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Bill Clinton ist nicht der erste amerikanische Ex-Präsident, der sich als Romanautor versucht – aber der erste, der unter die Krimi- und Thrillerautoren gegangen ist.

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Der Präsident – freilich ein fiktiver – steckt in einer Zwickmühle: Die Opposition drängt auf seine Amtsenthebung, denn eine Kommandoaktion in Algerien hat ein amerikanisches Soldatenleben gefordert und auch den Eindruck erweckt, als handle er gegen die Interessen der USA.

Eine Einheit der Special Forces hat sich einer Miliz in den Weg gestellt, die drauf und dran war, das Camp eines berüchtigten Cyberterroristen zu umzingeln. Als Präsident Jonathan Lincoln Duncan diesen Suliman Cindoruk auch noch anruft und eine französische Zeitung darüber berichtet, wird im Kongress in Washington der Vorwurf des Hochverrats laut.

Virus-Drohung

Duncan indes sind die Hände gebunden, weil geheim bleiben muss, worüber er mit Cindoruk sprach. Der Anführer einer Islamistengruppe namens "Söhne des Jihad" droht, ein Virus zu aktivieren, das die vollständig computergesteuerte Infrastruktur der USA komplett lahmlegen würde.

Also versucht Duncan herauszufinden, ob er Cindoruk eine Art Lösegeld anbieten kann – der aber will nicht verhandeln, er will die Supermacht in die Knie zwingen. Und der innenpolitische Rivale, der Speaker des Repräsentantenhauses – nur auf den eigenen Vorteil bedacht -, schaut nicht einen Millimeter über den parteipolitischen Tellerrand hinaus.

Bill Clinton, der 42. US-Präsident (1993-2001), hat zusammen mit Krimikönig James Patterson einen Thriller geschrieben. Er ist nicht der erste Altpräsident, der sich am Fiktiven versucht: Schon Jimmy Carter brachte einen Roman zu Papier. Nur ging es darin um die Unabhängigkeitskriege der Republik, während Clintons Erzählung unübersehbare Parallelen zum eigenen Leben aufweist.

Parallelen zum echten Clinton

Wie Duncan ist Clinton ohne leiblichen Vater aufgewachsen, ebenfalls aus einfachsten Verhältnissen kommend, wurde er zunächst zum Gouverneur eines südlichen Bundesstaats gewählt. Wie Duncan lernte er seine spätere Ehefrau beim Jusstudium kennen, wie Duncan hat er eine Tochter.

Und des Amtes enthoben werden sollte er auch. Clintons Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky mündete in ein Impeachment-Verfahren, sodass er aus tiefster Seele zu sprechen scheint, wenn er sein literarisches Pendant ein Klagelied über die "Grausamkeiten hemmungslosen Machthungers" anstimmen lässt: "Sie werden erst dann Frieden geben, wenn sie mich ins Gefängnis geschickt, mich gevierteilt und meinen Namen aus den Geschichtsbüchern getilgt haben."

Sieg über das Böse

Nur ist "The President is Missing" eben auch ein Buch über das Gute, das letzten Endes, nach abenteuerlichem Krisenmanagement, das Böse besiegt – ein sehr amerikanisches Buch. Die Idee, sagte Clinton im Radiosender NPR, sei ihm gekommen, weil er durchaus realistische Gefahren schildern wollte. "Jemand könnte zumindest eines unserer Stromnetze außer Gefecht setzen. Jemand könnte Bankunterlagen löschen – und dazu noch die Sicherungskopien."

Im Krimi kommt eine ganze Reihe von Akteuren als Missetäter infrage: Chinesen, Nordkoreaner, Renegaten im Dunstkreis der saudischen Herrscherfamilie – und natürlich die Russen, denen Duncan mit Bezug auf die Vorwürfe des Jahres 2016 rät, die Hände von Amerikas Wahlen zu lassen.

Jedenfalls schlägt zwei Computergenies des Terrorfürsten gerade noch rechtzeitig das Gewissen. Eine abchasische Programmiererin, "eine Mischung aus Calvin-Klein-Model und Eurotrash-Punkrockerin", trifft sich mit Duncan, um ihn zu warnen – und um zu verhandeln. Ihr blutjunger Partner, ein Hacker aus dem Donbass, sitzt irgendwann in einem Baseballstadion neben einem Präsidenten, der zur Tarnung eine Brille trägt, sich Bartstoppeln wachsen und die Augenbrauen dick malen ließ. Duncan handelt auf eigene Faust, niemand soll ihn erkennen.

Wo ist der Präsident?

Da außer sehr engen, sehr verschwiegenen Vertrauten keiner weiß, wo er ist, machen bald Meldungen die Runde, denen zufolge er vermisst wird: The President is Missing. Eine Gruppe von Berufskillern, von Cindoruk angeheuert, um die beiden Abtrünnigen zu töten, kommt bei alledem in die Quere, was die Suche nach dem Computervirus erschwert.

Und natürlich dürfen die Landsleute nicht erfahren, dass Duncan gesundheitlich schwer angeschlagen ist. An einer Blutkrankheit mit dem unaussprechlichen Namen Immunthrombozytopenie leidend, muss er sich von seiner Ärztin sagen lassen, dass er kurz vor dem Tod steht, falls er vergisst, seine Medikamente zu nehmen. Was ein Präsident, der sein Land retten muss, freilich nicht immer beherzigen kann. Außerdem ist seine Frau vor einiger Zeit an Krebs gestorben – womit klar ist, dass Clintons Buch nicht als Geschichte über seine Ehe zu lesen ist.

Dann wäre da noch der Wert von Verbündeten, auf deren Hilfe Jonathan Duncan in akuter Not baut. Darin kann man einen gewollten Kontrast zu Donald Trump sehen, der sich nicht scheut, selbst enge Verbündete zu brüskieren.

Im ländlichen Virginia trifft Duncan dann neben der Ministerpräsidentin Israels auch den deutschen Bundeskanzler. Und mittendrin warnt die Hauptfigur: "Sich mit Kriechern und Speichelleckern zu umgeben ist der kürzeste Weg zum Scheitern." Da Trump seine Minister gern Loblieder anstimmen lässt, um seine Erfolge zu preisen, lässt sich der Wink mit dem Zaunpfahl kaum übersehen. Ach ja: Verrat ist auch mit im Spiel. Im engsten Zirkel der Macht gibt es eine undichte Stelle. (Frank Herrmann aus Washington, 8.6.2018)