Dem Fußball hat der Kommerz mehr geschadet als genützt.

Eine Art Produktwarnung vorweg: Der Inhalt dieses Bandes ist durchaus dazu geeignet, die Freude an der am Donnerstag in Russland beginnenden Fußballweltmeisterschaft zu verderben. Und es ist gut möglich, dass es dann der etwas moralinsauren Conclusio aus dem abschließenden "Manifest wider die Sportdiktatur" gar nicht bedarf.

"Boykottieren wir die WM 2018 in Russland!", heißt es da. "Schauen wir uns kein einziges Match an! Wir sind keine Quotenbringer, keine dummen Schafe, keine dumpfen Konsumenten – wir sind wahre Fußballfans!" Und weil das alles so ist, wird es den Aufrufenden – Koautor Klaus Zeyringer und dem weltreisenden Schriftsteller Ilja Trojanow – schwerfallen, entschlossen voranzugehen.

Ein großes Bubenstück

Das wunde Leder – Wie Kommerz und Korruption den Fußball kaputt machen ist eine Art "Best of Böse", ein "Betrug am Sport für Dummies", das der Literaturkritiker und ehemalige Universitätsprofessor Klaus Zeyringer und der Standard-Literaturredakteur Stefan Gmünder da rechtzeitig zur 21. Fußball-WM vorlegen.

Die Zusammenschau der Entwicklungen im Weltfußball und der ihm auf Funktionärsebene eng verbundenen Olympischen Bewegung seit den frühen 90ern des vergangenen Jahrhunderts liest sich wie ein großes, tatsächlich fast ausschließliches Bubenstück, in dem zu allem entschlossene Karrieristen – die Gierigsten unter den Gierigen – ein Kulturgut im Interesse der Gewinnmaximierung pervertierten.

Menschenhandel und Inselbegabungen

Es geht um Autokraten, die den Sport für ihre Interessen kapern, sich auf Ehrentribünen als Männer des Volkes inszenieren, Stadien von Lohnsklaven errichten lassen, Großveranstaltungen kaufen und im Gegenzug jenen Immunität gewähren, die sich einerseits kaufen lassen und andererseits den Sport ausbeuten. Es geht um übermächtige Sportverbände, die wie Staaten, wie Weltkonzerne agieren, aber Steuern als gemeinnützige Vereine zahlen. Es geht um Menschenhandel und um Inselbegabungen, die mit Summen bezahlt werden, die weit über die Vorstellungskraft des Stadionbesuchers und TV-Konsumenten gehen.

Das wunde Leder deckt nicht auf, erzählt keine ganz neuen Geschichten, aber es kondensiert die Ungeheuerlichkeiten, die aus der Kommerzialisierung eines Weltsports erwuchsen und weiter wuchern. Der Aufschrei auf etwas mehr als 120 Seiten liest sich fast schneller, als ein Spiel dauert, wirkt aber länger nach. Jeder Fan ist ein Betroffener. (Sigi Lützow, 9.6.2018)