Ein Exzess in Slow-Mo mit Typen von überdreht über superlässig, brutal und uncool bis queer oder ein bisserl bieder: "Crowd".

Foto: Estelle Hanania

Am Ende werden sie sich geprügelt, geliebt und mit Verachtung gestraft haben. Es wird eine wilde Party gewesen sein – ein Exzess aus Hingabe und Eifersucht, Zärtlichkeit und Verlorenheit, Egotrips und Enttäuschungen. Das ist Crowd, die jüngste Arbeit der französisch-österreichischen Choreografin und Künstlerin Gisèle Vienne, noch zu sehen bis Samstag bei den Festwochen in den Gösserhallen.

Ein Tanzstück als Technoparty. Das ist zwar in Wien keine Neuigkeit zwischen den Nineties, als die lokale Company Pilottanzt Techno aufführte, und unseren Zehnerjahren, wenn Doris Uhlich etliche Boom Bodies auf die Bühne wummert. Doch im Vergleich zu diesen Versuchen verstärkt Vienne eine Reihe von Qualitäten, die Crowd definitv zum Masterpiece machen: auf Augenhöhe mit früheren Erfolgen wie Showroomdummies oder This Is How You Will Disappear, die ebenfalls in Österreich zu sehen waren.

Wieder verlegt die 42-jährige Perfektionistin ein Stück Außenwelt auf die Bühne. Diesmal allerdings nicht ein ganzes Waldstück wie bei This Is How You Will Disappear, sondern nur eine vermüllte Gstättn. Die Musik, eine Selektion des Elektronikers Peter Rehberg aus Soundmaterial vorwiegend der 1990er-Jahre, kommt aus dem Off: darunter Jeff Mills, The Martian und viel Underground Resistance.

Slow Motion und Tableaux vivants

Zu Beginn schälen sich nach und nach die Gestalten feierlustiger Youngsters aus der Nacht. Fünfzehn ganz unterschiedliche Typen, von überdreht über superlässig, brutal und uncool bis queer oder ein bisserl bieder. Alle Figuren in dieser Party-Crowd hat Gisèle Vienne zusammen mit den Tänzerinnen und Tänzern sowie dem US-amerikanischen Autor Dennis Cooper komplett ausgearbeitet. So können sich aus dem Zusammentreffen dieser Charaktere auch mehrere kleine Dramen entwickeln.

Die Choreografie ist höllisch schwierig: Die Figuren bewegen sich meist in Slow Motion, erstarren immer wieder zu kurzen Tableaux vivants. Nur selten tanzen sie in "Echtzeit". Die Musik dagegen behält stets ihren normalen Verlauf. So reißt Vienne die Zeitzusammenhänge zwischen dem Hör- und Sichtbaren auseinander, Bild und Bewegung entziehen sich den Sehgewohnheiten und scheinen in einen Live-Film überzuwechseln.

In rasender Langsamkeit werden die Tanzenden durch wilde Brüche und Widersprüche in ihren Gefühlen auf einen Höhepunkt zugetrieben. Die Gruppe synchronisiert sich, zuckt in zackigen Formen, sinkt zu Boden und gleitet ihrer Auflösung entgegen.

Nach hinreißenden hundert Minuten sind alle schmutzig, verschwitzt und erschöpft. Die Nacht räumt die Party weg, bis auf drei Leftovers, deren Verharren ein Open End suggeriert. (Helmut Ploebst, 1.6.2018)