Chia oder Goji-Beeren sind in Mode. Doch hoher Nährstoffgehalt wird durch langen Transport reduziert. Eine abwechslungsreiche Ernährung hat zwar Vorzüge, Experten raten aber dazu, öfter zu Regionalem zu greifen.

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Für Popeye war gute Ernährung noch unkompliziert. Brauchte er einen Leistungsschub, um seine Olivia Oyl zu retten, gönnte er sich eine Dose Spinat. Der Effekt trat unmittelbar ein, das Lebensmittel verschaffte ihm übermenschliche Kräfte. Der moderne kalte Spinat aus der Konservendose schien Superfood zu sein. Damit werden exotische Lebensmittel wie Chiasamen, Açaí- oder Goji-Beeren bezeichnet. Sie sollen gesünder, leistungsfähiger, schlanker machen. Neben den großen Versprechungen der Hersteller fällt vor allem eines auf: Diese Lebensmittel werden verhältnismäßig teuer verkauft. Aber sind sie ihren Preis auch wert?

Ernährungswissenschafter Jürgen König, der eine Professur für Spezielle Humanernährung am Institut für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien hat, erklärt sich den Erfolg von Superfood mit einer Unkenntnis über die Zusammensetzung von Lebensmitteln und einer guten Marketingstrategie. "Und nichts anderes ist Superfood, gutes Marketing", sagt er. Und wohl auch die Hoffnung, mit ein paar exotischen Lebensmitteln ungesunde Essgewohnheiten auszugleichen.

Es sei immer die Frage, was man unter "brauchen" verstehe, räumt der Wissenschafter ein. Denn eine abwechslungsreiche Ernährung sei durchaus günstig. Dazu gehöre auch eine breite Auswahl. Dennoch gebe es zu fast jedem sogenannten Superfood, das meist von weit her importiert wird, eine heimische Alternative. Einige dieser Lebensmittel seien aber schlicht aus der Mode gekommen.

Bestes Beispiel für gut, aber altmodisch sind Leinsamen. Es sei relativ schwierig, ein solches "althergebrachtes" Lebensmittel mit einem neuen Begriff wie Superfood zu verknüpfen, sagt König. Dabei können die braunen Samen genauso viel wie Chiasamen. "Sie haben beide einen hohen Anteil an wasserlöslichen Ballaststoffen. Sie binden im Darm gut Wasser und sorgen dafür, dass die Verdauung gut funktioniert." Auch die wertvollen Omega-3-Fettsäuren sind in beiden vorhanden. Einen Unterschied gibt es schon: 100 Gramm Bio-Chiasamen kosten rund einen Euro, die gleiche Menge an Leinsamen ein Viertel.

Kokosöl kein Schlankmacher

Mit einem anderen in den vergangenen Jahren gehypten Lebensmittel geht König härter ins Gericht: "Ich unterteile Lebensmittel ungern in gesund und ungesund. Da das Kokosöl aber einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren hat, sollte man es eher in kleinen Mengen essen. Es sollte auch viel eher Kokosfett heißen." Etwa 82 Prozent gesättigte Fettsäuren stecken im Kokosfett und damit mehr als in Butter.

Wenn man den Geschmack mag und es gelegentlich isst, sei nichts dagegen einzuwenden, so König. Aber prinzipiell konsumieren gerade die Österreicher zu viel gesättigte Fettsäuren, die in tierischen Fetten vorhanden sind. Im heimischen Rapsöl sind hingegen mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten. Diese Omega-3-Fettsäuren, auch Alpha-Linolensäure genannt, kommen auch im Leinöl vor.

