GIS-Gebühren abschaffen: FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein.

Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen

STANDARD: Donnerstag und Freitag lässt die Regierung Medien und Medienpolitik sehr breit in einer Enquete diskutieren. Im Fokus der FPÖ stand in den vergangenen Jahren die GIS, die Rundfunkgebühr. Bleibt die Abschaffung Generallinie der Partei – und warum eigentlich?

Jenewein: Wir wollen die GIS-Gebühr abschaffen. Sie stammt aus einer Zeit, als es in Österreich zwei Fernsehkanäle gab – FS1 und FS2. Heute kann ich mehr als hundert deutschsprachige Kanäle empfangen, und lineares Fernsehen wird mehr und mehr von Streaming abgelöst. Natürlich ist das eine kontroverse Diskussion, und natürlich möchte man im ORF gerne alte Besitzstände erhalten. Wir stehen am Beginn einer Diskussion und noch lange nicht an ihrem Ende. Jetzt muss der ORF sagen, wie er sich entwickeln möchte.

STANDARD: Aber wenn man sich in hunderten Kanälen und auf Streamingplattformen ohnehin alles nur Erdenkliche findet: Braucht man überhaupt man noch einen ORF?

Jenewein: Ich glaube schon, dass man einen Öffentlich-rechtlichen braucht, und ich bekenne mich auch ausdrücklich dazu. Gerade in so konfusen Zeiten, wo faktisch jeder als Journalist auftreten kann und über verschiedenste Kanäle irgendwelche Meldungen verbreiten kann, braucht es ein Rückzugsrefugium, auf das ich mich verlassen kann. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk wird also heute mehr gebraucht denn je. Aber: Er muss nicht jeden Trend nachhoppeln, den kommerzielle Sender vormachen. Er muss sich darauf besinnen: Was ist öffentlich-rechtlicher Content, was braucht man in Zukunft – und was kann man getrost Privaten überlassen, die das vielleicht sogar besser können.

STANDARD: Nun hat gerade die FPÖ in den vergangenen Monaten sehr deutlich kommuniziert, dass man sich nicht auf den ORF verlassen könne. Kann man sich nun auf den ORF verlassen?

Jenewein: Ich behaupte: Im ORF arbeiten durch die Bank ausgezeichnete Journalisten und wirklich gute Fernseh- und Radiomacher. Dass es hier und da zu Meinungsverschiedenheiten kommt, liegt in der Natur der Sache. Ich darf aber daran erinnern, dass es zuletzt erst solche Meinungsverschiedenheiten zwischen SPÖ und ORF gab über einen "Kulturmontag" mit dem Medienminister. Man muss solche Dinge ansprechen können, ohne gleich eine Staatskrise auszurufen. Kritik muss schon möglich sein, in alle Richtungen. Auch Journalisten müssen sich Kritik stellen, wenn jemand Fehler wahrnimmt.

STANDARD: Finden Sie auch, dass ORF-Journalisten unbotmäßig fragen, dass man den einen oder anderen Journalisten- oder Korrespondentenjob streichen sollte, weil sie nicht nach den Erwartungen berichtet hätten. Das hat der neue Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats, Norbert Steger von der FPÖ, erklärt.

Jenewein: Da ist ihm der Kragen geplatzt über eine Berichterstattung. Das sei ihm zugestanden. Genauso ist es für den ORF zulässig, sich dagegen zu wehren und die Unabhängigkeit zu verteidigen. Wobei ORF und Unabhängigkeit an sich schon eine fragwürdige Sache sind.

STANDARD: Weil?

Jenewein: Der ORF war noch nie von der Politik unabhängig.

STANDARD: Das wäre doch eine schöne Gelegenheit loszulassen.

Jenwein: Ich bin für einen Neustart mit einem neuen ORF-Gesetz, das mehr Transparenz bietet, das den ORF schon als das apostrophiert, was er ist: ein Sender der Republik, der Staatsbürger. Das soll auch bestmöglich in einem Stiftungsrat oder einem Aufsichtsrat abgebildet werden.

