They ain't buildin' engines like this here anymore ... oh yes, they do!

christian hlinak

Glückliche Gesichter. Überall nur glücklich-selige Gesichter. Wo immer du hinkommst, begegnet dir ein Lächeln, man dreht sich um nach dir. Nach mir? Wohl kaum. Nein, es muss schon etwas anderes sein, was die Menschen in meiner Umgebung so reagieren lässt – die Honda CB1100EX zum Beispiel.

Sogar der Glu, der coole, mit allen Wassern gewaschene und im Stahlbad jahrelanger Testerfahrung ultragehärtete Kollege, wird ganz glückselig. "Hast die CB unten in der Garage g'sehn? Mei, sooooo scheeee!" Seine Augen leuchten so sonst nur, wenn er von seiner Frau, seinem Ford Taunus oder von Herbert und Fridolin erzählt, seinen beiden Lausbuben-Katern.

Ja, ich habe sie gesehen. Ich habe sie ja vom Händler abgeholt und hätte um ein Haar einen Kauf- statt eines Testvertrags unterschrieben. Mannomann, wie kann man die 70er, 80er und 90er gleichzeitig so stimmig in ein Motorrad verpacken?

Eine fast schon endgültige Designlinie, an der die letzten 40 Jahre ziemlich spurlos vorübergegangen sind – im Gegensatz zur Werft in Korneuburg, wohin Kollege Christian Hlinak zum Shooting bat.
christian hlinak

Die Honda CB1100EX triggert bei Menschen jenseits der 35 offenbar die verklärtesten Erinnerungen an ihre Kindheit, Jugend und Adoleszenz. Damals war ja bekanntlich alles besser. Die Extrawurstsemmel, die Tomaten, das Twinni. Und die Motorräder, die wie Motorräder aussahen (aber nicht so bremsten). Räder, Lenker, Tank, Sitzbank, ein bissl Chrom, oft sogar viel Chrom. Und zwei Federbeine, die man nicht irgendwo im Rahmen versteckte, sondern stolz herzeigte. Und man saß herrlich drauf und nicht irgendwie drin wie in einem Transformer-Dings. Hach!

Die Vergangenheit, modern interpretiert

Vielleicht waren die Zeiten besser, aber auf jeden Fall waren sie stinkerter und gefährlicher – zumindest motorradtechnisch. Das führt uns diese Honda schön vor Augen. Sie zitiert all die Vorzüge (waren es wirklich solche?) des Designs von damals – inklusive thronender Sitzposition auf einem breiten Bankl –, macht aber auch laut und vernehmlich klar, dass wir mittlerweile ganz schön weit vorgedrungen sind in ein neues Jahrhundert, ja sogar Jahrtausend. Daher: ordentliche Reifen mit soooo viel Haftung. Bremsen, die dir die Gesetze kinetischer Physik sehr deutlich machen. Ein Fahrwerk, das man damals nur um viel Geld kaufen konnte. Eine Lichtanlage (LED-Technologie), mit der man nicht nur gesehen wird, sondern auch etwas sieht.

Da werkt natürlich kein Vergaser mehr, sondern eine moderne Einspritzanlage, die Euro 4 spielend schafft.
christian hlinak

Doch der Reihe nach. Ja, Kollege Gluschitsch hat recht. Sie ist wunderschön, die CB1100EX. All die Designzitate von früher in der Farbgebung (schwarzer Rahmen, silbergraue Gabelholme, Chrom), bei den Armaturen, der Lichtanlage, den Drahtspeichen ... erinnert alles an die legendäre CB 400 Four, die zufälligerweise bei uns in der Garage steht. Und schon damals legte man bei Honda Wert auf Familienähnlichkeit. Auch die 500er und 750er waren unverkennbar aus dem gleichen Hause.

Doch die aktuelle CB1100EX ist kein altes Motorrad, sie macht bloß auf Retro. Eigentlich hat sie hat sogar maßgeblich dazu beigetragen, die aktuelle Retrowelle auszulösen. Vorgestellt wurde sie in ihrer Urform schon 2009 bei der Tokyo Motor Show und wird seit 2013 in Europa vertrieben. Ihre Oma, die legendäre Honda CB 750 Four, war immerhin das erste Großserienmotorrad mit einem Reihen-Vierzylindermotor. Und auch die CB1100EX ist rund um einen Reihenvierer aufgebaut.

