Es hat sehr, sehr lange gedauert, fast neun Monate seit den Bundestagswahlen, bis Angela Merkel sich aufraffte, ihren Partnern in der EU die Position der deutschen Bundesregierung in Bezug auf nötige Reformen und den Weiterbau der Gemeinschaft zu erläutern. Es wurde bereits sehnsüchtig erwartet, dass die Kanzlerin sich endlich erklärt. Der Brexit steht vor der Tür, die Krisen in und um Europa werden ständig mehr, die EU wankt.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im September flammend zur "Neugründung" der EU aufgerufen, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine "Reformoptionen" auf den Tisch gelegt. Nur aus Deutschland kam nichts. Vorbei. Die Kanzlerin hat es getan. Und siehe da, die Europäer können aufatmen: Merkel lebt!

Sie wählte als Rahmen ein langes Interview in der Frankfurter Allgemeinen, ein Signal der Solidität. Solide, seriös durchdacht und nicht nur unverbindlich ist auch das, was Merkel inhaltlich vorbringt: Erstmals stellt sie klar, dass sie eine Vertiefung der Eurozone für nötig hält, Schritt für Schritt, um die "Konvergenz" der Staaten zu erhöhen. Sie räumt ein, dass eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik schwierig ist, sagt aber, dass das dennoch das gemeinsame Ziel ist. Auch ihres. Sie macht deutlich, dass es für die Europäer um die Existenz geht: Sie müssten ihr Schicksal in die Hand nehmen. Es scheint, als sei Merkel vorsichtig sachlich geblieben, wolle aber das Zaudern aufgeben. (Thomas Mayer, 4.6.2018)