STANDARD: Wie könnte man denn die Republik und die Staatsbürger in diesem Aufsichtsrat abbilden? Wieder eine Publikumswahl von ORF-Räten?

Jenewein: Damit wurde schon ausreichend und ausreichend skurril experimentiert – ich erinnere mich da an eine Faxwahl von Publikumsräten. Wir haben eine repräsentative Demokratie, und die sollte auch im ORF abgebildet sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass man nach dem d'Hondtschen System...

STANDARD: ... also nach Mandatsstärke im Nationalrat ...

Jenewein: ... genau, der Aufsichtsrat zusammengesetzt ist. Damit wäre auch die Opposition in diesem Kontrollgremium wesentlich vertreten. Das hielte ich für eine vernünftige Lösung.

STANDARD: Die SPÖ ist darüber schon begeistert – sie hätte damit auch in als Oppositionspartei deutlich mehr Mandate als bisher.

Jenewein: Ich denke, jede politische Partei sollte Interesse daran haben. Das System hat sich überall bewährt, wo es ein öffentliches Interesse gibt. Das halte ich für klug.

STANDARD: Haben Sie diese Begeisterung für ein ORF-Aufsichtsgremium auch bei Ihrem Regierungspartner ÖVP feststellen können, die etwa dank der Mandate der Bundesländer die weitaus größte Fraktion im Stiftungsrat stellt?

Jenewein: Wir sind in Diskussion.

STANDARD: Wenn man die Gebühren abschafft, das sind derzeit rund 630 Millionen Euro, aber weiterhin einen ORF will: Woher kommt dieses Geld? Aus dem Staatsbudget?

Jenewein: Der Anspruch dieser Bundesregierung ist, nicht nur kleine Äste im Boden zu vergraben, sondern große Pflöcke einzuschlagen. Man muss sich die Struktur des ORF ansehen, ansehen, wie er wirtschaftet und künftig wirtschaften soll. Da gibt es durchaus Potenzial, Kosten zu reduzieren, ohne am Programm zu sparen.

STANDARD: Geld wird es trotzdem brauchen – und ohne GIS dann aus dem Staatsbudget?

Jenewein: Mir gefällt die Schwarz-Weiß-Malerei nicht – entweder GIS oder Budgetfinanzierung.

STANDARD: Was gibt es dazwischen?

Jenewein: Da ist politische Kreativität gefragt. Ich denke da an Public-Private-Partnership-Modelle. Man kann und sollte Public Value künftig unabhängig vom Erzeuger fördern. Das sollen jene tun, die das am kostengünstigsten schaffen. Man muss sich vom Denken der 1960er Jahre, von der größten Medienorgel des Landes, auch irgendwann verabschieden. Zusammenarbeit mit neuen Finanzierungsmodellen kann funktionieren. Aber wir sind am Beginn dieser Diskussion. Reden wir in einem halben Jahr, da wissen wir alle mehr.

STANDARD: Woher kommt das Geld, das es ja auch in Public-Private-Partnerships braucht?

Jenewein: Ein Teil muss sicher aus öffentlichen Mitteln kommen. Wenn man Public Value möchte, dann kostet das Geld. Selbstverständlich wird die öffentliche Hand da ihren Beitrag leisten. Aus welcher Tasche dann das Geld kommt, da werden sich der Bund und wohl auch die Länder und vielleicht auch andere Medienunternehmen zusammensetzen müssen.

STANDARD: Die Regierung will noch heuer einen Entwurf für das neue ORF-Gesetz vorlegen – das heißt: Kommendes Jahr bekommt der ORF schon einen neuen Vorstand und einen neuen ORF-Aufsichtsrat?

Jenewein: Ich hoffe, die EU-Ratspräsidentschaft macht uns keinen Strich durch die Rechnung. Aber die Idee ist schon, noch heuer ein ORF-Gesetz auf den Weg zu bringen, das wir – das ist durchaus ambitioniert – heuer auch noch beschließen wollen. Wenn das gelingt, ist von einem neuen ORF-Vorstand 2019 auszugehen.

STANDARD: Mit einem Vorstandsvorsitzenden – und wird der Alexander Wrabetz heißen?

