Kanzler Sebastian Kurz will auch in der EU sparen, unter anderem bei der Zahl der Kommissare.

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Sebastian Kurz reagiert auf die Geschichte allergisch. Dass er Viktor Orbán als ersten Staatsgast empfangen habe, echauffiert sich der Kanzler immer wieder, sei eine gemeine Unterstellung. Noch vor dem autoritären Ungarn hat er in Wien den liberalen niederländischen Premier Mark Rutte getroffen – und zwar nicht nur zum Neujahrskonzert, betont Kurz, sondern auch zu einem intensiven Arbeitsgespräch.

Zeig mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist: Die Frage des Erstbesuchs birgt im heimischen Fall besondere Symbolik. Schließlich schien die Regierung mit dem Eintritt der EU-feindlichen FPÖ vor einer Richtungsentscheidung zu stehen. Bleibt Österreich bei der europäischen Integration vorn dabei? Oder lehnt sich die Republik an die "Visegrád"-Staaten im Osten an, die mehr Nation und weniger EU wollen?

Signale in beide Richtungen

Das erste türkis-blaue Halbjahr brachte Signale in beide Richtungen. Kurz gratulierte Orbán vorbehaltlos zum Wahlsieg, vertritt die gleiche Linie in der Flüchtlingspolitik – und hat, wie Anton Pelinka anfügt, zur Demontage der Demokratie in Ungarn geschwiegen: "Während sich der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas die Schuhsohlen abläuft, um Orbán in Brüssel zu isolieren, sagt Kurz nichts dazu."

Dennoch hält es der Politologe für eine "Illusion", dass Österreich auf dem Weg zum fünften Visegrád-Staat sei – dagegen sprächen schon die finanziellen Interessen, die ein Land, das mehr an EU-Beiträgen zahlt, als es an Förderungen bekommt, von den Nettoempfängern im Osten trennt. Folgerichtig haben sich Kurz und Co jüngst dafür eingesetzt, den vermeintlichen Verbündeten Geld zu streichen.

Populistisches Getöse für Heimpublikum

Doch Distanz zu den Nationalisten im Osten ist per se noch kein Beleg für eine EU-freundliche Haltung. Einer der Konflikte entzündete sich daran, dass die Regierung den im Ausland lebenden Kindern von hierzulande arbeitenden EU-Bürgern die Familienbeihilfe streichen will – was für den Politologen Andreas Maurer diametral dem europäischen Geist widerspricht: "Es ist auch klar, dass das EU-rechtlich nie halten wird."

"Viel populistisches Getöse für das Publikum zu Hause" vernimmt der EU-Experte von der Uni Innsbruck. Wenn die Regierung etwa die Personenfreizügigkeit infrage stelle oder mit Grenzschließung wegen angeblicher neuer Flüchtlingswellen kokettiere, "dann zeigt sich da schon ein Renationalisierungsschub", sagt Maurer und sieht einen Unterschied zur ersten, im Jahr 2000 angetretenen schwarz-blauen Koalition: "Unter Kanzler Wolfgang Schüssel galt Österreich in Brüssel als östlichstes der westlichen Länder. Heute wird es als westlichstes Land des Ostens gesehen."

In dieses Bild passe auch der lautstarke Einsatz für Kürzungen im EU-Budget – wobei sich da die Widersprüche deutlich offenbarten. Denn gleichzeitig fordert die Regierung, dass die EU in den Schutz der Außengrenze investieren müsse, und bei den heimischen Bauern dürfe keineswegs gespart werden. Kurz verlange ständig, dass sich die EU – Zauberwort Subsidiarität – in manchen Fragen zurücknehmen müsse, urteilt Maurer: "Konkrete Vorschläge macht er aber keine."

Deutlich, wenn es ums Sparen geht

Festlegung in den Details scheut der Kanzler, der ja die EU-Agenden vom Außenministerium in sein Amt geholt hat, nicht nur hier. Er lobt zwar den französischen Präsidenten Emmanuel Macron dafür, Reformen in der EU voranzutreiben, und stilisiert sich als Verbündeter im Geiste; doch wie die Regierung zu den Vorschlägen – vom Eurozonenbudget bis zum EU-Finanzminister – genau steht, lässt er bis auf ein paar tendenziell skeptische Andeutungen offen.

Deutlicher wird Kurz meist nur dann, wenn eine Idee im Zeichen des Sparens steht. In der Welt plädierte er dafür, einen der beiden Sitze des Europaparlaments – Straßburg oder Brüssel – aufzugeben und die Zahl der EU-Kommissare von 28 auf 18 zu senken. Für ein kleines Land ist letzterer Vorschlag untypisch: Schließlich gäbe es den "eigenen" Vertreter in Brüssel gemäß einem Rotationsprinzip dann nur mehr vorübergehend.

Keine Ecken und Kanten

Unter dem Strich aber zeige Kurz in der Debatte über die Zukunft der EU "keine Ecken und Kanten", bilanziert Pelinka und erklärt das mit dem Ziel, nur ja keinen Konflikt zu riskieren: Würde sich die ÖVP für eine stärkere Integration einsetzen, käme sie unweigerlich mit der FPÖ übers Kreuz. Allerdings lasse sich der konturlosen Politik auch eine gute Seite abgewinnen, ergänzt der Politologe. Denn eines habe Kurz erreicht: "Er hat die FPÖ in der EU-Politik abgeschliffen. Von einem Austritt aus dem Euro und anderen Träumereien ist heute keine Rede mehr." (Gerald John, 6.6.2018)