Auch heute noch gültig: die Ausführungen des Humanisten Erasmus von Rotterdam über das Einfühlungsvermögen eines Lehrers.

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In den alten Sprachen Latein und Griechisch finden wir bei der standardisierten Reifeprüfung – die die Neos für diese Fächer neuerdings wegfallen lassen wollen – immer wieder aktuelle und heute noch gültige Texte vor. So handelte im Vorjahr eine Textstelle in Latein davon, dass jeder Krieg mehr Verluste als Gewinne bringt, selbst dann, wenn er mit einem Sieg endet. Krieg fügt den beteiligten Ländern nicht nur großen Schmerz durch den Tod vieler Menschen zu, sondern bewirkt auch den Niedergang dieser Nationen in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Sind das nicht Aspekte, die heute in gleicher Weise gültig sind wie zur Zeit des Humanisten Erasmus, von dem der Text stammt?

Ebenso aktuell war im Vorjahr der Text des Rhetoriklehrers Laktanz aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert, der die Menschlichkeit als das wichtigste Band zwischen den Menschen beschreibt und festhält, dass es das größte Verbrechen ist, wenn Menschen einander hassen. Solche Menschen gleichen eher Tieren. Wie anders würde unsere Welt aussehen, wenn nicht nur der einzelne Mensch, sondern Völker und Nationen sich an diesen Grundsatz halten könnten?

Kleine Portionen Wissen

Auch die Texte der heurigen Matura entbehren nicht der Aktualität: So wird die moderne Pädagogik auf den Plan gerufen, wenn es in einem lateinischen Klausurtext heißt, dass Lehrer (wir könnten ergänzen: und Lehrerinnen) den Stoff ihren Schülerinnen und Schülern in kleinen Portionen darbieten sollen. Diese kindgerechte Lehre wird dabei mit dem behutsamen Vorgehen von Eltern verglichen, wenn sie ihren Kindern Essen, Reden und Gehen beibringen. Sie stellen sich dabei ganz auf ihre Kinder ein, indem sie nur kleine Portionen füttern, zuerst stammeln wie die Babys und sie erst allmählich mit Wörtern ihrer Muttersprache konfrontieren und sie auch langsam einen Schritt nach dem anderen versuchen lassen. Ist das nicht das Einstellen auf die Aufnahmefähigkeit der Kinder, das die moderne Pädagogik in ähnlicher Weise fordert?

Im griechischen Text der heurigen Reifeprüfung wiederum geht es um das Thema, was wirklich Armut beziehungsweise Reichtum bedeutet. Es wird die Frage aufgeworfen, ob derjenige wirklich reich ist, der Materielles im Überfluss besitzt, oder vielmehr der, der mit dem zufrieden ist, was er hat. Als krank dagegen werden Menschen bezeichnet, die in ihrer Habgier anderen Menschen schaden, nur um Reichtum anzuhäufen. Ist nicht auch das ein Gedanke, der die Welt zu verändern imstande wäre?

Schönheit der Bildung

Aber auch ein Thema, das sehr an die Lebenswelt unserer Maturantinnen und Maturanten angepasst ist, findet sich in einem anderen lateinischen Text, wenn davon der Rede ist, dass ein Liebhaber, der nicht nur von der Schönheit, sondern auch von der Bildung seiner Geliebten fasziniert ist, sie bittet, den Kontakt zu ihm doch nicht abzubrechen, auch wenn sie eigentlich nichts mehr von ihm wissen will.

Aktualität hängt also nicht vom Alter der Texte ab. Im Gegenteil: Alte Texte geben durch ihre Allgemeingültigkeit oftmals Stoff zum Nachdenken! (Regina Loidolt, 11.6.2018)