Sarah Bitschnau erforschte die evolutionären Voraussetzungen der Würde des Menschen.

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In ihrer juristischen Doktorarbeit hat sich Sarah Bitschnau mit der Unterbringung in psychiatrischen Anstalten beschäftigt und zu diesem Zweck auch ein Praktikum an der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses St. Josef in Braunau absolviert. Dort stieß sie auf eine Frage, die sie nicht mehr loslassen sollte: Wie ist es an Orten wie diesem um die Würde des Menschen bestellt? Und: Was ist überhaupt Menschenwürde? Ein geisteswissenschaftliches Konzept? Oder baut die Idee vielleicht auf einem evolutionären Fundament auf?

Weil die 29-jährige Tirolerin den Dingen gern auf den Grund geht und neben Jus auch Psychologie studiert hat, schrieb sie an der Uni Innsbruck eine Masterarbeit über "die evolutionären und kulturellen Voraussetzungen der Menschenwürde". Eine elegante Verflechtung der geistes- mit der naturwissenschaftlichen Annäherung an ihr Herzensthema, dessen evolutionäre Aspekte bislang erst von wenigen Forschern beleuchtet worden waren.

Von der Brutpflege zur Reflexion

In ihrer Arbeit hat Sarah Bitschnau den Weg des Homo sapiens hin zum Konzept der Menschenwürde zurückverfolgt und dabei fünf zentrale Etappen in der menschlichen Entwicklungsgeschichte identifiziert. "Ganz am Anfang", erklärt sie, "steht das Brutpflegeverhalten, das sich bereits bei den ersten Säugetiervorfahren im Rahmen der Evolution als einseitig altruistische Verhaltensweise entwickelt hat." Weitere Stationen seien dann die Weiterentwicklung der Brutpflege zu einem freundlichen sozialen Verhalten gegenüber Artgenossen auch außerhalb der Familie, die Entwicklung der Empathiefähigkeit sowie die des geistigen Vermögens, sich die Gedanken anderer vorzustellen, gewesen.

"Die letzte Etappe geht mit der Entwicklung der Sprachfähigkeit einher, mit der sich schließlich völlig neue Wege der Reflexion geöffnet haben", berichtet die begeisterte Reiterin und Tourengeherin von ihrer Forschungsreise in die Weiten der Humanethologie, deren großer Pionier, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, vor wenigen Tagen gestorben ist.

Ihr Vordringen bis an die verhaltensbiologischen Wurzeln der Menschenwürde hat ihr nicht nur tiefe Einblicke in die Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens und seiner Vorfahren gebracht, sondern auch den Rupert-Riedl-Preis. Diese Auszeichnung wird seit 2002 vom Club of Vienna vergeben, um gesellschaftlich relevante Forschung in Österreich zu fördern.

Natürlich habe die Beschäftigung mit solchen Grundfragen des Menschseins auch Auswirkungen auf ihre Arbeit als Juristin: "Die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Phänomens Menschenwürde hilft auch dabei, die Bedingungen besser zu verstehen, unter denen die Würde des Menschen Gefahr läuft, verletzt zu werden." Etwa wenn aufgrund bestimmter Erfahrungen in der Kindheit die ontogenetischen Voraussetzungen für Empathie, Selbst- und Fremdwertgefühl nicht reifen konnten.

"Als Rechtsanwaltsanwärterin habe ich oft auch familienrechtliche Angelegenheiten zu bearbeiten, und da hilft mir mein psychologisches und ethologisches Wissen sehr." Zugleich mache gerade die Arbeit als Juristin aber auch die große Verletzlichkeit der Würde des Menschen besonders deutlich. (Doris Griesser, 10.6.2018)