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Die Insel Sentosa wird Schauplatz des historischen Gipfeltreffens.

Foto: AP/Wong

In Singapur ist sogar auf den Regen Verlass. Punkt halb zwei, exakt wie vom Wetteramt vorausgesagt, prasselt es wie aus Kübeln, tropisch warm. Es gibt aber genügend Taxis in der Stadt. Der Fahrer ist höflich, effizient und macht keine teuren Umwege. Er übergibt die von einem Minicomputer ausgedruckte Quittung und öffnet die Tür. "Danke, Sir", sagt er in noblem Queens-English, rückt sich die Krawatte zurecht und verabschiedet sich mit einem leichten Beugen von seinem Fahrgast.

Es muss nicht erstaunen, dass die Insel Sentosa im Stadtstaat Singapur der Ort der Wahl ist für das "Treffen des Jahrhunderts", wie einige Beobachter die Konferenz zwischen US-Präsident Donald Trump und dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-un nennen. In Singapur funktioniert einfach alles. Hier herrschen Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit und Anstand. "Die Schweiz Südostasiens" hat ein Beobachter Singapur genannt.

Freundesgebiet

Doch das sind nicht die einzigen Gründe, weshalb sich Washington und Pjöngjang für diesen Standort entschieden haben. Für Kim, der unter einer Flugphobie leiden soll und am liebsten in seinem Luxuszug reist, ist die Distanz von 4.749 Kilometern zwischen Nordkorea und Singapur in einer druckkontrollierten Röhre aus Aluminium und Fiberglas gerade noch aushaltbar. Und obwohl der Handel mit Nordkorea wegen anhaltender Sanktionen praktisch ausgesetzt ist, ist Singapur dem stalinistischen Eremitenstaat gegenüber nicht negativ eingestellt. Pjöngjang hat in der Stadt sogar eine Botschaft.

Für Donald Trump ist Singapur unbestritten Freundesgebiet, über das er eine gewisse Kontrolle hat – anders, als wenn das Treffen in Pjöngjang stattfinden würde. Singapur ist einer der engsten Verbündeten der USA in Asien, ein Land, auf das sich Washington seit Jahren verlassen kann. In den letzten Jahren hat sich die Stadt einen Namen als Standort für regionale Diplomatie gemacht. Vor ein paar Wochen wurde hier eine hochkarätige Sicherheitskonferenz abgehalten.

Niedrige Kriminalitätsrate

Sicherheit als Exportprodukt, Sicherheit aber auch als Garant für Wohlstand und Harmonie. Kaum ein Land der Welt gilt als so sicher wie Singapur: Die Kriminalitätsrate ist niedrig, wer sich danebenbenimmt, wird schnell und unzimperlich in die Schranken gewiesen. Kritiker – es gibt auch in diesem faktischen Polizeistaat ein paar – machen dafür die "wohlwollende Diktatur" der People's Action Party (PAP) verantwortlich. Die Partei dominiert das Land seit 1959 praktisch unangefochten. Die harte Hand des damaligen, 2015 verstorbenen ersten Premierministers Lee Kuan Yew war maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich Singapur von einem Handelsaußenposten des British Empire zu einem erfolgreichen, eigenständigen Wirtschaftsplatz entwickeln konnte. Der Mangel an einer ernstzunehmenden Opposition erlaubt der Regierung, Gesetze rasch und hürdenlos einzuführen.

Einige Vorschriften hätten in wirklich demokratischen Ländern wenig Chancen: Auf den Verkauf von Kaugummi stehen bis zu zwei Jahre Haft. Wer mit seinem Musikinstrument auf einem öffentlichen Platz "das Publikum nervt", wer auf den Boden spuckt, wer "obszön" singt, wer zu Hause nackt herumspaziert, ohne die Vorhänge zu schließen, wer Tauben füttert oder die Toilette nicht spült, dem drohen massive Geldbußen oder sogar Gefängnis. Noch weniger Verständnis haben die Singapurer für Drogenhändler. Die enden auch heute noch am Galgen.

"Besondere Stabilität"

Der Klammergriff der Regierung und ihrer Vollstrecker ärgert regelmäßig Menschenrechtler. Befürworter der Politik der harten Hand dagegen meinen, sie sei wesentlich für die Harmonie zwischen den verschiedenen Ethnien verantwortlich, die auf engem Raum zusammenleben: Chinesen, Malaien, Inder, Europäer. Auch der hohe Grad der Bildung unter der Bevölkerung sei auf konsequente Planung zurückzuführen in einem Land, das keine natürlichen Ressourcen hat und kaum landwirtschaftlich nutzbaren Boden. "Das Land bietet besondere Stabilität", meint ein europäischer Geschäftsmann. Das Singapur von früher könne mit dem Singapur von heute nicht verglichen werden. "Die Stadt ist seit den Neunzigerjahren sehr viel reicher geworden." Auch die unteren Schichten hätten vom Wohlstand profitiert. "Das hat den sozialen Frieden gefördert."

So haben hunderte von westlichen Firmen in den letzten Jahrzehnten Singapur als Standort für ihre Geschäfte in Asien gewählt. Viele werden angelockt von den Möglichkeiten, die Asean bietet, die Gemeinschaft südostasiatischer Staaten – Thailand, Vietnam, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Singapur, Brunei, Kambodscha und die Philippinen. Zehn Länder mit insgesamt 600 Millionen Menschen und ein kombiniertes BIP, das schon heute jenes von Indien übersteige – das Potenzial sei "atemberaubend", sagt Rajiv Biswas, Chefökonom des Bereichs Asien-Pazifik von IHS Global Insight in Singapur. Der Stadtstaat biete den "perfekten kulturellen Einblick" in die Länder der Umgebung, in die Märkte, meint ein deutscher Unternehmer.

In der Stadt der "wohlwollenden Diktatur" wird es auch beim "Treffen des Jahrhunderts" ruhig bleiben. Trump und Kim können sich darauf verlassen, dass es in den Straßen keine Demonstrationen oder gar Ausschreitungen geben wird. Eine allzeit wachsame Polizeitruppe mit einem ausgeprägten Mangel an Verständnis für fast alle Formen demokratischen Ausdrucks dürfte jeden Protest im Keim ersticken. Sofern es kaugummikauende potenzielle Demonstranten überhaupt durch die Flughafenkontrolle schaffen. (Urs Wälterlin aus Singapur, 11.6.2018)