Jenewein: Das ist alles noch in Diskussion. Aber Alexander Wrabetz hat einen gültigen Vertrag; ich gehe davon aus, dass er seinen Vertrag erfüllen wird.

STANDARD: Oder sehr teuer abgelöst wird. Vorerst plant Wrabetz aber jedenfalls noch für den ORF – zum Beispiel einen Abrufdienst für eine ungleich größere Menge an ORF-Inhalten, auf einer gemeinsamen Plattform mit Privaten.

Jenewein: Das zeigt: Die Enquete funktionierte schon, bevor sie noch begonnen hat. Auf einmal zeigt der ORF Innovationskraft, indem man Ideen anderer als Innovationen verkauft. Mir soll das recht sein, wenn es Bewegung gibt. Wir wollen das ORF-Archiv, in dem Schätze lagern, der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das soll nicht irgendwo auf Servern oder in Kellern verschimmeln.

STANDARD: Wolfgang Fellner etwa hätte ORF-Produktionen bestimmt gern für Oe24.tv.

Jenewein: Da geht es nicht nicht darum, öffentlich-rechtlichen Content privaten Fernsehveranstaltern nachzuwerfen, damit die billig Programm machen können. Es geht darum, dass jeder Staatsbürger Zugang zu jenen Inhalten hat, die er ja schon bezahlt hat. Das ist die prinzipielle Idee. Auch die Abrufbeschränkung auf sieben Tage ist ein Anachronismus.

STANDARD: Wo wir schon bei den Privatsendern sind: Die wünschen sich jedenfalls 25 statt 15 Millionen Euro Privatrundfunkförderung pro Jahr.

Jenewein: Wir waren im Zuge der Regierungsverhandlungen soweit einig, dass es hier eine Änderung geben muss. Wenn die RundfunkregulierungsgmbH RTR der Meinung ist, dass es für ein Projekt mehr Förderung braucht, soll das möglich sein.

STANDARD: Eine Reform der knapp neun Millionen Presseförderung soll sich die Regierung auch vorgenommen haben.

Jenewein: Natürlich wünschen sich die Verlegern mehr Geld, und ich unterstütze das auch. Da gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Ankündigungen, aber keine Umsetzung. Wir gehen das an, wenn der ORF diskutiert wurde.

STANDARD: Worauf darf man sich einstellen?

Jenewein: Zum Beispiel Förderung auch von Onlinemedien und unabhängig von der Erscheinungsfrequenz: Es ist nicht einzusehen, warum ein Monatsmagazine wie "Datum", die ich persönlich durchaus schätze, keine Presseförderung bekommen. Es gehört Qualität gefördert.

STANDARD: Wie prüft man die für die Förderungsvergabe?

Jenewein: Ich meine damit nicht die Inhalte. Für mich ist es etwa ein Qualitätsmerkmal, wenn eine Zeitung oder ein Magazin für journalistischen Nachwuchs sorgt, wenn es also zum Beispiel Lehrredaktionen gibt. Qualität bedeutet für mich aber auch, wenn die Journalisten zumindest nach dem Journalistenkollektivvertrag entlohnt werden. Das ist für mich ein zwingendes Kriterium für eine Förderung.

STANDARD: Mitgliedschaft im Presserat?

Jenewein: Ist für mich keine Bedingung. Ich glaube aber, dass man sich in dem Zusammenhang die Ausgliederung in Content-GmbHs anschauen muss. Wir reden aber hier über eine winzige Summe – acht, neun Millionen Euro – im Vergleich zu den Inseraten öffentlicher Stellen von an die 200 Millionen Euro im Jahr, und dazu 100 Millionen, die unter die Bagetellgrenze fallen und deshalb nicht gemeldet werden.

STANDARD: Das Regierungsprogramm kündigt eine Evaluierung des Medientransparenzgesetzes an, das öffentliche Stellen verpflichtet, ihre Werbeaktivitäten zu melden. Man könnte vermuten, die Regierung möchte die Transparenz aus der Medientransparenz evaluieren.

