Am 6. Juni flogen Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie sämtliche Mitglieder der österreichischen Bundesregierung zu einer informellen Ministerratssitzung nach Brüssel. Anlass der Reise war die bevorstehende Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Österreich am 1. Juli. Die Agenda der Reise sah neben der Ministerratssitzung bilaterale Gespräche der Regierungsmitglieder mit EU-Kommissaren, ein Arbeitsgespräch mit der Europäischen Kommission zur Präsentation des österreichischen Vorsitzprogramms, ein Treffen des Kanzlers mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie ein gemeinsames Arbeitsessen vor.

Das Fotoservice des Bundeskanzleramtes veröffentlichte zur Brüssel-Reise eine Fotogalerie mit insgesamt 25 Bildern, die unterschiedliche Stationen zeigen: Regierungsmitglieder im Flugzeug, während des Ministerrats, beim Gruppenbild (dem so genannten Familienfoto), beim Pressefoyer oder beim Zusammentreffen mit Juncker. Die Fotos wurden von Dragan Tatic aufgenommen, der laut Geschäftseinteilung des Bundeskanzleramtes als Mitarbeiter der Abteilung "Digitale Kommunikation" tätig ist 

Kurz auf Klassenausflug

Bereits am Tag der Reise sorgten vor allem jene Fotos für Gesprächsstoff auf Twitter, die im Flugzeug unmittelbar vor der Abreise aufgenommen wurden. Eines der Fotos, das auch auf dem offiziellen Instagram-Account des Bundeskanzleramtes gepostet wurde, zeigt den Innenraum der Economy-Klasse einer Austrian-Airlines-Maschine. Im Vordergrund sind Kurz und Strache, dahinter Elisabeth Köstinger und Gerhard Blümel zu sehen, die sich in einer Gesprächssituation befinden. Die Blicke von Strache, Blümel und Köstinger sind auf den Bundeskanzler gerichtet, der mit hochgekrempelten Ärmeln und Unterlagen in der Hand so aussieht, als wäre er kurz vor dem Start der Maschine schon eifrig bei der Arbeit. Das Foto wurde im Mittelgang des Flugzeuges in Zentralperspektive aufgenommen. Die Mimik der vier Politiker lässt auf eine fröhliche Stimmung der Reisenden schließen, die den viel beschworenen "neuen Stil" der koalitionären Zusammenarbeit visuell umsetzt.

Das Foto führte bei Betrachtern zu verschiedenen Assoziationen wie Klassenreise, Kaffeefahrt, Schul- oder Betriebsausflug. Ein weiteres Foto aus der Serie des Bundeskanzleramtes aus der gleichen Perspektive wurde vom Satiremagazin "Die Tagespresse" aufgegriffen und als Kommentar auf die Asylpolitik der Bundesregierung vertwittert:

Auch am Tag danach sorgte die Reisetätigkeit der Bundesregierung für Gesprächsstoff. Der Grund war die bemerkenswert gleichförmige Gestaltung zahlreicher österreichischer Printmedien, die alle dasselbe Foto aus dem Flugzeug auf ihren Covern präsentierten. Die Credits der Fotos verraten, dass es sich dabei nicht um Bildmaterial des Bundeskanzleramtes handelt, sondern um ein Foto des APA-Fotografen Roland Schlager, der die Reise ebenfalls begleitete und dieses Bild aus einer ähnlichen Perspektive wie BKA-Fotograf Tatic aufnahm.

Pseudo-Ereignis auf den Titelseiten

Bei der Reise war nämlich nicht nur ein offizieller Fotograf des Bundeskanzlers anwesend, auch Vertreter unterschiedlicher Medien nahmen teil. Der Journalist Christian Nusser spricht in einem Kommentar für die Gratiszeitung "Heute" von insgesamt 17 Reportern sowie drei Journalisten vor Ort zur Begleitung einer Reise, deren Zweck ein 20-minütiger Ministerrat sowie ein Zusammentreffen mit Vertretern der EU-Kommission gewesen sei. 

In der Politikwissenschaft ist von "Pseudo-Ereignissen" die Rede, die inszeniert werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Medienberichterstattung auszulösen. In ihrer visuellen und dramaturgischen Gestaltung orientieren sich Pseudo-Ereignisse an den Selektionsregeln des Journalismus.

Wir haben im früheren Blogeintrag "Kurz erklärt: Bildstrategien am Zug" auf die Arbeit persönlicher Fotografen in der politischen Kommunikation hingewiesen und erklärt, wie sich deren Tätigkeit von Fotojournalismus unterscheidet. Was aber tun, wenn die Möglichkeiten für ein Foto für persönliche Fotografen und Fotojournalisten annähernd gleich sind, sodass vorwiegend Bildmaterial aus ähnlicher Perspektive entsteht?

Die Inszenierung des Ereignisses – eine Arbeitsreise einer Gruppe, die sich sichtlich gut versteht – steckt den Rahmen für die Möglichkeit der Aufnahmen ab. Die Fotos des persönlichen Fotografen und des Fotojournalisten unterscheiden sich in Details. In so einem Fall liegt es auch an den bildspezifischen Kompetenzen einer Bildredaktion – beziehungsweise von verantwortlichen Redakteuren –, ob sie bei der Auswahl der verführerischen Komposition der Fotos und einer ungewöhnlichen und aufmerksamkeitsgenerierenden Perspektive auf die Regierungsspitzen folgt, oder die Inszenierung mit einer anderen, alternativen Bildauswahl konterkariert. Freilich könnte sie sich auch einfach die Frage stellen, ob der Nachrichtenwert des Fotos ausreicht, um es auf die Titelseite zu stellen. (Petra Bernhardt, Karin Liebhart, 8.6.2018)

Weitere Beiträge der Bloggerinnen