Mit einem deutschen Schlager fällt einem alles gleich viel leichter. "Das gibt's nur einmal, das ist zu schön, um wahr zu sein", gibt Lilian Harvey den Ton vor, während der Deserteur seine neue Zukunft im Rückspiegel betrachtet. Eben noch von einer SS-Bande beinahe zu Tode gehetzt, hat sich Willi Herold (Max Hubacher) in ein Wäldchen gerettet. Da steht an einer verlassenen Kreuzung plötzlich ein Wehrmachtswagen, auf dem Rücksitz ein Korb voller Äpfel und – die Uniform eines Hauptmanns. Das grausige Spiel kann beginnen.

Größenwahn und Macht: Max Hubacher als falscher Hauptmann Willi Herold.
Foto: Julia M. Müller

Der deutsche Regisseur und Hollywoodexport Robert Schwentke (Flightplan, Die Bestimmung) hat sich für Der Hauptmann einer wahren Begebenheit angenommen: In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs fand der ehemalige Schornsteinfeger und Deserteur Willi Herold eine Kiste mit einer Hauptmannsuniform, scharte rund ein Dutzend Gefolgsleute um sich und errichtete als "Henker vom Emsland" ein Schreckensregiment in einem Strafgefangenenlager. Mehr als hundert Gefangene fielen Herolds Tötungsmaschinerie zum Opfer. Von einem deutschen Militärgericht zunächst freigesprochen, wurde Herold schließlich von den Briten verurteilt und 1946 hingerichtet.

"Die Lage ist immer das, was man daraus macht", so Herold. Mit dem Hauptmann von Köpenick, der wahren Geschichte des legendären Hochstaplers vor dem Ersten Weltkrieg, teilt Der Hauptmann indes nur die Idee der Camouflage und jene von der Uniform als Deckmantel. Was Schwentkes Film vielmehr bestimmt, ist die alte Faszination des Bösen – und dessen sukzessive Steigerung. Kann es möglich sein, dass die Anverwandlung dazu führt, in einem mörderischen System aufzugehen? Der Hauptmann liefert die entsprechende Antwort allerdings nur begrenzt.

Robert Hofmann

Denn Schwentke fragt nicht nach den systematischen Ursachen der zunehmenden Gewaltbereitschaft, sondern reduziert die Erzählung ganz auf die Person Herolds, liefert mögliche Erklärungen allenfalls in dessen Größenwahn, Machtanspruch und ausgeprägtem Narzissmus.

Wenn Herold, nach seiner Wandlung, frisch gebügelt und mit glattrasiertem Bubengesicht, seinen ersten willfährigen Handlanger (Milan Peschel) rekrutiert, gehören die anfänglichen Unsicherheiten bald der Vergangenheit an. Beim ersten öffentlichen Auftritt "mit persönlicher Vollmacht des Führers" im Dorfgasthaus schmecken Braten und Bier, und auch deshalb wird ein von den Dörflern aufgebrachter Plünderer zu Herolds erstem Opfer.

Rhetorisches Kräftemessen

Es sind die Lust an der Macht und die Befürchtung der Enttarnung, die in Schwentkes Interpretation diese Figur antreibt. Für Herold gibt es keine Umkehr – nicht weil sie unmöglich wäre, sondern weil sie seiner neuen Rolle nicht entspricht. Jede Begegnung, mit Soldaten, die sich in seinen Dienst stellen, oder echten anderen Offizieren, gleicht einem rhetorischen Kräftemessen, bei dem Herold den besseren Instinkt beweist.

Kunstvoll ausgeleuchtet: Max Hubacher als "Henker vom Emsland".
Foto: Julia M. Müller

So funktioniert Der Hauptmann auch weniger als Reflexion über das Verhältnis von Masse und Macht, sondern als bildgewaltiger Kunstkriegsfilm, der den Schrecken ins Artifizielle überhöht: Die trostlose Winterlandschaft in Cinemascope, von Kameramann Florian Ballhaus in stechend scharfen Schwarz-Weiß-Bildern fotografiert, erweist sich derart als leere Bühne für eine Art experimentelle Versuchsanordnung. Während die Bilder immer wieder ins Absurde abgleiten, etwa wenn Herolds Tross wie eine Ameisenkolonne mit Fliegerabwehrkanone über die Landstraßen zieht.

Auch deshalb mutet der finale Schwenk, mit dem Schwentke die Vergangenheit mit der Gegenwart kurzschließt, seltsam und falsch an. Er bleibt reine Provokation, eine Verstörung um ihrer selbst willen. (Michael Pekler, 7.6.2018)