Dženans Vater Muriz Memić und Davids Vater Davor Dragičević werden von Hunderttausenden auf Facebook und auf der Straße – hier in Sarajevo – unterstützt. Auch in Wien gab es bereits eine Demo. Die nächste findet am 9. Juni statt.

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Die Demonstranten in Banja Luka tragen T-Shirts mit seinem Antlitz. Sie halten beide Hände mit geballten Fäusten in die Höhe. Sie zünden Kerzen an und legen Blumen nieder. "Gerechtigkeit für David", rufen sie. Seit Ende März gehen sie jede Woche auf die Straße, damit der Tod von David Dragičević aufgeklärt wird. Er hatte Rastalocken, er war smart, der Elektrotechnikstudent war sehr beliebt.

Dragičević verschwand in den Morgenstunden des 18. März in Banja Luka. Sechs Tage später wurde er in einem Bächlein nahe der Stadt gefunden. Der Pathologe Željko Karan, Leiter der Gerichtsmedizin in Banja Luka, kam zu dem Schluss, dass der 21-Jährige ertrunken sei, obwohl der junge Mann überall am Körper von brutalen Schlägen und Gewalt gezeichnet war. Die Familie, die Freunde und tausende andere Bosnier, die für Dragičević auf die Straße gehen, haben deshalb den Verdacht, dass hier etwas vertuscht wird.

Folgenschweres Treffen

Die Polizei vermutete zudem ursprünglich, dass Dragičević in der Nacht auf den 18. März an einem Raubüberfall beteiligt gewesen sein könnte, weil ein gestohlener Laptop in der Nähe seines Leichnams entdeckt wurde. Der Verdacht ist mittlerweile nicht mehr aufrecht. Vater Davor Dragičević glaubt, dass sein Sohn entführt und gefoltert wurde. Auf Videoaufnahmen ist angeblich zu sehen, dass David Dragičević in der Nacht in Banja Luka mit einigen anderen Männern zusammentraf. Minuten später wurde sein Handy ausgeschaltet. Doch bisher wurde nicht aufgeklärt, wer diese jungen Männer waren und ihn derartig zusammengeschlagen hatte. Offensichtlich ist nur, dass er nach diesem Treffen Opfer eines schweren Verbrechens wurde.

In Banja Luka haben einige die These aufgestellt, dass Dragičević einen Konflikt mit jungen Männern aus dem kriminellen Milieu hatte, die ihn später töteten und ihn in den Bach warfen – und es gibt die Vermutung, dass diese Kriminellen von einflussreichen Kreisen geschützt werden. Beweise gibt es dafür nicht.

Ein zweiter Fall

Auch Dženan Memić war erst 21 Jahre alt, als er bei einem abendlichen Spaziergang im Februar 2016 mit seiner Freundin Alisa M. in der Nähe von Sarajevo schwer verletzt wurde. Eine Woche später starb er. Die Staatsanwaltschaft sprach zunächst von einem Autounfall mit Fahrerflucht, dann von Mord, dann wieder von einem Autounfall. Auch Memić hatte schwere Verletzungen am Kopf. Es gibt Gutachter, die sagen, diese kämen von einem stumpfen, schweren Gegenstand.

Seine Freundin behauptet, sich an nichts erinnern zu können. Vor Gericht steht Ljubo S., der Memić mit dem Auto angefahren haben soll. Es handelt sich um einen armen Rom, der in der Nähe des Tatorts lebt. Memićs Familie glaubt aber nicht, dass S. schuldig ist, sondern dass er als Bauernopfer missbraucht wird. Wie auch immer – die Sachverständigengutachten sind auch in diesem Fall widersprüchlich. Es bleibt unklar, ob Memić durch einen Zusammenprall mit einem Auto oder auf andere Weise ums Leben kam. Die Familie glaubt, dass ein Tötungsdelikt vertuscht wird. Das zeigt auch, wie wenig Vertrauen die Bosnier in Polizei und Justiz haben.

Demonstrationen auch in Wien

Dženans Vater Muriz Memić und Davids Vater Davor Dragičević werden von Hunderttausenden auf Facebook und auf der Straße unterstützt. Auch in Wien gab es bereits eine Demo. Die nächste findet am Samstag um 18 Uhr auf dem Heldenplatz statt – denn auch die bosnische Diaspora ist alarmiert.

