Wien – "Wir sind Musiker, keine Politiker", meinte Dirigent Yannick Nézet-Séguin, als er während der Tournee mit seinem Philadelphia Orchestra in Brüssel mit Protesten zweier Palästinenserinnen konfrontiert war und deshalb ein Konzert abbrechen musste.

Schon die letzten Auftritte des Klangkörpers in ihrer Heimat wurden von wütenden, doch friedlichen Demonstranten gestört, die sich daran stießen, dass das Ziel der Reise Israel sein sollte. Aus Deutschland wurde von verschärften Sicherheitsvorkehrungen berichtet, im Wiener Musikverein bat vor dem ersten Konzert des zweitägigen Gastspiels Intendant Thomas Angyan darum, der Darbietung in Ruhe zu lauschen – wer etwas sagen wolle, möge es davor tun.

Schon in Philadelphia hatte sich das Orchester zur Meinungsfreiheit bekannt. In Wien nutzte diese gerade einmal ein einziger Demonstrant, während sich ein überdimensional großes Polizeiaufgebot vor dem Haus und vor dem Saal in Bereitschaft hielt.

Und so konnten Chefdirigent und Orchester einmal mehr ihre staunenswerte Symbiose vorführen: Schumanns Vierte geriet zum glänzenden Klangbad, in dem jedoch die Energie absolut stimmte. Wohlig, doch spannungsgeladen wurde mit Schwung und Lust und mit überschießendem Temperament musiziert. Auch bei Brahms' erstem Klavierkonzert legte es Nézet-Séguin auf markante Akzente an, während sich Solistin Hélène Grimaud so viele Freiheiten erlaubte, dass sie es fast schaffte, Dirigent und Orchester aus dem Tritt zu bringen – allerdings nur ein einziges Mal wirklich gefahrvoll.

Mit einer Extraportion Schmiss und Politur, zwischen elegischen Traumepisoden haltlos vorwärtsstürmend erklang schließlich Richard Strauss' Don Juan - auf Hochglanz gebürstet wie die Uniformknöpfe hochrangiger Beamter. (daen, 1.6.2018)