Eine Kanadagans kann die Grenze zwischen Kanada und den USA einfach überfliegen. Das Stahlwerk im Süden Kanadas muss seine Produkte in den USA künftig verzollen.

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Normalerweise vermeidet es Paul Ryan, öffentlich auf Distanz zu seinem Präsidenten zu gehen. Auch dann, wenn er über Kreuz lag mit Donald Trump, hat er bislang allenfalls milden Widerspruch angemeldet. Nach der Entscheidung, Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte auch gegen die EU-Staaten, Kanada und Mexiko zu verhängen, lehnt er sich ungewohnt weit aus dem Fenster.

Statt mit den Verbündeten zu kooperieren, um gegen unfaire Handelspraktiken von Ländern wie China anzugehen, mache Trump die Verbündeten zu Zielscheiben, sagt der Speaker des Repräsentantenhauses. "Es gibt bessere Wege, amerikanischen Arbeitern und Konsumenten zu helfen."

Furcht vor Vergeltung

Ryan vertritt einen Wahlkreis in Wisconsin, wo die Motorradmarke Harley-Davidson ihr Hauptquartier hat, jene Marke, die nun wie etwa die Whiskey-Brenner Kentuckys mit der Vergeltung der Europäer rechnen muss. Im November wird sich der Speaker nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Die neue Freiheit mag ihn bewogen haben, sich aus der Deckung zu wagen.

Und deutlich zu machen, wie sehr Teile der Republikanischen Partei mit dem Protektionisten Trump fremdeln. Jahrzehntelang waren es die Anhänger möglichst schrankenlosen Welthandels, die bei den Konservativen, ausgeprägter als bei den Demokraten, den Ton angaben. Zwar gibt es eine starke Fraktion, die seit Trumps Wahlsieg mit dem populistischen Strom schwimmt. Doch das Ende der Ausnahmeregelung für Nachbarn und Alliierte lässt die Freihändler Farbe bekennen.

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Paul Ryan kritisierte US-Präsident Trump zuletzt schärfer als gewohnt. Sein Wahlkreis in Wisconsin könnte unter den vom Weißen Haus verhängten Zöllen leiden.
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"Es ist einfach dumm", wettert Ben Sasse, ein Senator aus dem Präriestaat Nebraska. "Man behandelt seine Verbündeten nicht wie seine Gegner." Das Land, warnt Sasse, habe diese Route schon einmal genommen. Pauschaler Protektionismus habe maßgeblich dazu beigetragen, es in die Große Depression zu stürzen. Trumps "Make America great again" dürfe nicht bedeuten, die USA ins Jahr 1929 zurückzuführen, nach dem Motto "Make America 1929 again".

Neue Abschottungsimpulse

Damals stimmte das Abgeordnetenhaus für die "Smoot-Hawley Tariffs", eine nach seinen Initiatoren Reed Smoot und Willis Hawley benanntes Initiative, die schließlich Gesetzeskraft erlangte und die höchsten Zollsätze der US-Geschichte einführte. Statt der eigenen Wirtschaft den erhofften Wachstumsschub zu verleihen, verstärkte die Novelle rund um den Globus Abschottungsimpulse und trug damit zur Verschärfung der Weltwirtschaftskrise bei.

Justin Trudeau (links) und lehnte eine zeitlich befristete Verlängerung des Freihandelsabkommens zwischen den USA und Kanada (Nafta) ab.
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Trump, schreibt die angesehene Onlineplattform Axios über die Debatten hinter den Kulissen, habe offenbar geglaubt, zentralen Handelspartnern mit der Androhung von Zöllen Zugeständnisse abringen zu können. Er habe "Leben in die Bude" zäher Verhandlungen bringen wollen, zitiert Axios eine anonyme Quelle im Weißen Haus.

Als sich abzeichnete, dass sich die anderen dem Druck nicht beugen würden, habe er die Geduld verloren. Zu dieser Schilderung passen Medienberichte, nach denen Vizepräsident Mike Pence dem kanadischen Premier Justin Trudeau im Zuge der Nafta-Gespräche praktisch die Pistole an die Brust setzte.

Suche nach Kompromissen

Seit Monaten verhandeln die USA mit Kanada und Mexiko über Nachbesserungen an dem 1994 in Kraft getretenen Freihandelsabkommen. Trudeau bot an, nach Washington zu reisen, um nach Kompromissen zu suchen und einen neuen Deal zu besiegeln. Pence ließ ihn daraufhin am Dienstag unverblümt wissen, ein Festhalten an Nafta komme für das Kabinett Trump nur infrage, wenn der neue Vertrag zeitlich begrenzt sei.

Nach fünf Jahren müsse er auslaufen, sofern nicht alle drei Beteiligten seine Verlängerung wünschen. Trudeau lehnte ab, was im Oval Office für massive Verstimmung – und eine Art Trotzreaktion – gesorgt haben soll.

Zeitenwende in der Exportindustrie

Es ist auch diese Episode, die Interessenvertreter der amerikanischen Exportindustrie von einer Zeitenwende sprechen lässt. "Ich beschäftige mich seit vierzig Jahren mit diesen Dingen, und so etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt Rufus Yerxa, Direktor des National Foreign Trade Council, einst eine Schlüsselfigur im Ressort des Handelsbeauftragten der Vereinigten Staaten.

Erstmals seit Generationen habe Washington das Regelbuch für den Umgang mit Partnern aus dem Fenster geworfen. "Nun können wir nicht erwarten, dass sie mit einem 'Business as usual' antworten, während wir auf die Regeln pfeifen." (Frank Herrmann aus Washington, 01.06.2018)