Er verlangt gewisse körperliche Dienstleistungen: Sängerin Tosca mit dem mächtigen Polizeichef Scarpia in einer gefährlichen Extremsituation.

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Vorbei die Zeiten tobender Luftmasseure im Stile der Cholerikerlegende Arturo Toscanini. Tobsucht wird durch öffentlich zelebrierten kollegialen Umgang ersetzt. Der Berufsstand des Dirigenten repräsentiert nach wie vor den Archetypus eines allmächtigen Künstlers. Der Maestro erschafft oder verhindert Karrieren – wie dies ebenfalls Intendanten, Festivalleiter oder Regisseure tun.

Asymmetrische Machtverhältnisse sind in der Klassikwelt Alltag. Immer noch dominieren Herren die subventionierten Fabriken der großen Musikgefühle. Unzulässige Grenzüberschreitungen im Umgang mit dem Gegenüber sind eine latente Gefahr, deren Folgen bis dato durch Verschwiegenheit und Abhängigkeit verborgen blieben. Das hat mit den Strukturen in der Klassikwelt zu tun.

Seit an die 100 Frauen den Filmproduzenten Harvey Weinstein diverser Vergehen bezichtigt haben, kommt durch die globale MeToo-Bewegung und deren Veröffentlichungsmacht ungewohnte Transparenz über die Klassikwelt. In Schweden präsentierten 650 Sängerinnen ein Statement, das sexuelles Fehlverhalten durch Männer in Machtpositionen schildert: "Man vermeidet, allein in einem Raum mit einem mächtigen Mann zu sein", so die Sopranistin Agneta Eichenholz, die in Wien etwa Alban Bergs Lulu gab.

Vorwürfe gegen Levine

Ein solcher Mann war womöglich Dirigent Charles Dutoit: Nach Vorwürfen sexueller Belästigung hat sich das Royal Philharmonic Orchestra vom Schweizer getrennt. Die Sache ist ebenso gerichtsanhängig wie jene von James Levine. Die New Yorker Met verzichtet auf die Dienste ihres Musikchefs, da Levine von sieben Männern sexueller Vergehen bezichtigt wird. Die Met fordert von ihm wegen Rufschädigung fünf Millionen Euro.

Levine, der alle Vorwürfe zurückweist, vermutet, es würde die MeToo-Debatte ausgenutzt, um sich an ihm zu rächen. Steht die Gerichtsentscheidung hier noch aus, ist man in München weiter: Dort wurde ein Ex-Präsident der Musikhochschule – nicht rechtskräftig – verurteilt. Schnell ging es auch an der Wiener Musik-Uni: Sie entließ einen Professor und Philharmoniker nach Missbrauchsvorwürfen.

Ohne #MeToo würden auch zwei andere Herren nicht am Freitag vor Gericht stehen: Blogger Markus Wilhelm, der anonyme Beschuldigungen von Musikern und Musikerinnen gegen Gustav Kuhn publiziert hat, und der Dirigent und Erfinder der Festspiel Erl. Mittlerweile hat Kuhn eine einstweilige Verfügung gegen Wilhelm erwirkt, medienrechtliche Entschädigungsanträge jedoch zurückgezogen. "Kuhn hätte verloren, er wäre untergegangen", jubelt Wilhelm. Kuhn wiederum sieht seinen Rückzieher als "Geste guten Willens". Nun beginnt in Innsbruck der Zivilprozess. Die Frage ist, ob jemand die Vorwürfe von Machtmissbrauch und sexueller Belästigung gegen Kuhn öffentlich bekräftigt, für den die Unschuldsvermutung gilt.

Jonas Kaufmann als Opfer

Auch wenn in manchem Fall nichts als eine unbewiesene Behauptung übrig bleiben mag: Die MeToo-Transparenz bewirkt einen Kulturwandel. Zwar gibt es Damen, die es locker sehen. Opernlegende Christa Ludwig etwa findet, "die Besetzungscouch ist so alt wie das Theater", und Sopranistin Anna Netrebko wähnt sich sogar in einer heilen Opernwelt ("Wir haben diesen Sex-Bullshit nicht!"). Anders jedoch Jonas Kaufmann: Zu Karrierebeginn habe ein Manager sein Konzertangebot daran geknüpft, mit Kaufmann in die Sauna gehen zu können. "Sexuelle Erpressung ist schrecklich. Man muss den Mut haben, sie aufzudecken", so der Tenor.

Ein junger Mächtiger, Dirigent Yannik Nézet-Seguin, findet, dass Aufdecken durch #MeToo leichter wurde. Machtstellungen würden hinterfragt, "nichts ist mehr absolut, und das ist gut so!" Stimmt. Ein strukturelles Faktum aber bleibt: Der Einzelunterricht an Hochschulen ist ein quasi privater Raum der Kompetenzvermittlung. Er birgt Gefahren, ist aber unverzichtbar. (Ljubisa Tosic, 8.6.2018)