich Mächtigen (Putin, Xi und Trump) sitzen quasi am Rand dabei. Wie Eltern im Kindergarten, wenn die Kleinen ein braves Schaustück zum Besten geben (wollen, dürfen, müssen). Vorhergegangen sind weltweit realpolitische und diplomatische Drohungen, reichend vom Liebesentzug der drei Herren bis zu bösen Ruten im Fenster, auf denen wohl lakonisch etwa stand: Achtung, wenigstens Scheinfrieden vorgaukeln sowie gegenseitigen Auslöschungsverzicht! Jedenfalls so tun, als ob!

Es war – nach tagelangen, konzilsgleichen Vorbereitungen, im Zuge derer man mindestens die halben Dogmen neu zu formulieren gedachte – dann so eine Art Politik-Sitcom. Man hat seinen Onkels brav das Erwartete vorgespielt, als bunte, leicht schäbige Staatsoperette; die entzornten Kinder wurden gelobt und stolz getätschelt. Aber warten sie jetzt darauf, belohnt im Nebenzimmer wieder mit dem Raufen anzufangen? Es war – eine Hetz für die Aufgeregten in den Schreib- und TV-Stuben weltweit. Es wird – nun weiter so sein? Es ist – noch immer?

Was nun in diesem Beitrag folgt, ist sicher nicht gültig objektiv, aber das können mehr oder weniger alle Medien in diesem Sonderfall auch nicht sein. Es werden zudem und sowieso nur exemplarisch Sachen erzählt, Leute zitiert, Geschichten mitgeteilt. Zugegeben, auch der Autor war gelegentlich verblüfft bei seiner zumeist gar nicht beabsichtigten Recherche; es sei dazu erlaubt, die Erzählhaltung zu wechseln, das vorsichtige Ich einzuführen nach mehreren Aufenthalten dort drüben, nicht als Tourist, sondern arbeitend in Theatern und Universitäten.

Die meisten haben Angst

Die Conclusio gleich vorweg: So wie wir, die gewohnten Politik- und irgendwie Weltgeschichte-Konsumenten bzw. überhaupt sehr viele sogenannte West-Medien, die Situation und die Aussichten zwischen Nord- und Südkorea sehen, erleben, beurteilen ... so tun das Menschen in Südkorea nicht wirklich. Die Überraschung begann sacht beim Fernsehen. Der alte Trick: Besuchst du ein Land, welches du kaum kennst, dann zappe dich im Hotelzimmer durch alle TV-Kanäle, zwischen 50 bis 100 kriegt man fast überall. In Ostasien (fast egal in welchem Land) bekommst du – inmitten von ein paar oft seltsam einseitigen Globalberichten der paar Medienweltkonzerne – dutzende bunte Rede-Werbe-Shows mit Fress- und Entfettungshilfen, historischem Schmus und ein paar West-Ost-Mischprogrammen zum Aktuellen der Hauptkanäle des Landes und der Provinzen.

Man lernt dort punktuell die Menschen des Landes langsam kennen, das offizielle Verhalten zueinander (Politik) und die Eigenpräsentationen in Sonderfällen (bei den täglichen Katastrophen- und Unfallmeldungen). Und dann, und dort? Wir haben in Europa noch irgendwie die DDR-, Kalter-Krieg-, Nationalbrutalitäten- und die Flüchtlingskatastrophen-Meldungen bei den Nachbarn, mit denen wir ja doch seit Jahrhunderten ungemein verbunden sind, im Kopf, in der Erinnerung. Man nannte das die Berichte von drüben. In Südkorea laufen Berichte über den Norden mit dem steten Herrn Kim Jong-un raumgreifend im Mittelpunkt, solche, die wir europaweit täglich bekommen, bestenfalls unter Sonstiges. Die Grenzlinien-Begrüßungsshow am 27. April wurde zwar auf manchen öffentlichen Großschirmen gezeigt, allein (so ein Bericht von dort) "die Leute duckten sich lieber weg".

Die Medien des zum Teil ja innenpolitisch etwas gebeutelten Landes (immerhin werden dort die Korrupten relativ rasch ins Gefängnis geschmissen) werten aus Realzwängen für einen global interessierten Mitteleuropäer überhaupt recht einseitig. Trump ist der Außenpolitikstar, die Chinesen gelten als übermächtig, mit Japan kommt man ob der Besatzungsgeschichte nicht wirklich zurecht, Russland ist weit, die EU noch weiter, Kulturberichte gibt es kaum, eine Europa-Sehnsucht vor allem im sogenannten Kulturellen ist oft da. Aber jene zumeist liebevollen Leute dort? Diejenigen, die sich über dieses ihr Korea heute überhaupt unterhalten wollen? Vor allem solche, die etwa in Deutschland oder in Österreich studiert haben, die herumreisen konnten? Eine Dolmetscherin: "Die meisten Leute hier geben sich ganz cool, die meisten Leute aber haben Angst." Angst, wovor? "Das alles ist nur ein Theater für Amis und Chinesen. Man will uns den Wohlstand wegnehmen." Ein Uni-Lektor, er war oft in Europa: "Ihr vergleicht da im Westen alles mit Deutschland, mit der DDR und der BRD. Erstens geht es hier um viel mehr Menschen. Zweitens um ganz andere Traditionen, die bei uns eine viel größere Rolle spielen. Und drittens ist die Schere zwischen den Lebensbedingungen ungleich größer als damals in Deutschland, tausend Mal."

