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Staatsanwalt Gábor Schmidt spricht von "Gleichgültigkeit".

Foto: Sandor Ujvari/MTI via AP

Im ungarischen Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen für die Flüchtlingstragödie auf der A4 im August 2015 hat der Staatsanwalt lebenslange Haftstrafen für die vier Angeklagten gefordert. In seinem Schlussplädoyer bekräftigte Gábor Schmidt am Donnerstag im Gericht von Kecskemét den Mordvorwurf gegen einen afghanischen und drei bulgarische Schlepper. "Der Tod der 71 Menschen war die Folge der gemeinschaftlichen Tatabsicht der vier Angeklagten", sagte er.

Die Flüchtlinge erstickten am 26. August 2015 qualvoll im Laderaum eines aus Ungarn gekommenen Kühllasters. Erst am Tag danach waren österreichische Polizisten auf das Fahrzeug mit den Leichen gestoßen. Der Chauffeur, der Bulgare I.S., hatte es in einer Pannenbucht der A4 bei Parndorf abgestellt und zurückgelassen.

Nach Ungarn abgesetzt

Im Wagen seines bulgarischen Begleiters W.T. hatte er sich dann über die Slowakei nach Ungarn abgesetzt. Dort wurden die beiden wenig später zusammen mit dem mutmaßlichen Bandenchef, dem Afghanen L.S., und dessen Stellvertreter, dem Bulgaren G.M., verhaftet.

Für den Fahrer, den Begleiter und den Bandenchef forderte der Staatsanwalt lebenslang ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung – eine in der EU umstrittene Besonderheit des ungarischen Strafrechts. G.M., der schon zu Beginn des Ermittlungsverfahrens umfassend gegen seine Komplizen ausgesagt hatte, käme demnach frühestens nach 20 Jahren wieder aus der Haft.

150 Seiten Schlussplädoyer

Das Verfahren in Kecskemét begann vor knapp einem Jahr. Staatsanwalt Schmidt beendete am Donnerstag die Verlesung seines mehr als 160 Seiten dicken Schlussplädoyers. Der vorsitzende Richter János Jádi hofft, am Donnerstag die Urteile sprechen zu können.

In dem komplexen Verfahren sind insgesamt 14 mutmaßliche Schlepper angeklagt, unter ihnen drei in Abwesenheit. Verhandelt werden nicht nur die Parndorfer Todesfahrt, sondern auch 25 weitere Schlepperfahrten nach Österreich und Deutschland. Unter den Angeklagten sind elf Bulgaren, zwei Afghanen und ein libanesisch-bulgarischer Doppelstaatsbürger.

Ihnen wirft die Anklage Menschenschmuggel und die besonders grausame Behandlung der ihnen anvertrauten Flüchtlinge vor. Sie sollen sie in überfüllten, nicht belüfteten, für den Transport von Menschen ungeeigneten Fahrzeugen transportiert haben.

Erdrückende Beweislast

Die einzelnen Schlepperfahrten wurden im Verfahren dokumentiert, die Angeklagten bestritten ihre Mitwirkung schließlich auch nicht. Die Beweislast war erdrückend. Das Gericht kann nicht nur auf die Aussagen der Angeklagten zurückgreifen, die sich in Ermittlungs- und Beweisverfahren zum Teil gegenseitig schwer belasteten. Erkenntnisse lieferten auch Telefonabhöraktionen, Handy-Bewegungsprofile und Aufnahmen von Überwachungskameras auf Autobahnen und Parkplätzen.

Die vier Hauptangeklagten bestritten während des Verfahrens jede Mordabsicht in Hinblick auf die Parndorfer Todesfahrt. Der Staatsanwalt meinte aber unter Berufung auf die abgehörten Telefonate während dieser Fahrt: "Die Angeklagten konnten die Folgen ihres Tuns absehen, haben sich aber damit abgefunden und Gleichgültigkeit an den Tag gelegt."(Gregor Mayer aus Kecskemét, 7.6.2018)