Die Stimme der Jugendlichen bleibt in Debatten über die Schule oft ungehört.

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Die Zustände an den Schulen, Kritik an Lehrenden – Bildung gibt laufend Stoff für mediale Auseinandersetzung, aktuell auch in der STANDARD-Serie "Aus dem Klassenzimmer". Gut, wenn hier schulischen Alltagsperspektiven Raum gegeben wird, wenn auch über mangelnde strukturelle Ausstattung und Probleme in der Zusammensetzung der Klassen berichtet wird.

Eine Stimme fehlt aber: die der Kinder und Jugendlichen selbst. In der offenen Jugendarbeit, in unseren Jugendtreffs und im Park hören wir andere Schulgeschichten. Es sind die Alltagsgeschichten von Schülerinnen und Schülern, die in der Regel nur in Zusammenhang mit ihrem "Migrationshintergund", ihrer Fluchtgeschichte oder ihrer Religionszugehörigkeit vorkommen. Die Kids erzählen uns Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern davon, dass sie sich von Lehrerinnen, Lehrern, Direktorinnen oder Direktoren ungerecht behandelt fühlen. Sie berichten von abfälligen Bemerkungen über ihre Kleidung und von Bewertungen ihrer religiösen oder politischen Ansichten. Schnell werden sie als "Bande" oder "Extremisten" eingestuft. Sie sind mit mangelndem Zutrauen konfrontiert, hören etwa, dass sie es sicher nicht ins Gymnasium schaffen. Manchmal hören wir sogar Geschichten von Gewalt, wenn zum Beispiel eine Lehrerin einem Schüler mit dem Heft auf den Kopf schlägt.

Respekt und Angst

Die Kinder erzählen das auch zu Hause, aber oft trauen sich die Eltern nicht, sich zu beschweren. Sie haben großen Respekt bis hin zu Angst vor der Institution Schule, gerade wenn sie einer Gruppe angehören, die in den Medien und im sozialen Umfeld häufig problematisiert wird. Selbst wenn sich Eltern wegen Diskriminierungen oder Übergriffen an die Direktion oder den Stadtschulrat wenden, ist der Ausgang unsicher: Wenn Kinder von involviertem Schulpersonal befragt werden, fühlen sie sich aufgrund des Machtungleichgewichts leicht unter Druck gesetzt. Oft relativieren sie dann ihre Aussagen, ziehen sich zurück oder verlassen sogar die Schule – wodurch Zuschreibungen wie "Dann werden sie schon selber Dreck am Stecken haben ..." oder "So arg wird es schon nicht gewesen sein ..." aufrecht bleiben.

Körperliche und psychische Gewalt von Lehrenden an Schülerinnen und Schülern ist nicht die Norm und vielfach Ausdruck von strukturellen Schwierigkeiten. Unfaire Behandlung und Benachteiligungen aufgrund einer anderen Muttersprache, einer bestimmten Religionszugehörigkeit oder aufgrund des sozioökonomischen Status sind aber häufig, Bildungsbenachteiligungen mittlerweile mehrfach in Studien belegt. Die Schwierigkeiten, sich dagegen zu wehren, treffen wiederum jene besonders hart, denen durch institutionelle Diskriminierung sowieso schon weniger Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

Weniger Toleranz

Kinder provozieren, Jugendliche testen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden Grenzen aus, manchmal überschreiten sie diese. Als Ausdruck einer gesellschaftlichen Sensibilisierung für Gewalt ist auch an Schulen weniger Toleranz für Grenzüberschreitungen der Kids zu beobachten. Das ist gut, insoweit es Betroffenen hilft, erlittenes Unrecht zu beenden oder Hilfe zu suchen. Andererseits führt es aber dazu, dass Raufereien schnell als "Bandenkriege" dargestellt werden, provokante Meldungen undifferenziert als Radikalisierung gelten. "Integrationsverweigerer"? Wohin sollen sich Jugendliche denn integrieren, wenn sie spüren, dass sie nicht die gleichen Möglichkeiten haben? Was können wir von Jugendlichen erwarten, die in der Schule lernen, dass sie sich gegen Gewalt und Ungerechtigkeit nicht wehren können, wenn sie von Autoritätspersonen ausgehen?

Staatliche Institutionen brauchen unabhängige Stellen für Beschwerden. In Deutschland gibt es zum Beispiel eine Stelle für Diskriminierungsschutz an Schulen. Wenn Jugendliche spüren, dass sie zu ihrem Recht kommen können, dass sie gehört werden, dann steigt auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich einzubringen. (Gabriele Wild, 18.6.2018)