Wie sieht es mit Goji- oder Açaí-Beeren aus? Alles, was intensiv orange, rot oder blau ist, weist auf einen hohen Anteil von Polyphenolen hin, erklärt der Ernährungswissenschafter. Diesen werden positive Eigenschaften nachgesagt. König ergänzt: "Aber ob sie im Körper wirklich so wirken wie im Reagenzglas: Da sind viele Forscher skeptisch." Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit habe noch keine einzige gesundheitsbezogene Angabe zugelassen, die mit einem hohen Gehalt an Polyphenolen verbunden ist. Dazu gebe es schlicht keine wissenschaftliche Absicherung.

Auch hier gibt es gute Alternativen: Ein österreichisches "Superfood" ist die Heidelbeere. Die leiste für den menschlichen Körper das Gleiche wie die Goji- oder die Açaí-Beere. Das gilt auch für den Sanddorn, der mit Abstand den höchsten Vitamin-C-Gehalt aller heimischen Früchte hat und international gut mithalten kann. Die Goji-Beere sei vor allem mit der Himbeere gut vergleichbar. Auch die Hagebutte enthalte viel Vitamin C, sagt König: "Nur wer isst heute noch Hagebutte?"

Der Wissenschafter gibt einen weiteren Punkt zu bedenken: Importierte Ware wird in Österreich vor allem getrocknet angeboten. "Wie bei allen Trockenfrüchten ist dadurch ein hoher Energie- und Zuckergehalt vorhanden."

Wenn Lebensmittel weit transportiert werden, beträgt der Nährstoffverlust bis zu 70 Prozent. Daher ist es immer günstiger, saisonal und regional zu essen. "Ein hoher Vitamin-C-Gehalt einer exotischen Frucht nutzt wenig, wenn er beim Transport verlorengeht", sagt König. Das heiße zwar nicht, dass sie wertlos sei, jedoch müsse man sich die Verhältnismäßigkeit des Imports vor Augen halten.

Denn importierte Superfoods haben in der Regel einen bis zu 75-mal so großen CO2-Rucksack wie vergleichbare österreichische Produkte, betont die Umweltschutzorganisation Global 2000.

Schlechte CO2-Bilanz

Gemeinsam mit der Arbeiterkammer Niederösterreich und Südwind untersuchte sie Superfood-Produkte auf Pestizide, Schwermetalle und soziale und ökologische Auswirkungen. Bis zu 13 Pestizide wurden auf Goji-Beeren nachgewiesen, bei Chiasamen-Produkten gab es sogar Überschreitungen der gesetzlichen Pestizid-Höchstwerte. Mehrere der gefundenen Wirkstoffe seien in der EU aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zugelassen, berichtet Waltraud Novak, Pestizid-Expertin bei Global 2000.

In den Herkunftsländern werden diese Stoffe aber weiterhin angewendet. Auch Rückstände von Blei und Cadmium wurden in Goji-Beeren gefunden. Auch wenn bei der Mehrzahl der Produkte keine gesetzlichen Höchstwerte überschritten wurden, würden die vielen Rückstände zeigen, wie es in der Produktion dieser Superfoods aussieht, so Novak.

Alge mit Potenzial

Auch bei Algen werde immer wieder hohe Schwermetallbelastung gefunden. "Algen sind auch deshalb populär geworden, weil Veganer sie als Quelle für Vitamin B12 einsetzen. Das Problem ist: Sie haben gar nicht viel B12", sagt Ernährungswissenschafter König. Es reiche zumindest nicht aus, um einem Mangel vorzubeugen. Allerdings haben Algen durchaus Potenzial: Nori oder Kombu, die schon länger in der japanischen Küche genutzt werden, enthalten viel Jod. Sie können in der veganen Ernährung durchaus eine gesundheitsfördernde Rolle spielen.

Wenn man Lebensmittel bio und fair produziert, dann werden Produkte eben relativ teuer, betont König. "Wir sind aber nicht bereit, für Lebensmittel viel auszugeben. Wir wollen es möglichst billig und wollen möglichst viel davon haben. Das ist ein Ansatz, der dazu führt, dass viel mit Düngemitteln und Pestiziden gearbeitet wird." (Julia Schilly, 9.6.2018)