Totale Unsicherheiten

Ich frage nach. Irgendwie interessiert man sich – ob dieser Ängste – im Süden dann gar nicht sehr für den Norden? "Die Bilder sind immer die gleichen. Gestellt. Vorgefertigt. In der BRD hat man täglich Berichte aus dem Osten gesehen; inwieweit die gestimmt haben, war sekundär, aber sie waren da. Und in der DDR haben viele Leute durch Westfernsehen sozusagen psychisch überlebt. Hier?" Eine Musikerin: "Fast jeder hat irgendwelche familiären Beziehungen zum Norden. Aber wir haben keine Ahnung. Würde es zu Lockerungen kommen, man wüsste ja nicht einmal, was zu tun ist. Diese totalen Unsicherheiten machen Angst." Ich will wieder mehr wissen. "Koreaner wollen sich nicht in der eigenen Familie blamieren. Wenn wir gar nicht wissen, wer und was da auf uns zukäme. Vielleicht sind die drüben alle schon viel zu weit weg von uns hier. Vielleicht würden wir nie zueinanderfinden?" Ein Schauspieler, er ist brutaler: "Die Leute hier haben Angst, ihren Wohlstand zu verlieren oder wenigstens Einbußen in Kauf nehmen zu müssen, wenn wir uns plötzlich um die Nord-Menschen kümmern sollen." Ich maile mit Freunden. Sie sagen fast nichts zum Aktuellen, erwartbar nach manchen Erfahrungen im Land. Dann heißt es noch: "Der Diktator dort oben will seine Atomprogramme schließen, plötzlich, nachdem er uns noch bis vor ein paar Tagen mit dem Umbringen bedroht hat? Also entweder ist der selbst bald Geschichte – vom chinesischen oder russischen Geheimdienst umgebracht -, oder es hat sich herausgestellt, dass seine ganzen Waffen sowieso schon kaputt sind. Was wir da an Raketen- und Nuklearversuchen vorgeführt bekommen haben in den letzten Monaten, war entweder ein Bluff oder sind chinesische Attrappen gewesen. Und so denken viele hier. Aber das trägt natürlich nicht bei zu einer Beruhigung."

Eine andere Mail. Man macht sich lustig über die gegenseitigen Zusicherungen von einem bevorstehenden "ewigen Frieden innerhalb eines Landes". "Das Regime im Norden hat nur deshalb so lang überlebt, weil es erstens der halb-geheime Umschlagplatz für die Bürgerkriegswaffen in aller Welt ist. Für die arabischen Länder und Afrika vor allem. Und weil zweitens Nordkorea sich Jahrzehnte hindurch als Atommülllager angeboten hat, ohne viel nachzufragen. Wahrscheinlich sind die jetzt voll; oder es ist was passiert, das noch halb Nordostasien verseuchen wird. Und deshalb haben wir Angst und jubeln nicht herum, wie ihr in Europa glaubt, dass das jetzt sein müsste. Vorbild: Fall von Mauer und Ostblock. Damals. In einer anderen Welt und Zeit."

Ich war in einer Akademie für sogenannte moderne Künste. Fast niemand redet über Korea-Politik, man fragt lieber nach bezüglich Trends in Mitteleuropa. Manche aber sagen glatt: "Trump ist toll! Er hat den Atomkrieg von uns abgewendet." Ein anderer Uni-Lektor, er hat den Mauerfall in Berlin live miterlebt: "Wir sind an einer Wende. Zugegeben. Vielleicht. Die Ängste kommen vor allem daher, dass niemand den Wohlstand aufgeben will. Andererseits beten wir fast nur Mitteleuropa und die USA an. Leben in unseren Handy- und Tablets-Zweitwelten. Selbst die Olympischen Spiele eben haben wir so empfunden; das war wie virtuelle Räume und ist jetzt schon egal."

Volle Atommülllager

Eine Musikerin, erst seit kurzem wieder in Südkorea lebend: "Die Hierarchien hier werden ein gelöstes Zusammenfinden der beiden Länder noch jahrelang verhindern. Und diejenigen in der Industrie, den Familienclans, in der bestimmenden Politik werden, schon um die eigene Macht zu erhalten, sagen: Wir wollen jetzt nicht beginnen müssen, jahrelang für diese Verrückten im Norden zu zahlen."

Eine Dolmetschschülerin, 25 Jahre alt: "Weißt du, was schrecklich ist? Niemand traut jemandem mehr. Selbst in den Familien und ganz privat unter Freunden spricht man kaum über Politik. Man weiß ja nicht – denk nur an die DDR oder die Geheimdienste im Kalten Krieg -, wer zur Stasi gehört, zur nördlichen, aber (!) auch zu der von uns." Der andere Uni-Lektor nimmt mich beiseite, er lädt mich auf einen Kaffee ein: "Was ich jetzt sage, klingt nicht gut und würde mir in meinen Arbeitsbereichen sogar ziemliche Schwierigkeiten bereiten, auch wenn fast jeder still zustimmte. Die Leute haben Angst, dass es, käme es zu einer wirklichen Annäherung, zu Grenzöffnungen, zu Wiedervereinigungsversuchen, dass es dann bei uns im Süd-Land zu Aufständen käme. Die Masse hier würde sich die notwendigen Einschränkungen nicht bieten lassen wollen. Denn es strömten dann vielleicht ja nicht ein paar Hunderttausend herunter, die meisten ohne irgendeine Ahnung, wohin sie da kämen, zunächst fast zwei Millionen. Wollen wir eigentlich Flüchtlinge? Ich sage dir, man würde sich gegen die wehren. Ja! Wenn nötig, mit Waffengewalt!" (Otto Brusatti, 2.6.2018)