In der bosnischen Stadt Velika Kladusa leben Flüchtlinge und Migranten – Syrer, Pakistaner, Afghanen, Iraner, Iraker und Libyer – im Stadtpark in Zelten. Laut UNHCR befinden sind unter ihnen, neben vielen alleinstehenden Männern, auch wieder vermehrt ganze Familien.

Foto: AFP/Barukcic

Die Balkanrouten

Wien – Im Innenministerium sieht ein führender Asyl-Beamter Anzeichen einer möglicherweise erneuten "angespannten Situation" in Sachen Flüchtlinge. Es seien neue Routen über den Balkan entstanden, sagt Peter Webinger, Leiter der dortigen Gruppe Asyl, Migration, Menschenrechte.

Auch beim in Wien ansässigen International Centre for Migration Policy Development (ICMPD), deren Generaldirektor der frühere Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger ist, spricht man von "Warnsignalen" – um sofort wieder abzuschwächen: Zahlenmäßig sei die Situation nicht vergleichbar mit jener von 2015.

Keine konkreten Anzeichen für eine solche Entwicklung sieht man hingegen beim UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. Auch in den betroffenen südosteuropäischen Staaten, stellt sich die Situation anders dar – wie im Folgenden in fünf Punkten geschildert wird:

Kaum illegale Einreisen von Migranten aus Slowenien

Um "neue Migrationsrouten über den Balkan zu vermeiden", wolle er "eindeutige Signale setzen", sagt Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). Tatsächlich gibt es heuer mehr Migranten in den Balkanstaaten. Aber das bedeutet noch nicht, dass sie alle nach Österreich gelangen. Laut dem slowenischen Innenministerium wurden seit Jänner bis jetzt neun (sic!) Personen aus Österreich nach Slowenien zurückgestellt, weil sie illegal die Grenze übertreten hatten.

Laut dem UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hielten sich am 30. Mai in Albanien rund 2000, in Montenegro 1200, in Bosnien-Herzegowina 4800 Flüchtlinge und Migranten auf. Nach Griechenland, Ausgangspunkt der Fluchten über den Balkan, kamen von 1. Jänner bis 24. Mai 11.000 Menschen übers Meer, 2017 waren es im Gesamtjahr 40.000 gewesen; über Land kamen heuer rund 6000 Flüchtlinge.

Missverständnisse in der Nachbarschaft

Das Land wird seit Jahren als Teil der Balkanroute genannt, dabei gehört Slowenien ganz einfach nicht zum Balkan, genauso wenig wie Österreich. Zu der Region werden jene Länder gezählt, die Teil des Osmanischen Reichs waren – und bekanntlich war das Slowenien nie. Aber das ist nicht das einzige Missverständnis der Österreicher, unter dem unsere südlichen Nachbarn zu leiden haben.

Seit zwei Jahren verweist die slowenische Regierung darauf, dass es keinen Grund für die österreichischen Behörden gibt, weiter die Grenzen kontrollieren – trotz Schengenraums. Die Zahlen geben Ljubljana recht. Heuer wurden bisher nur neun Personen, die von Slowenien nach Österreich kamen, zurückgeschickt. Der Großteil der illegalen Migranten wird erwischt. Premier Miro Cerar hat deshalb Sorge, dass "der Geist von Schengen" wegen des Verhaltens Österreichs "langsam stirbt".

Mittel- und Südosteuropa kooperieren seit 2015

Bevor die Balkanroute wirklich geschlossen wurde, trafen sich am 18. Februar 2016 die Polizeidirektoren der betroffenen Staaten von Mazedonien bis Österreich in Zagreb. Seither gibt es keine "offenen Routen" mehr auf dem Balkan. Die Durchreise von Migranten ist jetzt überall illegal, teuer, gefährlich, langsam und wird von allen Behörden an allen Grenzen unterbunden und verhindert.

Das legale, staatlich organisierte "Weiterwinken" war mit März 2016 zu Ende und wird nicht mehr stattfinden. Auch deshalb ist es ein Unsinn davon zu sprechen, eine Route auf dem Balkan "zu schließen". Möglich ist nur eine noch bessere Zusammenarbeit der Staaten und Koordination seitens der EU, die in Planung ist.

Das nächste Treffen der Polizeichefs von sechs betroffenen Staaten findet am 6. Juni in Brdo in Slowenien statt. Am 7. Juni ist ein Sondertreffen in Sarajevo geplant.

Seit heuer suchen Migranten neue Wege auf dem Balkan

Laut der albanischen Regierung kamen im Jänner 162 illegale Migranten aus Griechenland, im Mai war es 2311. Seit heuer versuchen Migranten nicht nur über Mazedonien und Serbien, sondern vermehrt auch über Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina nach Kroatien zu gelangen.

Der Grund liegt darin, dass der Weg über Mazedonien, Bulgarien und Serbien gefährlicher wurde. In Mazedonien und Bulgarien werden Migranten in Lagern festgehalten. Serbien, wo 2016 Tausende "stecken blieben", hat viele zurück in die Heimat geschickt.

Besonders rigide agieren schon lange kroatische Grenzer, sie schossen Donnerstagnacht auf einen Kleinbus mit Migranten, der illegal die bosnische Grenze überquerte. Zwei Minderjährige wurden verletzt. Die Polizei betonte, dass ihr "die Kinder leidtäten", dass es aber ihre Pflicht sei, gegen die Kriminalität zu kämpfen.

Grenzkontrollen Richtung Norden wie gehabt

Die Nachricht kam am Freitag wie eine Neuigkeit daher: Um "verstärkt gegen Kriminalität und illegale Einwanderung vorzugehen", sei österreichische und deutsche Bundes- sowie bayerische Landespolizei am Freitag "erstmals in Dreierstreifen" im Grenzgebiet zwischen beiden Staaten unterwegs, hieß es unter Berufung auf die Münchner Bundespolizeidirektion. Auch am Brenner wollten österreichische und deutsche Bundespolizei nun gemeinsam kontrollieren. In drei Monaten werde Bilanz gezogen.

Allein, solche bi- sowie trilaterale Polizeipatrouillen – Letztere unter Beteiligung Italiens am Brenner in Zügen – gibt es an den Grenzen Österreichs schon seit Jahren. Auch jene im österreich-deutschen Grenzraum. Bayern habe jetzt lediglich "um Verstärkung ersucht" hieß es am Freitag auf Nachfrage im Innenministerium in Wien. (Irene Brickner, Adelheid Wölfl, 2.6.2018)