Old trifft New School am Nordkette-Singletrail: Der ab Mittwoch 15-jährige Dominik Windisch macht sich mit dem neuen, von Benedikt Purner gebauten Zielsprung vertraut.

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Mr. Nordkette Benedikt Purner strahlte bei der Eröffnung "seines Trails", den er seit 2004 befährt, mit der Sonne um die Wette.

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Und der Baumeister genoss auch sein Kunstwerk ausgiebig. Purner fliegt sich warm.

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Felix Bauer (23) vom Befly-World-Team schont die Hände beim mächtigen Zielsprung.

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Namentlich leider nicht bekannter Brendan-Fairclough-Fan zeigt einen Nac-Nac.

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Der 16-jährige Kilian Schnöller vom Downhill-Verein Tirol zeigte elegante Whips.

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Familiäre Stimmung beim Opening 2018 auf der Innsbrucker Nordkette.

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Der Nordkette-Singletrail auf einen Blick: 4,2 Kilometer direkt unter der Seilbahn entlang.

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Innsbruck – Es ist die pure Hassliebe, die diesen steilen Albtraum aus Fels, Schotter und Wurzeln so unwiderstehlich macht. Das sagt selbst der Mann, der den Nordkette-Singletrail (NKS) besser kennt als jeder andere: Bergsteiger, Trailbauer und Vertrider Benedikt Purner, Mountainbikern, allen voran Enduristi, als einer der besten Radfahrer des Landes ein Begriff. Am Sonntag war Opening am berüchtigten NKS, Purners Hausrunde. Willkommene Gelegenheit, um mit ihm über die Faszination Nordkette und die harte Innsbrucker Schule des Bergabfahrens zu plaudern.

Er würde die rund 4,2 Kilometer lange Strecke, die mehr als 1.000 Höhenmeter überwindet, als seinen Hometrail bezeichnen, sagt der 1982 geborene Tiroler: "Auf dem bin ich groß geworden, auf dem habe ich Radfahren gelernt. Er ist zugleich mein Lieblings- und mein Hasstrail. Denn er gibt dir zwar viel, aber er nimmt auch sehr, sehr viel." Man müsse hier im Berghang im Norden Innsbrucks wirklich bereit sein, in den Trail zu investieren: "Das ist eine richtig harte Schule."

Benedikt Purner, Kasi Schmidt, Felix Bauer, Kilian Schnöller, Dominik Windisch, Samuel Lantschner und Matthäus Bergmann sorgten für Action beim NKS-Opening 2018.
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Seit 2004 gibt es die von den Innsbrucker Vertridern entworfene Strecke. Dass diese Gruppe Extremmountainbiker mit Vorliebe im steilen und hochalpinen Gelände unterwegs ist, spiegelt sich im NKS wider. Zudem blieb mangels kooperativer Grundbesitzer für die Linienführung nur die steile Direttissima direkt unterhalb der Seegrubenbahn. Es ist dem Wohlwollen der Innsbrucker Nordkettenbahnen zu verdanken, dass hier oben das erste offizielle Angebot für Downhiller in Tirol entstehen konnte.

In unzähligen Serpentinen, gespickt mit zahllosen technischen Herausforderungen, führt der NKS ins Tal hinab. Und genau darin liegt für Purner neben der fahrerischen eine weitere Herausforderung: Alt und Neu in Einklang zu bringen. "Der Trail hat den Ruf einer reinen Oldschool-Strecke." Das stimme aber längst nicht mehr, sagt der Mann, der mit seiner Firma Trailhandwerk für die Erhaltung des NKS mitverantwortlich ist.

Strecke wird stetig modifiziert

Während sich im oberen Teil der ursprüngliche, sehr steile und technische Charakter des NKS bis heute erhalten hat, wurde im unteren Teil, auf der Downhill-Rennstrecke, in den vergangenen Jahren viel umgebaut, wie Purner erklärt. Einerseits geschah das, um der Erosion Einhalt zu gebieten, die im teils extremen Gelände enorm ist. Andererseits versucht er die Strecke stetig zu modifizieren. Sie soll für heutige Rennansprüche attraktiver und etwas flowiger gemacht werden. Trotz der Neuerungen, in diesem Jahr etwa der Jumpline mitsamt gewaltigem neuem Zielsprung, blieb die Besonderheit der Nordkette erhalten.