Die beiden ungeklärten Todesfälle offenbaren ein tiefer liegendes Problem: die mangelnde Professionalität, die Korruption und die Vetternwirtschaft im bosnischen Justizsystem. Die Bürger leiden unter Staatsanwälten, Richtern und einer Polizei, die mitunter von parteipolitischen Interessen oder Interessen irgendwelcher Familien oder einflussreicher Geschäftemacher unterlaufen ist.

Empfehlungen für die Justiz

Im letzten Fortschrittsbericht der EU-Kommission zu Bosnien-Herzegowina heißt es: "Die politisch motivierten Bedrohungen der Justiz setzten sich fort. Die Unabhängigkeit der Justiz, auch von politischem Einfluss, muss noch gestärkt werden." Insbesondere Disziplinarmaßnahmen und Integrität sollten gefördert werden, etwa durch Vermögenserklärungen der Richter und Staatsanwälte, fordert die Kommission. Bosnien-Herzegowina bräuchte eigentlich eine ähnliche Justizreform, wie sie derzeit in Albanien läuft. Dort werden Richter und Staatsanwälte einer strengen Überprüfung unterzogen, viele, die korrupt oder unprofessionell sind, gehen bereits freiwillig.

Im Fall von David und Dženan weist einiges darauf hin, dass zumindest geschlampt wurde. Der Pathologe Ivica Milosavljević, ein Arzt aus Belgrad, der im Fall von David beigezogen wurde, meinte, dass der Körper des Toten nur für zwei bis vier Tage im Wasser des seichten Crkvena-Flusses gelegen sein könne und nicht länger, wie es der Gerichtsmediziner Karan in Banja Luka behauptetet hatte. Das würde bedeuten, dass David nach seinem Verschwinden noch mindestens zwei Tage am Leben war. Dessen Eltern kritisieren den Gerichtsmediziner deshalb scharf.

Fragwürdiger Pathologe

Karan begutachtete übrigens auch den Fall von Dženan. Das Zentrum für Investigative Berichterstattung (CIN) in Bosnien-Herzegowina schreibt schon seit Jahren über den umstrittenen Sachverständigen, etwa über den Fall Momir Brkić. Brkić starb 1996. Karan soll damals 10.000 Mark von Brkićs Lebensgefährtin verlangt haben. Dafür versprach er ihr angeblich, sie nicht als Mörderin zu belasten. Mirjana A. war allerdings unschuldig, und die versuchte Erpressung wurde amtsbekannt. Doch Karan passierte nichts – der damalige Justizminister nahm ihn in Schutz. Es gibt noch weitere Personen, die dem Pathologen vorwerfen, dass er Geld im Gegenzug für Gefälligkeitsgutachten verlangt habe. Karan weist die Anschuldigungen zurück.

Der Innenminister des bosnischen Landesteils Republika Srpska, Dragan Lukač, stellte sich hinter die Polizei. Trotzdem wurden die zuständigen Inspektoren bald ausgewechselt. Und der Fall David wurde vom Direktorat für organisierte Kriminalität an das Direktorat der Kriminalpolizei übergeben. Lukač weist alle Anschuldigungen und Vorwürfe der Familie, auch die Polizei sei in den Skandal involviert, zurück. Die politische Klasse ist jedoch sichtlich nervös, schließlich stehen im Herbst Wahlen an. Deshalb hat sich wohl auch der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, bereits mit Davids Vater getroffen.

Kritik der Mutter

Davids Mutter Suzana Radanović lebt in Wiener Neustadt. DER STANDARD hat sie kontaktiert. Sie spricht von einer Menge von Fehlern der Polizei. Radanović verstören vor allem die unterschiedlichen Aussagen der Pathologen zum Todeszeitpunkt. "Wir haben deshalb als Eltern eine neuerliche Obduktion angefordert", sagt sie zum STANDARD. Sie kritisiert auch, dass die Polizei behauptete, David habe LSD zu sich genommen. Er sei ein Dichter und ein Sportler gewesen, erzählt sie. "Er hatte große Pläne, Träume, Wünsche. Sie haben ihm alles genommen."

Im Fall von Dženan Memić ist auffällig, dass viele Beweise nach eineinhalb Jahren Verhandlungen noch nicht der Staatsanwaltschaft zugestellt wurden. Auf Anfragen um Stellungnahmen bei der Gerichtsmedizin und der Polizei haben die entsprechenden Behörden dem STANDARD bisher nicht geantwortet. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft im Kanton Sarajevo erklärt, dass zu laufenden Verfahren keine Auskunft gegeben werde. (Adelheid Wölfl, 5.6.2018)