Eines der Attribute Gottes in der klassischen Theologie des Mittelalters ist seine Allgegenwart. Ob die einfachen Gläubigen dies tatsächlich so erfahren haben, lässt sich schwer beurteilen. Der Teufel aber war in dieser Zeit tatsächlich überall. Aus jeder noch so kleinen Gewandfalte, jeder Ritze im Gemäuer lugt er hervor.

Der Teufel und der Sex

Der Teufel ist in der Theologie und religiösen Praxis des Mittelalters unverzichtbar. Die Pastoralmacht der Kirche, wie Michel Foucault das umfassende System der Kontrolle über die Körper und Seelen der Gläubigen durch ein alle Lebensbereiche durchziehendes Pastoralkonzept nennt, wäre ohne den Teufel nie in dieser Form entstanden geschweige denn aufrecht zu erhalten gewesen.

Die christliche Theologie des Mittelalters definiert den Teufel nach wie vor als Gott unterlegenen, gefallenen Engel, der nur so viel Macht hat, wie ihm Gott zugesteht – aber das ist eine ganze Menge. Er darf, gar nicht unähnlich seiner ursprünglichen Funktion als Satan im Alten Testament – siehe dazu den Blogbeitrag "Der Teufel: Vom himmlischen Staatsanwalt zum lüsternen Versucher" –, die Menschen in Versuchung führen, um ihren Glauben und ihre Moral auf die Probe zu stellen. Und das tut er auch ausgiebig: Jede sexuelle Regung, die nicht der Fortpflanzung in der Ehe dient, ist ein Angriff des Teufels, insbesondere die weibliche Schönheit und deren Präsentation bieten gleich einer Unzahl an Dämonen ein Heim, wie der Zisterziensermönch Cäsarius von Heisterbach im 13. Jahrhundert schreibt: "In deren (einer Frau) langer Schleppe, die sie hinter sich herzog, erblickte er eine Vielzahl von Dämonen, die dort saßen. Sie waren klein wie Wiesel, schwarz wie Äthiopier, sie lachten und klatschten in die Hände und sprangen wie Fische im Netz. In der Tat ist der weibliche Schmuck das Netz des Teufels." (Caesarius v. Heisterbach, Dialogus miraculorum 7)

Diese Präsenz des Teufels in der Unkeuschheit findet oftmals bildliche Darstellung in Teufelsfratzen auf oder auch anstatt der menschlichen Geschlechtsteile:

Hl. Augustinus und der Teufel, Gemälde von Michael Pacher (1471-1475).
Foto: Public Domain

Aufgespießt, aufgefressen, ausgeschissen

Auch zu allen anderen Sünden verführt selbstverständlich der Teufel, allen voran zum Hochmut (superbia), aus dem dann Geiz, Völlerei, Trägheit, Zorn, Neid folgen. Unter diese sieben Todsünden lässt sich das ganze menschliche Dasein subsummieren, das folglich ein einziger Spießrutenlauf durch teuflische Versuchungen und Fallstricke ist. Wer fällt, der fällt tief und auf ewig in die Hölle. Den Teufel an die Wand zu malen war im Mittelalter keine bloße Redewendung. Wer eine mittelalterliche Kirche betritt, dessen Blick lenkt der Teufel unweigerlich auf sich, thront er doch in den Portalen vom Betrachter aus immer rechts unten, in grotesker Schönheit in der Hölle, wohin bei diesen Darstellungen des Jüngsten Gerichts die Verdammten abgeführt werden. Und dort, rechts unten, eröffnet sich ein wahres Panoptikum sadistischer Qualen, an die selbst Hollywood nur schwer herankommt: Sünder und Sünderinnen – die Hölle ist, anders als die mittelalterliche Gesellschaft, erstaunlich geschlechtergerecht – werden mit Spießen durchbohrt, in Töpfen gekocht, an ihren Haaren, Zungen oder Geschlechtsteilen aufgehängt, von Schlangen an den Geschlechtsteilen gebissen, vom Teufel und seinen dämonischen Helfern verstümmelt, aufgefressen und ausgeschissen.

Wer derartiges nicht in alle Ewigkeit erdulden möchte, braucht Hilfe angesichts der Allgegenwart teuflischer Versuchungen. Und findet sie bei der Kirche, die ihrerseits den Weg zum Himmel mit einem engmaschigen Netz an Regeln, Praktiken, Schenkungen und Bußübungen versieht. Der Teufel ist ein notwendiger Geschäftspartner kirchlicher Pastoralmacht. Es wäre freilich religions- und mentalitätsgeschichtlich falsch, den Vertretern des Christentums hier ausschließlich machtpolitische oder gar monetäre Absichten in ihrer exzessiven Rede vom Teufel zu unterstellen. Der Teufel und seine Dämonen waren auch für die mittelalterlichen Kleriker erschreckend allgegenwärtig und suchten Priester, Bischöfe und Mönche in vielerlei Form heim, wie mehrfach beim oben zitierten Cäsarius von Heisterbach und anderen Autoren nachzulesen ist.

