Manche der Steine, die Michael Hausenblas vom Bodensee mitnimmt, bringt er auch wieder zurück. Andere sind zum Nil, in den Pazifik oder nach Venedig weitergereist und dort versenkt worden.

Foto: Lukas Friesenbichler, Set-Design: Magdalena Rawicka

Diese Geschichte erschien im Rahmen eines Schwerpunkts im RONDO zum Thema Souvenirs.

Foto: lukas friesenbichler

Ich hab da diesen Vogel: Meine Mitbringsel sind nämlich Zurückbringsel. Und manche sogar Wegbringsel. Ich spreche von Steinen vom Ufer des Bodensees, dem See, an dem ich aufgewachsen bin. Ich reise zu ihm, zur Winters- wie zur Sommerszeit.

Die meisten der Steine stammen vom Strand beim ehemaligen Bregenzer Militärschwimmbad, einem sehr alten, freundlichen Holzbau auf Pfählen mit Blumenkisten und grünen Fensterläden. Manche der Steine sind kugelrund, andere herzförmig. Es gibt sie länglich, wild gestreift, braun, grau, auch kohlrabenschwarz. Die Steine liegen gutmütig in der Hand. Sie sind nicht zu schwer und nicht zu leicht. Und sie riechen wunderbar. Die unterschiedlichen Gerüche von Steinen zu erkennen habe ich in der Steinmetzwerkstatt meines Großvaters gelernt.

Wie Firnschnee in der Aprilsonne

Wie alt mögen sie wohl sein, diese stummen Zeitzeugen? Aus welchem Teil des dicken Bauchs des Sees wurden sie an sein Ufer gespült? Wie lang lagen sie im kalten Dunkel, tief und zugedeckt von 50 Billionen Liter Wasser?

Manchmal, wenn dem Wetter der Sinn nach Weststurm steht, schiebt der See die Steine mit großen, lauten Wellen an den Strand. Ihr Schaum ist weiß wie Firnschnee in der Aprilsonne. An den ruhigen Tagen spielen die kleinen Wellen sanft plätschernd mit den Steinen, so als wären sie Murmeln. Das Geräusch bei dem Spiel ist ein einmaliges. Man kann es auch in Wien hören, wenn man die Augen schließt.

Habe ich am letzten Ferientag am See meinen kleinen Beutel mit Steinen geschnürt, landen sie nach der Heimreise, zu Nestern geformt, an allen möglichen Orten in meiner Bleibe. Hier werden sie zu kleinen "Own Private Stonehenges".

Geologen-Fluxus

Keine Ahnung, wie viele Steine ich dem See schon geklaut habe. Jedenfalls bringe ich manche der kleinen Kerlchen wieder zurück und werfe sie in hohem Bogen in den See, wo sie mit einem blitzschnellen Glucksen verschwinden, heimkommen. Fragen Sie mich nicht, nach welchen Auswahlkriterien dies geschieht, also welcher bleiben darf und welcher nicht. Und fragen Sie mich noch weniger, warum ich das tue. Lassen wir die Psychologie aus dem Spiel. Ich beschäftige mich mit der Frage, wann die Wellen die Steine wieder ans Ufer schieben, ob ich sie eines Tages wieder finde, oder ein anderer sie einsammelt. Nennen wir es Geologen-Fluxus.

Dabei kommt es noch eigenartiger: Andere meiner Steine reisen nämlich weiter, viel weiter. Einer liegt im Wasser der neuseeländischen Bay of Islands, gut 20.000 Kilometer von der Bregenzer Bucht entfernt. Ein anderer fand eine neue Heimat im Hafen von Mombasa, einer seiner Verwandten kullerte in Assuan von Bord einer Dahabiya in den Nil, wo er heute noch im Schlamm des Nils stecken dürfte. Zuvor kaufte ich am Basar nach zähem Verhandeln einen kleinen steinernen Horus – ein kultureller Steinaustausch sozusagen.

Ortsfremd

Ein weiterer, er hat die Form eines Haifisch-Zahnes landete in der Gischt der mexikanischen Karibik, die Lust auf einen eiskalten Daiquiri macht. Ein Kellner meines Stammcafés, ein vertrauenswürdiger Mann, erledigte diese Steinumsiedlung als Auftragsarbeit. Er hat den Job auf Video festgehalten. Guter Wurf, mein Lieber! Ein Jahr zuvor versenkte mein Sohn ein Steinchen auf der anderen Seite Mittelamerikas im Blau des Pazifiks. Natürlich ruht neben vielen anderen Orten einer der Findlinge in einem Kanal von Venedig und einer am Strand von Procida.

Sollte Ihnen diesen Sommer ein angespülter Stein unterkommen, der Ihnen verdächtig und ortsfremd vorkommt, wundern Sie sich nicht. Nehmen Sie ihn einfach mit. (Michael Hausenblas, RONDO, 14.6.2018)