Genf/Brüssel/Jülich – Das Human Brain Project tritt in seinen nächste zweijährige Phase ein: Die Europäische Kommission hat eine entsprechenden Vereinbarung nun unterzeichnet. Damit wurden 88 Millionen Euro rückwirkend vom April 2018 bis Ende März 2020 bereitgestellt. In der zurückliegenden Phase wurden bereits bedeutende Fortschritte auf dem Weg dazu gemacht, für die Neurowissenschaft des 21. Jahrhunderts eine einzigartige computergestützte Forschungsinfrastruktur zu schaffen.

"Dieser sehr wichtige Schritt ist das Ergebnis der hervorragenden Arbeit unserer Mitarbeiter und Projektpartner in ganz Europa", sagt Katrin Amunts, die wissenschaftliche Leiterin des Projekts vom Forschungszentrum Jülich.

Das Human Brain Projekt ist eines der größten neurowissenschaftlichen Projekte weltweit und verbindet die Arbeit von über 500 Forschern in 19 EU-Mitgliedsstaaten. Es wurde 2013 als eines von zwei "Flagship"-Projekten des Future & Emerging Technologies (FET) Programms der Europäischen Kommission gestartet. Auf die vorbereitende "Ramp-up"-Phase (Oktober 2013-März 2016) folgte eine Restrukturierung, bei der auch ein neuer Fokus definiert wurde. (siehe Human Brain Project konkretisiert seine Forschungsziele, Pressemitteilung 11. Nov. 2016).

Gehirn-Komplexität im Fokus

In den Mittelpunkt rückte das Ziel einer neuartigen Hightech-Forschungsinfrastruktur für die Neurowissenschaften, um der enormen Komplexität des Gehirns begegnen zu können. Sie besteht heute aus sechs Technologieplattformen, darunter eine Neuroinformatik-Plattform mit digitalen Werkzeugen für Datenanalyse, eine Simulationsplattform, ein Netzwerk von Supercomputing-Zentren in ganz Europa sowie neuartige neuromorphe Computer- und Neurorobotik-Systeme. Diese werden in enger Zusammenarbeit mit experimentell und theoretisch arbeitenden Neurowissenschaftlern entworfen und von diesen genutzt.

"Dass wir diese hochgradig interdisziplinäre Struktur etablieren konnten, hat sich als wissenschaftlich äußerst fruchtbar erwiesen", sagt Amunts. "Jetzt werden wir uns mehr und mehr darauf konzentrieren, die breitere Forschungsgemeinschaft außerhalb von HBP einzubinden und ihre Forschungsbedürfnisse in die Entwicklungen unserer Ingenieure einfließen zu lassen." Zu den Vorhaben gehört unter anderem, die sechs Plattformen in einer einzigen, der "HBP Joint Platform", zu vereinen und ein HBP "High-Level Support Team" für die Anwender aufzubauen.

Fragmentierte Hirnforschung

Mit der Zusammenführung von Neurowissenschaft und digitaler Infrastruktur adressiert das Projekt eines der größten Probleme der heutigen Hirnforschung, erklärt Amunts: "Die immense Komplexität des Gehirns hat in der Wissenschaft zu sehr engen Spezialisierungen und einer gewissen Fragmentierung der Hirnforschung geführt. Riesige Datenmengen werden produziert, aber die Integration in ein zusammenhängendes Bild des Gehirns wird dabei immer schwieriger."

Die neue Infrastruktur des HBP ermöglicht Forschern deshalb die Kombination und Integration extrem umfangreicher und unterschiedlicher Daten, um zusammenhängende mehrstufige Modelle zu entwickeln, sie in Simulationen zu testen und in einer produktiven Schleife als Basis für neue Experimente zu nutzen. Damit wird eine neue Zugangsweise für das Verständnis der Gehirnfunktion in der Grundlagenforschung, ebenso wie klinische Forschung zum Verständnis von Erkrankungen des Gehirns und neuen Therapieansätzen geschaffen. Auch die Technologieentwicklung profitiert: An der Schnittstelle zwischen Neurowissenschaften und Informatik treibt das Projekt die Entwicklung neuartiger stärker biologisch inspirierter Künstliche Intelligenz-Systeme und innovativer Konzepte für Höchstleistungsrechner voran.

Neue Projekte

Weltweit sind nach dem HBP eine Reihe großer neurowissenschaftlicher Projekte entstanden. Im Dezember 2017 gehörte das Projekt zu den Gründungsmitgliedern der International Brain Initiative (IBI), um die Zusammenarbeit zwischen diesen globalen Großprojekten zu fördern.

"Mit den beachtlichen Fortschritten der vergangenen zwei Jahre können wir mit einem soliden Fundament und einem sehr spannenden Ausblick in die nächste Phase gehen", sagt Amunts. "Wir laden die wissenschaftliche und klinische Gemeinschaft ein, mit uns in Dialog zu treten, Projekte zu planen und die Plattformen zu testen und Feedback zu geben." (red, 5.6.2018)