Wie hat der Life Ball in den letzten 25 Jahren Österreich verändert? Ist die Gesellschaft toleranter, bunter, offener geworden? Das Fazit fällt gemischt aus.

Foto: APA/Hochmuth

Conchita Wurst – hier beim Life Ball 2017 – machte im April öffentlich, dass sie seit vielen Jahren HIV-positiv ist. Es folgten nicht nur Dankesworte und Unterstützungsmeldungen, sondern auch zahlreiche Hasspostings. "Stigmatisierung gibt es nach wie vor, und es ist nett, wenn alle so tun, als ob es sie nicht gäbe. Aber es gibt sie", sagt Conchita im STANDARD-Interview.

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Wien – Es war Memos erster Life Ball – und er endete in einem "kleinen Nervenzusammenbruch". Der 31-Jährige war auf dem glitzernden Event und bemerkte: "So viele Gäste hier haben überhaupt keine Ahnung von der Krankheit. Das war bestürzend."

Anfang 2013 bekam der gebürtige Ägypter die Diagnose HIV-positiv – ein Schock, auch wenn da im Vorfeld eine Ahnung war. "Ich hatte zwei Monate zuvor ungeschützten Sex und das Gefühl, es könnte etwas passiert sein. Aber natürlich klammert man sich an die Hoffnung, dass es nicht so ist." Nachdem Memo die schlechte Nachricht erhielt, fuhr er zu seiner besten Freundin – "mit viel Wein und Gummibärchen". Es sei eine eigenartige Situation gewesen. "Ich hatte keine Angst vor den gesundheitlichen, sondern den sozialen Folgen der Krankheit."

Beim Zahnarzt diskriminiert

Er bekam sie zu spüren, wurde etwa beim Zahnarzt diskriminiert: "Dabei sollten gerade Ärzte wissen, dass es keine größere Gefahr gibt, wenn ich Medikamente nehme." Was also hat das Event 25 Jahre nach dem ersten Ball in der Gesellschaft verändert? Ist sie toleranter, bunter geworden?

"Gerade in Österreich, einem katholischen Land, wo sexuelle Minderheiten lange tabuisiert und diskriminiert wurden, war das eine tolle Sache, als der erste Ball stattfand", sagt Wolfgang Wilhelm, Obmann der Aids-Hilfe Wien. Natürlich: Nicht alle Celebrities seien durch tolle Wortspenden zum Thema HIV/Aids aufgefallen. "Aber Gery Keszler leistet konsequente Arbeit. Die Pause im Vorjahr wurde genützt, um das eigentliche Thema wieder in den Vordergrund zu rücken."

Schrille Veranstaltungen für mehr Akzeptanz

In erster Linie geht es beim Life Ball darum, Geld für HIV-Infizierte und Aids-Projekte zu sammeln. Doch das wird im medialen Getöse gerne überhört. Schrille Schminke, wahnwitzige Kostüme, Party bis in die Nacht und ein Bezug zur Schwulen- und Lesbenszene Wiens – darauf wird das Event vielfach reduziert. "Es sind gerade die schrillen Veranstaltungen wie der Life Ball oder die Regenbogenparade, die intensiv dazu beigetragen haben, dass Homosexualität und Geschlechtsidentität akzeptierter als früher sind", sagt Moritz Yvon, Obmann der Homosexuelleninitiative (Hosi) Wien.

Auch der Sieg von Conchita Wurst beim Song Contest habe geholfen. "Die Leute haben gesehen, dass die Welt deswegen nicht untergeht." Es sei der "simple Gewöhnungseffekt", der zu einer "Normalisierung" beigetragen habe. Mittlerweile gehöre der Life Ball zum Selbstverständnis Wiens wie der Opernball oder die Festwochen. "Das Tabu ist in weiten Teilen der Gesellschaft gebrochen", so Yvon. Die Akzeptanz von LGBTI-Personen sei heute nicht mehr mit jener vor zwanzig Jahren zu vergleichen. Mit der Einführung der eingetragenen Partnerschaft sei die Toleranz weiter gestiegen. "Sie ist eine staatliche Anerkennung. Vorher haben sich viele mit dem Thema nicht auseinandergesetzt."Also alles gut? Mitnichten. Es gebe noch immer massive Homo- und Transphobie, berichtet Yvon. Dazu gehören auch Übergriffe auf offener Straße.

Mittlerweile mehr Ansteckungen bei Heteros

Das belegt auch die Studie Queer in Wien, die das IHS Ende 2015 für die Stadt durchführte. Damals gab fast ein Drittel der Befragten an, in den vergangenen zwölf Monaten Gewalt und/oder Diskriminierung erlebt zu haben.

Dass der Life Ball in vielen Köpfen noch immer als "Schwulenevent" verankert ist, erklärt Yvon sich aus der Geburtsstunde der Veranstaltung. "Er war nie ein reines Schwulenevent. Aber der Ball wurde aber aus der Community heraus geboren und lange von ihr getragen. Wahrscheinlich hat sie deshalb auch einen starken Bezug dazu", sagt der Hosi-Chef.

Das Thema HIV/Aids ist aber keineswegs "Lesben- und Schwulenthema": "Die Ansteckungsrate ist unter Heterosexuellen heute sehr viel höher und macht längst die überwiegende Zahl der Neuinfektionen aus."

Für HIV-Infizierte habe sich im letzten Vierteljahrhundert viel geändert, sagt Aids-Hilfe-Obmann Wilhelm. "HIV wurde von einer tödlichen Krankheit zur gut behandelbaren Infektion." Mitte der 1990er Jahre habe man erlebt, dass Kranke dem Tod nochmal vom Schauferl gesprungen sind." Mit den neuen Therapien habe sich die Lebensqualität enorm verbessert – gerade am Arbeitsplatz.

Hasspostings gegen Conchita Wurst

Just dort komme es aber auch heute noch häufig zu Diskriminierung. "Es gibt immer wieder Fälle von Kündigungen und Versetzungen. Kollegen wollen auf einmal keinen Kaffee mehr mit Infizierten trinken." Wilhelm kennt viele mit der Diagnose HIV-positiv, die es nicht einmal der engsten Familie erzählen. "Die Angst, sozial isoliert zu werden, ist zu groß." Seit 2013 gibt es bei der Aids-Hilfe eine Monitoringstelle, wo Diskriminierungen gemeldet werden können.

Dass die Toleranz Östereich noch nicht gänzlich durchdrungen hat, wurde zuletzt im April sichtbar, als Conchita ihre HIV-Infektion öffentlich machte und unzählige Hasspostings als Reaktion kamen.

Warum noch immer solche Reaktionen? Für Wilhelm liegt es am Fehl- oder Halbwissen vieler Menschen. "Dass es zu einer Ansteckung kommen kann, wenn man sich ein Glas teilt, geistert noch immer herum, genauso wie diffuse Ängste. Bei vielen ist die Krankheit noch als tödliche Epidemie im Kopf. Es schwingen außerdem immer klassische Tabuthemen wie Sexualität und Tod mit."

Für Memo bleibt der Life Ball trotz des Unwissens vieler Feiernder ein relevantes Ereignis. Noch wichtiger ist es aber, dass Menschen wie Keszler und Conchita in der Öffentlichkeit über die Krankheit sprechen. Dass sie so lange dafür gebraucht haben, zeigt, wie schwierig das für Infizierte ist." (lhag, ook, 2.6.2018)