Wien/Berlin – Die Oppositionsparteien SPÖ und Grüne üben scharfe Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen seiner Absicht, kommende Woche den umstrittenen neuen US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, zu treffen. SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried und der grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon forderten Kurz am Dienstag auf, das Treffen abzusagen.

Leichtfried warf dem Kanzler vor, einen diplomatischen Eklat mit Deutschland zu verursachen und die guten Beziehungen zu gefährden. "Er schlägt sich auf die Seite jener, die die EU schwächen und spalten wollen", kritisierte der Nationalratsabgeordnete mit Blick auf Aussagen Grenells, Konservative in ganz Europa stärken zu wollen.

Reimon sprach ebenfalls von einem "Affront gegenüber Deutschland". Das Treffen von Kurz mit Grenell "wirft ein schlechtes Licht auf Österreich vor der EU-Ratspräsidentschaft", schrieb er in einer Aussendung. "Bundeskanzler Kurz hat eine Vorliebe für autoritäre Führungspersönlichkeiten", kritisierte der EU-Mandatar die vermeintliche Absicht des Kanzlers "sich mit der Trump-Truppe zu verhabern".

Am Rande eines Berlin-Besuchs

Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal betonte am Montag auf APA-Anfrage, dass Kurz den US-Botschafter am Rande eines Berlin-Besuchs treffen werde. "Es gilt insbesondere in Zeiten wie diesen mit den engsten Vertrauten des US Präsidenten Kontakt zu halten, vor allem zu Fragen wie der Handelspolitik und der transatlantischen Beziehungen", hieß es in einer der APA übermittelten Erklärung. Das Treffen von Kurz mit Grenell finde auf beiderseitigen Wunsch statt, widersprach das Bundeskanzleramt ursprünglichen Angaben der US-Botschaft, wonach das Treffen "auf Bitte der österreichischen Seite" zurückgehe.

Seitens der Regierung wurde ebenso darauf hingewiesen, dass der US-Botschafter auch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu treffen werde. Netanyahu ist Chef der rechtsorientierten Likud Partei, die ein nationalkonservatives Programm verfolgt. Grenell hatte zuvor äußerst lobende Worte für Kurz gefunden. Gegenüber der ultrarechten Webseite "Breitbart" meinte der Diplomat, er empfinde großen Respekt und Bewunderung für den jungen österreichischen Kanzler. "Schauen Sie, ich denke, Sebastian Kurz ist ein Rockstar. Ich bin ein großer Fan", so der Botschafter.

Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurde diese Aussage "gemeinhin als Angriff auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verstanden, die der ÖVP-Chef in der Flüchtlingspolitik herausgefordert hatte". "Breitbart" erläuterte auch, Kurz habe sich im Zuge der Flüchtlingsdebatte gegen Merkel und das in der EU umstrittene Quotensystem bei der Aufnahme von Migranten gestellt. Es ist unüblich, dass ein Botschafter einen Regierungschef bei einem Besuch im Gastland einlädt. Grenell hatte zuvor auch schon den Merkel-Kritiker Jens Spahn (Gesundheitsminister/CDU) getroffen.

Aufregung in Deutschland

Grenells geplantes Treffen mit Kurz sorgt für große Aufregung in Deutschland. Außenminister Heiko Maas sagte am Dienstag, es gebe mit Grenell "einiges zu besprechen". Der SPD-Politiker kündigte für Mittwoch ein klärendes Gespräch mit dem US-Botschafter an. Der frühere SPD-Vorsitzende Martin Schulz sprach sich für eine Ablösung Grenells aus. "Was dieser Mann macht, ist einmalig in der internationalen Diplomatie", sagte der Außenpolitikexperte Schulz der Deutschen Presse-Agentur.

Statt wie üblich dem Gastland gegenüber neutral zu sein, agiere er wie der Aktivist einer rechten Politbewegung. "Wenn der Deutsche Botschafter in Washington sagen würde, ich bin hier, um die Demokraten zu stärken, dann würde er sofort rausgeschmissen". Zudem betonte Schulz: "Ich hoffe, dass der Kurz-Besuch zu einem Kurz-Aufenthalt von Herrn Grenell in seiner Funktion als Botschafter in Deutschland führt."

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht forderte die sofortige Ausweisung Grenells. "Wer wie US-Botschafter Richard Grenell meint, nach Gutsherrenart bestimmen zu können, wer in Europa regiert, der kann nicht länger als Diplomat in Deutschland bleiben", sagte Wagenknecht, der "Welt". "Wenn die Bundesregierung die demokratische Souveränität unseres Landes ernst nimmt, sollte sie Grenell nicht zum Kaffeeplausch einladen, sondern umgehend ausweisen", so Wagenknecht.

"Man muss es so nehmen, wie es ist"

Kritisch äußerte sich auch der CDU-Politiker Johann Wadephul. "Wir erwarten, dass der US-Botschafter die Interessen seines Heimatlandes vertritt und jede Beteiligung in politische Meinungsbildung in Deutschland unterlässt", sagte der stellvertretende Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Dienstag. "Alles andere wäre eine nicht akzeptable Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten", fügte der für die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik zuständige CDU-Politiker hinzu.

Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte, er wolle sich nicht zu jeder Äußerung eines Botschafters äußern. So wie Grenell und US-Präsident Donald Trump gestrickt seien, dürfe man von solchen Äußerungen noch mehr erwarten. "Aber man muss es so nehmen, wie es ist."

Grenell ist seit einem Monat US-Botschafter in Berlin und gilt als enger Vertrauter Trumps. Dieser hatte sich lobend zum Brexit geäußert und im französischen Wahlkampf Partei ergriffen für Marine Le Pen und ihre rechte Bewegung Front National (inzwischen umbenannt: "Rassemblement National"). (APA, 5.6.2018)