Was motiviert dazu, Soldat zu sein? Laut John Keegan ist es das Stammesbewusstsein.

Foto: Bundesheer/UN /Wolfgang GREBIEN

Wien – Mit 18 hat man noch Ideale – und manche bleiben diesen Idealen ein Soldatenleben lang treu. Gut ein Drittel der Soldaten, die mit dem Österreichischen Bundesheer auf Auslandseinsatz gehen, tut das in der erklärten Absicht, helfen zu wollen. Das ist naheliegend bei jenen Einsätzen, die rein humanitären Charakter haben. Wenn wieder einmal eine Naturkatastrophe eintritt und der Ruf "Call the Austrians" ertönt, rückt die Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) aus und birgt Verschüttete, versorgt Verletzte oder reinigt das Trinkwasser in den Katastrophengebieten.

Internationales Ansehen durch Katastrophenhilfe

Das sind jene Tätigkeiten, die der Republik Österreich international Ansehen bringen – und dem Bundesheer auch im Inland eine gute Presse verschaffen: Wer international als Katastrophenhelfer bewährt ist, wird wohl auch in Österreich helfen können, wenn es einmal notwendig sein sollte. Und das ist es ja auch mit unschöner Regelmäßigkeit: Bei Lawinenabgängen und Vermurungen, bei Überschwemmungen und großflächigen Waldschäden leisten Soldaten Assistenz – und werden von der lokalen Bevölkerung und den lokalen Politikern stets für ihre Effizienz gelobt.

Viel distanzierter ist das Verhältnis, wenn es um die eigentlich militärischen Aufgaben des Heeres geht. In einem Land, das seit 73 Jahren Frieden gewohnt ist – nur einmal, 1991, rückten kriegerische Ereignisse an unsere Grenzen heran –, gibt es kaum ein Bewusstsein für militärische Bedrohungen. Schon die Erfüllung der luftpolizeilichen Aufgaben, gerade in diesen Tagen rund um den Staatsbesuch von Präsident Wladimir Putin aktuell, wird als lästig und vor allem teuer empfunden. Ähnlich wenig Verständnis herrscht für die Beschaffung von Waffen und Panzerfahrzeugen.

Und doch finden sich tausende junge Männer und auch rund 600 Frauen, die den Soldatenberuf ergreifen. Sie lassen sich darauf ein, Mitglied einer sehr speziellen Gruppe zu werden – denn das Idealbild des "Bürgers in Uniform" hat das Bundesheer nie richtig erreicht. Es hat sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten mit dem Zurückschrauben der Mobilmachungsstärke und der Vernachlässigung des Milizprinzips (das sich zwar stolz in der Verfassung, jedoch kaum mehr im militärischen Alltag findet) sogar noch von diesem Idealbild entfernt. Längst ist das Bundesheer wieder ein Berufsheer, das zur Ergänzung ein paar Wehrpflichtige einzieht.

Idealismus und Stammesbewusstsein

Was zum Soldatenberuf motiviert? Ein bisschen spielen da die soldatischen Tugenden hinein – acht Prozent der Berufssoldaten nannten bei einer Befragung durch Unique Research im Jahr 2016 den Dienst an der Republik, sieben Prozent auch die Kameradschaft als Gründe, die "für das Österreichische Bundesheer als Arbeitgeber" sprechen. Aber viel gewichtiger ist zugegebenermaßen das Argument, dass eine Friedensarmee sehr sichere Arbeitsplätze bietet (42 Prozent) – und das bei abwechslungsreichen Aufgaben (29 Prozent), guter Fortbildung (23 Prozent) und attraktivem Sportangebot (14 Prozent) in der Dienstzeit.

Arbeitsplatzsicherheit und Einkommenssicherheit sind Argumente, die besonders in den strukturschwachen Regionen Österreichs ziehen – und dies nicht nur in Krisenzeiten, wie die Rekrutierungserfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen. Dazu kommt noch ein nicht unwesentlicher sozialer Faktor: Das Arbeitsplatzargument wird auch von den Freunden am Stammtisch akzeptiert, die in Jahrzehnten pazifistischer gesellschaftlicher Prägung aufgewachsen sind, wo der freiwilligen Feuerwehr (wiederum laut einer Unique-Research-Studie von 2016) dreimal so viel Vertrauen entgegengebracht wird wie dem Militär.

Die Sache mit der Kameradschaft ist eine andere. Die verstehen eben vor allem die eigenen Kameraden. Das hat schon der Militärsoziologe und Militärhistoriker John Keegan ("Die Kultur des Krieges"), selbst kein Soldat, aber akademischer Lehrer an einer Militärhochschule, festgestellt: "Ich war in Sandhurst dem Phänomen des Stammesbewusstseins begegnet ... Ein Offizier mochte noch so klug, fähig und fleißig sein; wenn seine Männer an ihm zweifelten, konnte keine seiner Fähigkeiten das aufwiegen. Er gehörte nicht zum Stamm."

Es gibt keinen anderen Beruf, in dem dieses Stammesprinzip so umfassende Geltung hat – und es funktioniert über alle Grenzen hinweg: Gerade bei internationalen Einsätzen zeigt sich, dass Unteroffiziere aus völlig unterschiedlichen Armeen einander selbst dann verstehen, wenn sie die Sprache des anderen nicht sprechen.

Mut zum Risiko, gut entlohnt

Aber das verstehen nur die, die ganz nah dran sind. Dass zum Soldatentum gehört, dass man im Ernstfall sein Leben einsetzen muss, ist immerhin noch einzusehen – allein beim österreichischen Kontingent auf dem Golan haben 20 Soldaten ihr Leben verloren, andere haben Angriffe oft nur mit Glück überlebt. Immerhin: Wer zum Militär geht, der weiß von der Angelobung an um dieses erhöhte Risiko. Wer bereit ist, ein höheres Risiko einzugehen, etwa indem er sich freiwillig zu einem Auslandseinsatz entschließt oder sich zu einer Kaderpräsenzeinheit meldet, die routinemäßig geschlossen ins Ausland abkommandiert wird, der bekommt das auch gut entlohnt: Ein Unteroffizier, der daheim 2.000 Euro netto verdient, kommt im Einsatz im Ausland gut auf das Doppelte. Geld ist denn auch (neben dem erwähnten Idealismus und einer gewissen Abenteuerlust) ein wesentliches Motiv, sich für Auslandseinsätze zu melden.

Dass zum Soldatischen auch gehört, dass man auf Befehl anderen das Leben nehmen muss, kommt in der öffentlichen Diskussion kaum vor. Und dass man als Soldat auch nicht beliebig eingreifen kann, wie man es vielleicht im ersten Impuls zu tun bereit wäre, verstehen Menschen, die Waffengebrauch allenfalls aus Actionfilmen kennen, schon gar nicht.

Was auf dem Golan passiert ist

Das hat auch zu allerhand mehr oder weniger informierten Diskussionen über die als verstörend empfundene Situation jener Soldaten geführt, die am 29. September 2012 beobachtet und gefilmt haben, wie syrische Geheimdienstleute in einen Hinterhalt geraten und umgekommen sind. Hätten sie nicht helfen, hätten sie nicht zumindest warnen müssen? Das war jedenfalls nicht Teil des UN-Mandats, unter dem sie auf die Golanhöhen abkommandiert worden waren. Wie die Sache fachlich und disziplinarrechtlich beurteilt wird, gab das Verteidigungsministerium am Dienstag bekannt. (Conrad Seidl, 4.6.2018)