"Hier oben stellen sich Erfolgserlebnisse sehr langsam und nur spärlich ein", versucht Purner diesen einzigartigen Charakter zu beschreiben. Am NKS setze "die Physik die Grenzen". Das wissen die Locals, und das mussten die Weltcup-Profis bei den legendären "Downhill Pro"-Rennen zur Kenntnis nehmen, die hier stattgefunden haben. Purners sakrosankter Status in der Bikeszene rührt nicht zuletzt daher, dass er 2013 als einziger einheimischer Amateur das Kunststück geschafft hat, dieses Rennen vor allen Profis zu gewinnen. Eine moderne Tiroler Heldensaga.

Was Weltcup-Profis 2015 zur Herausforderung am Nordkette-Singletrail zu sagen hatten, ist bezeichnend. Lokalmatador Purner "scheiterte" in diesem Jahr an einem technischen Defekt.
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"Die Innsbrucker Schule ist eine sehr harte", sagt Purner über seine fahrerischen Wurzeln. Heute gehe der Trend in Richtung Pauschalbespaßung im Bikepark. Das hat der NKS nicht zu bieten. Dennoch wächst gerade eine neue Generation Biker heran, die diese alte Schule und den neuen Stil vereinen. "Das ist großartig mitanzusehen, und mit den Jungs zu fahren fordert mich enorm heraus", freut sich die Vorbildfigur. Was "die Jungs" draufhaben, zeigten sie beim Opening am Sonntag gleich auf Purners neuem Zielsprung.

Mit einem Sweetspot jenseits der zwölf Meter ist der eine echte Herausforderung für jeden Downhiller. Der tiefe Graben zwischen Absprung und gewaltiger Landung wirkt nicht unbedingt vertrauenerweckend. Für die Youngsters trotzdem kein Problem. Einer nach dem anderen flog gekonnt in Richtung Stadt hinunter. Fast so wie die Skispringer am Bergisel, der direkt auf der gegenüberliegenden Talseite thront. Damit das Kribbeln auch beim zweiten Versuch bleibt, nutzten einige die Flugzeit für Tricks wie Suicide No Hander oder Nac-Nac. Und mittendrin Purner, der in bester Jens-Weißflog-Manier den K-Punkt vorgab.

Treffen der Generationen am Trail

Die Atmosphäre beim Opening, das von MTB Innsbruck, dem Zusammenschluss lokaler Mountainbike-Initiativen, organisiert wurde, war gewohnt entspannt. Das entspricht dem Flair auf der Nordkette. Eine kleine, aber feine Runde lokaler Mountainbiker – vom Teenager bis zu Veteranen wie Willi Hofer, der 2011 den Zwölf-Stunden-Downhill-Weltrekord am NKS aufstellte. Unfassbare 29 Abfahrten oder 30.305 Tiefenmeter legte er damals zurück. Bei wechselhaftem Wetter. Ohne Regen wären wohl 32 Fahrten drin gewesen, meinte Hofer damals nach seinem Rekord lapidar. Alte Innsbrucker Schule eben – hart, aber herzlich.

"Am NKS war schon immer eine familiäre Stimmung", sagt Purner. Das liege mit daran, dass die Gondel, die alle 15 Minuten fährt, maximal fünf Biker transportiert. Anders als im oft anonymen Bikepark fährt man hier oben miteinander. Tipps zu den Tücken von bezeichnenden Schlüsselstellen wie der Preußenschleuder werden wie Weisheiten tradiert. Wer eine Panne hat, darf mit Hilfe der Mitbiker rechnen – der Spirit of Nordkette sozusagen. Auf einem Trail, der selbst einem Marcelo Gutierrez Armpump beschert, sind Pausen unvermeidbar. Am NKS eine willkommene Gelegenheit, mit Leidensgenossen ins Gespräch zu kommen.

Wie unbarmherzig der NKS sein kann, hat 2012 dieser unbekannte Downhiller, dem Dialekt nach ein Ostösterreicher, sehr eindrucksvoll auf Video festgehalten und via Youtube geteilt. Der Mann beweist Ausdauer und Sinn für Humor.
Lö Kub

Für die Tiroler Bikeszene, so ist sich Purner sicher, bleibt der NKS so etwas wie die Wiege und Kinderstube. Bis zur Revision der Nordkettenbahnen im Herbst steht der Trail wieder täglich offen, bei fast jedem Wetter (außer Schnee). Wen es diesen Sommer nach Tirol verschlägt, dem sei – Erfahrung im steilen Terrain vorausgesetzt – eine Abfahrt ans Bikerherz gelegt. Sie werden es hassen und lieben. (Steffen Arora, 5.6.2018)