Luftgekühlter Vierzylinder, Made in Japan, Version 2018, und ....
christian hlinak
... die Vorvorvorgänger-Version (mit 400er-Hubraum) aus dem Jahre 1977.
gian

Und was für ein Motor! Ein ziemliches Trumm zwar, das zum stolzen Eigengewicht von rund 250 Kilogramm viel beiträgt, aber das ist egal. Die 1100er ist so agil – sogar in der Stadt –, dass man niemals auf die Idee kommen würde, ein tatsächlich schon recht schweres Moped zu bewegen. Wie das Motorrad schon vom Anschauen her vermuten lassen würde: Dieser Motor ist nicht auf Spitzenleistung ausgelegt, sondern auf Fahrbarkeit im unteren und mittleren Drehzahlbereich.

Da geht es weniger um die 90 PS, da geht es eher um das ordentliche Drehmoment von 91 Nm. Dieses liegt bei 5.500 Touren an, sozusagen im Drehzahlkeller bei einem Vierzylinder. Der Motor geht auch schon bei rund 8.500 Touren in den roten Bereich – da fangen andere, sportlicher ausgelegte Vierzylinder erst an, frei zu atmen. Aber der Punch ist dennoch da. Man kann in der Stadt ruckelfrei mitrollen, auf der Landstraße gemütlich cruisen, aber auch ordentlich Gas geben, wenn es die aktive Sicherheit erfordert oder es einen gerade juckt.

Und schon wieder ein Designzitat in der 2018er-Ausgabe, diese Armaturen ...
christian hlinak
... wussten schon 1977 (und früher) zu gefallen.
gian

Und erst der Sound! Ein Traum! Und das sagt ein eingefleischter Zweizylinder-Enthusiast. Die CB1100EX anzuwerfen und zu fahren klingt so, als ob Jessica Rabbit nach all den Jahren endlich ein Bühnencomeback geben würde! Sehr souverän in allen Tonhöhen, leicht rauchige-kehlige Stimme, ziemlich verführerisch. Aber natürlich hat Jessica längst mit dem Rauchen aufgehört, wir sind mittlerweile am Ende der Zehnerjahre des 21. Jahrhunderts. Ohne Euro-4-Attest würde Jessica keine Gigs – sprich: keine Erstzulassung – mehr bekommen.

Revier: Landstraße

Und das Fahrwerk? Für den gedachten Einsatzbereich absolut in Ordnung. In der Stadt frisst die Honda Kanaldeckel, Straßenbahnschienen und Rillen aller Art problemlos, sänftengleich. Egal ob mit oder ohne Sozia. Auf der kurvigen Landstraße ist aber ihr eigentliches Revier.

Einmal Familienaufstellung geht noch: CB anno 2018 und ...
christian hlinak
... anno 1977. Unverkennbar Oma und Enkelin, vom Schweinwerfer bis zum Hecklicht und zur Nummerntafelhalterung.
gian

Die für moderne Verhältnisse schmale Bereifung (vorne 110er, hinten 140er) ist niemals überfordert und hat sogar den für nicht allzu sportliche Fahrerinnen und Fahrer angenehmen Effekt, dass man mit weniger Schräglage um die gleiche Kurve kommt als mit fetteren Gummiwalzen. Auch die ABS-Bremserei: Ziemlich perfekt, wenngleich nicht einmal Honda die Gesetze der Physik aufheben kann. Also lieber rechtzeitig in die Eisen greifen, dann passt alles.

Einziges – kleines – Manko auf der Fahrwerkseite: Einerseits kommen bei langsamer Fahrt kleine Stöße recht deutlich durch, andererseits ist die Federung doch ziemlich auf der weichen Seite, aber das ist recht typisch für Honda. Wer es lieber auf die harte Tour will, sollte sich für hinten andere Federbeine überlegen (die Gabel vorne hingegen lässt sich mehrfach wunderbar einstellen). Oder aber gleich auf die CB1100RS wechseln. Das ist sozusagen die Café Racer-Variante, fast ohne Chrom, dafür aber mit Alurädern und verstellbaren Federbeinen auch hinten.

