"Mutter Meer" nennen die Mongolen den See Chöwsgöl Nuur, von wo Tanja Paar diese Kette mitgebracht hat. Und schöne Geschichten, die sie mit dem Stück verbindet.

Foto: Lukas Friesenbichler, Set-Design: Magdalena Rawicka

Diese Geschichte erschien im Rahmen eines Schwerpunkts im RONDO zum Thema Souvenirs.

Foto: lukas friesenbichler

So, dass man sich umgehend hineinstürzen wollte – so dunkelblau glitzernd liegt er da, der Chöwsgöl Nuur. "Mutter Meer" nennen ihn die Mongolen. Zu sagen, er sei 136 Kilometer lang und 40 Kilometer breit, täte ihm unrecht. Denn das fasst in Zahlen, was nicht zu benennen ist: Er ist immens, unnahbar.

Bei den Fischen

Er ist der zweitgrößte nach dem Baikalsee und speist diesen, nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Er ist mehr als zwei Millionen Jahre alt, sein Wasser eiskalt und klar, Trinkwasser für Tausende, drüben in der sibirischen Taiga und drunten in der zentralasiatischen Tiefebene. Nur nicht zu weit nach vorne beugen, sonst ist er wieder da, dieser Sog. Die eigene Hand im Wasser, gebrochen nur von der Optik, treibt weiß in dem Blau wie ein Fremdkörper. Schnell ziehe ich sie heraus.

Der See ist fast 300 Meter tief, so mancher LKW bei dem Versuch, die meterdicke Eisdecke im Winter zu befahren, eingebrochen. Er ruht jetzt bei Hundsfisch, Omul und Sibirischem Weißbarsch, die ihn stoisch umschwimmen. Viele Arten bewohnen den Chöwsgöl Nuur, nur eines gibt es in seinen Tiefen nicht: "Süßwasserperlen", sagen die Rentiernomaden, die an den Ufern des Sees übersommern. "Süßwasserperlen", sagt die alte Frau, die sie mir verkaufen will, und hebt die Kette hoch ins Sonnenlicht. Sie glitzert. Natürlich verstehe ich ihre Sprache nicht, aber die Gesten sind klar. Da die Kette, dort der See, und mit eigenen Händen habe sie sie geknüpft.

Nixe und Schamanin

So schön die Vorstellung, dass die Perlen, ja selber Fremdkörper in der Muschel, quasi aus Notwehr geboren, von hier stammen könnten. Aus Muschelbänken auf den schweigenden Skeletten der LKWs, beaufsichtigt nur von Hundsfisch und Barsch. Dann, nach Jahren, heraufgetaucht von einer Schamanin mit einer immensen Lunge, die minutenlang – nein! Von einer weisen Frau, die sich beim Eintauchen in die heiligen Wasser des Chöwsgöl Nuur selbst in eine Nixe verwandle mit einer Reihe von Perlen in ihrem schwarzen Haar.

Bereits im Altertum waren Perlen hoch geschätzt, in Persien, Indien und der arabischen Welt galten sie als Symbol der Jungfräulichkeit. "Margarita", der griechische Name für Perlen – und für die Geliebte – lebt in dem Namen Margarete fort. Die Perle steht für Glück, Reichtum, Weisheit und Würde. Sie gilt als Aphrodisiakum und verspricht Kinderreichtum. Aber auch als Heilmittel gegen Melancholie und Wahnsinn fand sie Verwendung. Im Mittelalter wurden in Europa Flussperlen zu Perlmilch verarbeitet, dem "Aqua perlata".

Ideeler Wert

Ich mag Perlenketten nicht. Verstand sie lange als Halsband für eine bestimmte Sorte Frau, angekettet an den Ehemann, vorgeführt. Wir verstehen uns genau, die alte Nomadin und ich. Wir beide wissen um die neue Straße, die China mit Russland verbindet und mitten durch die Mongolei führt, an manchen Stellen schnurstracks, hierherauf in den Nationalpark gewunden. Es geht nicht um echt oder falsch. Wir werden uns über den ideellen Wert einig. Und freuen uns. Ich trage die Kette nie, aber manchmal nehme ich sie zur Hand. (Tanja Paar, RONDO, 8.6.2018)