Manila ist das globale Zentrum für eine Industrie, von der kaum einer etwas weiß. Zehntausende Menschen säubern in der philippinischen Hauptstadt täglich das Internet von Gewalt, Nacktheit oder Terrorpropaganda. Die Berliner Filmemacher Hans Block und Moritz Riesewieck haben sich an ihre Fersen geheftet.

Die im Schatten sieht man nicht – aber sie sind da, sitzen in weit entfernten Ländern, sprechen andere Sprachen und löschen weltweit Postings.
Foto: Gebrüder Beetz Filmproduktion

STANDARD: Bei der Europapremiere Ihres Films gab es eine rege Diskussion mit dem Publikum. Er scheint einen Nerv zu treffen.

Block: Spätestens seit der Wahl von Donald Trump ist vielen klar, dass soziale Medien einen starken Einfluss auf die Gesellschaft haben. Wie der genau aussieht, ist schwer zu beschreiben. Es handelt sich um ein diffuses Gefühl. Ich glaube, was der Film schafft, ist in konkreten Geschichten zu erzählen, welche Konsequenzen soziale Medien haben.

STANDARD: Sie legen den Fokus auf eine bislang kaum behandelte Facette und zeigen die sogenannten Content-Moderatoren bei der Arbeit, die auf den Philippinen für Internetfirmen wie Facebook für wenig Geld im Sekundentakt entscheiden, welche Bilder und Videos gelöscht werden und welche nicht.

Riesewieck: Wir zeigen diejenigen, die aussortieren, diejenigen, die betroffen sind von der Zensur, und diejenigen, die diese Zensur zu verantworten haben, die Vertreter der Internetkonzerne also. Wir spannen ein globales Netz. Was uns wichtig war, war zu schauen, wie die Leute, die diesen Job auf den Philippinen machen, eigentlich sozialisiert sind. Was beeinflusst sie? Zum einen die katholische Religion, die dort das tägliche Verhalten viel mehr bestimmt als bei uns. Zum anderen die Ideologie: Ein Moderator, den wir zeigen, ist Fan von Präsident Duterte. Er sagt, er habe ihn gewählt, weil er die Gesellschaft aufräumt. "Social cleansing" ist eine Ideologie, die weltweit auf dem Vormarsch ist: Sachen zu löschen und aus der Sichtbarkeit zu entfernen, statt sie zu lösen.

STANDARD: Wie schwer war es, an diese Leute heranzukommen?

Block: Die Moderatoren in Manila sind nicht direkt bei Facebook angestellt, sondern bei outgesourcten Firmen. Sie dürfen nicht über ihren Job reden, sondern müssen Codewörter benutzen. Sie sagen nicht "Wir arbeiten für Facebook", sondern "Wir arbeiten für das Honeybadger Project", das "Honigdachsprojekt". Auf dieses Codewort zu kommen, war Detektivarbeit. Darüber sind wir dann an die Mitarbeiter gekommen. Dann mussten wir über lange Zeit ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Denn sie haben alle Schweigepflichterklärungen mit hohen Vertragsstrafen unterzeichnet.

STANDARD: Fanden Sie im Silicon Valley leichter Gesprächspartner?

Block: Die sind mindestens genauso verschlossen. Im Silicon Valley herrscht ein "Code of Silence", das heißt, es wird nicht öffentlich über Probleme gesprochen, schon gar nicht mit Journalisten oder Filmemachern. Im Laufe der Recherche haben wir dutzende Leute bei Facebook angeschrieben – da kam nichts zurück. Der einzige Weg führte über ehemalige Mitarbeiter, die bewusst die Unternehmen verlassen haben. Einige von denen sind im Film zu sehen.

Der Trailer von "The Cleaners".
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STANDARD: Die Moderatoren müssen sich grauenhafte Dinge ansehen: Enthauptungen, Kinderpornografie etc. Sie zeigen den Schrecken nur sehr dosiert. Warum?

Riesewieck: Wir wollen das Publikum ja nicht malträtieren. Wir zeigen ganz oft den Blick der Moderatoren auf den Schrecken, ohne ihn selbst ins Bild zu rücken. Wir fanden allerdings, dass man irgendwann auch zeigen muss, worum es da überhaupt geht.

Block: Letztlich ist das auch eine politische Frage: Was haben wir als Westler für ein Recht, von diesen Bildern unberührt zu bleiben, während die Leute auf den Philippinen ohne jede psychologische Unterstützung damit zugeballert werden?

STANDARD: Was passiert mit Texten? Texte auf Deutsch etwa können doch nicht auf den Philippinen beurteilt werden.

Riesewieck: Leider doch. Wir waren zum Beispiel überrascht, dass die Moderatoren in Manila tatsächlich einen dreitägigen Kurs bekommen haben, um Nazisprache und Nazisymbole zu erkennen. Die wussten, dass "88" "Heil Hitler" bedeutet. Als Reaktion auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gibt es mittlerweile zwar auch Standorte in Spandau und in Essen, mit denen Facebook zeigen will: Wir haben da qualifizierte Leute dran sitzen – bezogen auf die ganze Welt sind das aber Nebelbomben. Eine Moderatorin auf den Philippinen verriet uns, was sie machen, wenn sie fremdsprachige Texte bekommen: Sie benutzen Google Translate. Nur wenn ihnen das Ergebnis ganz schräg vorkommt, schicken sie es weiter.

STANDARD: Anspruchsvoll!

Riesewieck: Ein Beispiel: Bei einem Bild, auf dem ein IS-Symbol enthalten ist, kann das ja alles Mögliche bedeuten. Es kann Satire sein, Kritik, Kriegsdokumentation, Propaganda. Ohne Kontext kann das gar nicht in wenigen Sekunden entschieden werden. Deshalb sind Fehler systembedingt, werden aber immer dann, wenn sie an die Öffentlichkeit dringen, als bedauerliche Einzelfehler dargestellt. (Sven von Reden, 5.6.2018)