Retro as retro can.
christian hlinak

Da man damals in den 70er- und 80er-Jahren noch nicht für jede Lebenslage ein eigenes Motorrad hatte, ist die CB1100EX (und RS natürlich auch) auch absolut reisetauglich, von der Motorcharakteristik und dem Fahrwerk her sowieso, aber auch in Sachen Ergonomie. Die Fahrerin oder der Fahrer sitzt ziemlich aufrecht, die Handgelenke beschweren sich auch nach Stunden noch nicht über ein Zuviel des auf ihnen lastendes Gewichts. Die Sitzbank ist zwar straff gepolstert, aber gleichzeitig breit genug, um auch längere Etappen problemlos meistern zu können. Und da sie nicht in Stufen aufgebaut, sondern gerade ist, sitzt die/der Sozia/us nicht direkt im Wind, sondern gut geschützt direkt hinter dem/der Fahrer/in.

Und das macht sich letztlich auch beim Bremsen angenehm bemerkbar: Da lastet der Druck nicht nur auf den Schultern, sondern verteilt sich idealerweise auf fast den ganzen Rücken. Zudem sind Tank und Heck ausreichend dimensioniert, um die ganze Palette an Gepäckmöglichkeiten zu beherbergen. Problematisch wird es allenfalls bei der maximalen Zuladung: Die beträgt nämlich nur 173 Kilogramm. Das schafft ein g'standener 1970er-Nostalgiker mit Lederkluft und Helm mitunter schon fast alleine – da muss die Begleitung wohl zu Hause bleiben. Oder selber fahren. (Gianluca Wallisch, 24.6.2018)

Was tut man nicht alles für ein cooles Foto ... Kollege Hlinak im Freiwilligeneinsatz.
Foto: gian

Technische Daten (Herstellerangaben)

Motorbauart: Luft- und ölgekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor
Bohrung x Hub (in mm): 73,5 x 67,2
Hubraum (in ccm): 1.14
Verdichtung: 9,5 : 1
Gemischaufbereitung: PGM-FI Benzineinspritzung
Max. Leistung (in kW (PS) bei min-1 (95/1/EC)): 66 (90) bei 7.500
Max. Drehmoment (in Nm bei min-1 (95/1/EC)): 91 bei 5.500
Zündung: Transistorzündung
Starter: Elektrostarter
Motoröl-Füllmenge (in Liter): 4,9Höchstgeschwindigkeit (in km/h): 180
Kraftstoffverbrauch in km/l (l/100 km) nach WMTC: 18,9 km/l (5,3l/100 km)
Abgasnorm: Euro 4
Abgasverhalten (CO2 g/km kombiniert): 123 g/km
Getriebe: 6 Gang
Endantrieb: Kette
Kupplung: Mehrscheiben in Ölbad
Batterie: 12 V / 11,2 Ah
Länge x Breite x Höhe (in mm): 2.200 x 830 x 1.130
Radstand (in mm): 1.490
Lenkkopfwinkel: 27°
Sitzhöhe (in mm): 790
Bodenfreiheit (in mm): 135
Tankinhalt (in Liter): 16,8
Sitzplätze: 2
Rahmen: Stahlrahmen
Nachlauf (in mm): 114
Felge vorne: 18 x 2.50
Felge hinten: 18 x 4.00
Bereifung vorne: 110/80-18
Bereifung hinten: 140/70-18
Radaufhängung vorne: 41 mm Teleskopgabel verstellbar
Radaufhängung hinten: Schwinge, 2 Federbeine
Bremse vorne: ABS, 296 mm Doppelscheibenbremse
Bremse hinten: ABS, 256 mm Einscheibenbremse mit Einkolbenbremszange
Gewicht vollgetankt (in kg): 255
Zul. Gesamtgewicht (in kg): 428
Max. Zuladung (in kg): 173

Preis Österreich: 14.990 Euro inkl. Nova und Mwst.

Hersteller-Link zur Honda CB1100EX

Ohne Heritage keine Zukunft. Die CB110EX hat viel davon.
christian hlinak