Jenewein: Da kann ich Sie beruhigen: Das steht im Regierungsprogramm, weil mein Gegenüber bei den Verhandlungen der heutige Justizminister Josef Moser war. Der hat das Mediengesetz wegen seiner Schlupflöcher als Rechnungshofpräsident vernichtend kritisiert. Wir waren uns über den Reparaturbedarf sehr einig. Wir werden da ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Kritikpunkte des Rechnungshofs bereinigt hat.

STANDARD: Die Bagatellgrenzen sollen fallen?

Jenewein: Man wird verhindern, dass alle zehn Euro unter den Bagatellgrenzen bleiben und so 100 Millionen pro Jahr nicht gemeldet werden.

STANDARD: Mit ihnen hat auch Medienberater Hans Gasser über das Regierungsprogramm verhandelt. Er schlägt vor, die Kommunikationsetats der Ministerien und anderer öffentlicher Stellen für Planung und Einkauf gebündelt einer Mediaagentur zu überantworten wie in Deutschland.

Jenewein: Ich halte jeden Vorschlag für sinnvoll, der hilft, Kosten zu sparen und unnötige Mehrgleisigkeiten zu vermeiden. Gasser hat natürlich recht. Dann muss es das aber auch gewesen sein – da kann es dann aber keine Einzelaktionen von Ministern abseits dieses Budgets geben, das wäre dann nicht sinnvoll.

STANDARD: Im Reigen der medienpolitischen Geldfragen fehlt uns noch die stärkere Besteuerung von Google und Facebook. Ist das erklärte Ziel umsetzbar?

Jenewein: Das ist eines der wichtigsten Themen überhaupt, und es sollte auch das große Thema dieser Medienenquete sein. Das ist die Überlebensfrage der österreichischen und europäischen Medien. Google und Facebook holen sich aus dem Online-Werbemarkt den größten Teil – und werden dafür nicht zur Kasse gebeten. Wir wollten diese Giganten mit dem Modell der digitalen Betriebsstätte zwingen, in Zukunft in Österreich Abgaben zu zahlen. Das wirft aber europarechtlich viele Schwierigkeiten auf. Aber wir sollten dennoch über nationalgesetzliche Hebel versuchen, zumindest an einen Teil der Gelder zu kommen, die der österreichischen Medienwirtschaft entgehen.

STANDARD: Haben Sie den Hebel schon gefunden?

Jenewein: Wir suchen gerade. Aber wir werden da sehr nachhaltig suchen. Das ist einer der wichtigsten Punkte, auch für eine künftige Medienförderung. Ich habe großes Vertrauen in den Medienminister, dass er das Thema während Österreichs EU-Vorsitz in den Fokus rücken wird. Das ist Gernot Blümel persönlich wichtig. Das ist existenziell für den österreichischen Medienmarkt.

STANDARD: Wieviel Geld könnte da hereinkommen?

Jenewein: Es gibt Berechnungen, aber die möchte ich nicht kommunizieren. Das ist noch sehr theoretisch. Sie können aber davon ausgehen, dass dem Finanzminister und damit der österreichischen Medienwirtschaft zumindest schöne zweistellige Millionenbeträge entgehen.

STANDARD: Auch deutsche TV-Konzerne machen gutes Geld in Österreich mit Werbefenstern.

Jenewein: Derzeit investiert zumindest einer von ihnen auch stark in österreichische Produktionen. Wir können nur nie sicher sein, ob der Mutterkonzern weiter am österreichischen Markt interessiert ist. Aber man kann den Medienmarkt nicht rein national betrachten, das greift zu kurz.

STANDARD: Markus Breitenecker und Corinna Milborn von ProSiebenSat1Puls4 verlangen, Youtube/Google und Facebook als Medienunternehmen zu behandeln.

Jenewein: Da haben sie vollkommen recht. Facebook und Google können da nicht alle Verantwortung von sich weisen. Es wird notwendig sein, diesen Firmen auch mit europäischer Gesetzgebung hinzuweisen, wie man in Europa mit Medienrecht umzugehen hat. (Harald Fidler, 7.6.2018)