Der Teufel erwies sich zweifelsohne als ideal Personifikation aller Ängste vor äußerem Ungemach und innerem Ungenügen, und sein imaginiertes Wirken war überraschend egalitär: In den verschiedenen Folterkammern mittelalterlicher Höllengemälde finden sich regelmäßig auch Könige und Kleriker, ja für manche von ihnen gibt es sogar Sonderstrafen: "Die ungläubigen Magister sitzen vor Luzifers Füssen, sodass sie ihren unreinen Gott ansehen müssen. Er disputiert auch mit ihnen, damit sie sich schämen." (Mechthild von Magdeburg, Das Fließende Licht III, 21)

Detail des gotischen Freskos in der Kirche St. Ruprecht in Bruck an der Mur.
Foto: Theresia Heimerl

Die Anderen

Und dann gibt es noch eine spezielle Gruppe von Menschen, die sich sozusagen abseits verschiedener Einzelsünden dem Teufel verschrieben haben: Die Häretiker. Häretiker ist in einer Gesellschaft mit religiösem Monopol auf Seiten einer Institution, im Mittelalter eben der katholischen Kirche, wer eine abweichende Interpretation von Religion pflegt. Derartige Gruppen gab es ab dem 12. Jahrhundert immer mehr. Die meisten von ihnen verstanden sich selbst als gute oder sogar bessere Christen, die besonders arm oder fromm leben wollten und damit zwangsläufig mit einer reichen und in weltliche Dinge verstrickten Kirchenleitung in Konflikt kamen. Andere, wie die Katharer, vertraten tatsächlich ein alternatives Religionssystem. Den Teufel hat keiner von ihnen angebetet. Genau das aber wurde Häretikern seitens der Kirche unterstellt.

Der "Vater aller Lüge", wie er schon im Johannesevangelium genannt worden war, galt als Urheber hinter allen Häresien, so wenig diese auch aus heutiger religionsgeschichtlicher Perspektive miteinander gemein haben. Sie alle waren Versuche und Versuchungen des Bösen, oder, wie es Umberto Eco im Name der Rose Ubertino di Casale sagen lässt: "Der Dämon ist blöde und einfallslos, er hält sich in seinen Verlockungen und Verführungen an einen sturen Rhythmus, er wiederholt seine Riten über Jahrtausende, er bleibt sich immer gleich und eben daran erkennt man ihn als den Feind!" (Umberto Eco: Der Name der Rose, 81)

Nächtliche Teufelsanbetung

Bei den nächtlichen Treffen der Häretiker erschien der Teufel in Gestalt eines Ziegenbockes, einer riesigen Kröte oder eines schwarzen Katers und ließ sich auf das Hinterteil küssen, bevor es, so die Phantasie der Inquisitoren, "Licht aus" hieß und sexuelle Orgien gefeiert wurden.

Dieses Setting der Teufelsverehrung im nächtlichen trauten Kreis bewährte sich als Vorwurf und brannte sich als schaurig erregende Imagination so ins Gedächtnis, dass es mit dem Ausgang des Mittelalters auch auf eine spezielle Gruppe von Häretikern übertragen werden konnte: die Hexen. Der heute vielen vor allem aus Filmen wie "The Witch" oder Gemälden wie jenem von Francisco Goya bekannte "Hexensabbat" ist eine Fortführung der häretischen Zusammenkünfte, wie sie im 12. Jahrhundert zuerst von Theologen wie Alain de Lille für die Katharer erdacht worden waren. In ihrem Zentrum steht immer die Vorstellung, dass, wer nicht Gott anbetet, den Teufel anbeten muss, und dass wer Böses tut, dafür einen übernatürlichen Verbündeten braucht.

"Hexensabbat" von Francisco Goya (1797-1798).
Foto: Public Domain

Darüber, warum dies in der frühen Neuzeit überwiegend Frauen zugeschrieben wurde, gibt es viele Laufmeter in Bibliotheken. Klerikale Misogynie, wie sie unzweifelhaft aus dem Hexenhammer spricht, traf sich mit instabilen sozialen Verhältnissen, Naturkatastrophen, religiösen Neuerungen (Reformation), was zusammen ein Gesamtklima ergab, in dem das Böse und der Böse mit noch mehr Helfern und Helferinnen am Werk sein musste als bisher. Allerdings gilt auch hier wie im Mittelalter, dass die Vorstellung der Hexerei als Zusammenarbeit mit dem Teufel keine "Erfindung" von Männern wie Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, den Autoren des Hexenhammers war, sondern der Glaube an Schadenszauber (Vieh, Äcker, Krankheit, Potenz et cetera) unter der Bevölkerung weit verbreitet war und in einer prämodernen Welt als Erklärung für das Unerklärbare herhalten musste – siehe dazu den Blogbeitrag "Orgien, Teufelsanbetung, Giftmischerinnen: Über moderne Hexenvorstellungen".

Der Pakt mit dem Teufel

Den Pakt mit dem Teufel, später in Goehtes "Faust" zu literarischen Ehren gekommen, haben sicher viele Menschen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit zu schließen versucht, genauso wie sie mit Gott und dessen Vermittlern, den Heiligen, zu verhandeln probierten. Vielfachen Nachhall finden diese volksreligiösen Vorstellungen vom Teufel als Vertragspartner in Sagen und Märchen. Freilich ist hier aus dem Verbrechen des Teufelspaktes, das am Scheiterhaufen endete, schon ein Abenteuer geworden, und aus dem fast allmächtigen Teufel ein halbseidener Seelenkäufer, der sich mitunter auch hinters Licht führen lässt.

Doch bevor aus dem metaphysischen, allgegenwärtigen Bösen ein literarisches werden kann, bleibt unterm Strich mit dem frühen 18. Jahrhundert eine erschreckende Bilanz an Opfern des Teufels, selbst wenn man jene, die sich vor ihm und seinem höllischen Reich "nur" zu Tode ängstigten, außer Acht lässt. (Theresia Heimerl, 6.6.2018) 

Fortsetzung folgt. 

Literaturhinweise

  • Christoph Auffarth (Hg.), The Fall of the Angels. Leiden 2004.
  • Jeffrey Burton Russell, Biographie des Teufels. Das radikal Böse und die Macht des Guten in der Welt, Wien 2000.
  • Gustaf Roskoff, Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis in 18. Jahrhundert, Nördlingen 1987.
  • Alfonso Di Nola. Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte, München 1997.

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