Tatort war eine Villa im Herzen von Wien-Hietzung. Als die 73-jährige Eigentümerin Ende August 2014 aus dem Urlaub zurückkehrte, wartete eine unliebsame Überraschung auf sie. Während ihrer zehntägigen Abwesenheit waren im Zuge eines Einbruchs sämtliche Kunstwerke gestohlen worden: 73 insgesamt, zu einem kolportierten Wert von 2,5 Millionen Euro. Darunter Werke von Alfons Walde, Koloman Moser, Carl Moll oder Oskar Kokoschka. Gefahndet wurde national und international, und für Hinweise zur Auffindung lockten 250.000 Euro. Die höchste je in Österreich ausgelobte Belohnung war von der Versicherung Uniqa zur Verfügung gestellt worden. Fürs Erste vergeblich.
Der alten Dame wurde der Schaden abgegolten, schildert Ernst Ploil, Rechtsanwalt und Miteigentümer des Auktionshauses Im Kinsky. Dass sich im Frühjahr vergangenen Jahres eine Spur auftat, sei dem Zufall geschuldet gewesen. Im März 2017 konnten 67 der gestohlenen Werke in einer Wohnung in Wien-Landstraße sichergestellt werden. Nach weiteren sechs im Wert von 50.000 Euro fahndet man noch immer. Die Ermittlungen laufen bis heute. Dem Vernehmen nach soll es sich bei den Tätern um eine im Drogenmilieu aktive Bande aus Rumänien handeln.
Der aliquote Anteil der Belohnung wurde ausbezahlt. Der einstigen Eigentümerin bot die Versicherung an, die Sammlung gegen Rückzahlung der Schadenssumme zu retournieren. Einige Werke übernahm sie, der Rest wanderte in das Eigentum der Uniqa, die sie nun im Rahmen der bevorstehenden 123. Kunstauktion (19./20. Juni) im Kinsky versteigern lässt. Zu dieser Tranche gehört Oskar Kokoschkas Zigeunermädchen, ein Aquarell von 1901, das die Berichterstattung zu diesem Kunstdiebstahl visuell begleitete und dessen Wert vom Bundeskriminalamt mit rund 45.000 Euro beziffert worden war. Dieser setzte sich aus dem Versicherungswert von etwas mehr als 40.000 Euro und der anteiligen Belohnung von rund 4000 Euro zusammen. Dem Versicherungswert lag wiederum der Kaufpreis von 2005 zugrunde, als die Versicherungsnehmerin das Aquarell für rund 32.000 Euro (inkl. Aufgeld) bei Hassfurther erwarb.
Von der Versteigerung abgezogen
Der aktuell von den Kinsky-Experten festgelegte Schätzwert liegt bei moderaten 7000 bis 14.000 Euro. Ein Zuschlag in dieser Größenordnung würde die Kosten der Uniqa und involvierter Rückversicherer also gar nicht decken. Der Auftrag an das Auktionshaus lautete simpel Verwertung, wie Ploil erklärt. Das im Kokoschka-Werkverzeichnis als Italienisches Bauernmädchen titulierte Blatt wurde jetzt allerdings von der Versteigerung abgezogen. Denn Standard-Recherchen zufolge ist es bei Lost Art registriert, jener Datenbank, die Kulturgüter erfasst, die in der Zeit des Nazi-Regimes abhandenkamen oder verfolgungsbedingt entzogen wurden.
Als ursprünglicher Eigentümer werden dort Dr. Ernst Bunzl und seine Ehefrau Helene genannt. Eine Provenienz, die auch 2008 im Werkverzeichnis der Aquarelle und Zeichnungen (Vlg. Galerie Welz, Salzburg) publiziert wurde und die das Auktionshaus ohne nähere Überprüfung übernahm. Wohl auch, weil Bohuslav Kokoschka als nachfolgender Besitzer aufscheint. Wann und über wen der 1976 verstorbene Bruder des Künstlers in den Besitz des Aquarells kam, ist unbekannt.
Fakt ist, dass Ernst Bunzl dieses Werk 1937 für die von Carl Moll kuratierte Schau im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (Mai bis Juni 1927) als Leihgabe zur Verfügung stellte. Bunzl war als Rechtsanwalt in Wien tätig. Seine Ehefrau Helene war die Tochter von Friedrich ("Fritz") Waerndorfer, dem Industriellen, Mäzen und Mitbegründer der Wiener Werkstätte.
Sie verstarb im Jänner 1938 in Wien. Nach dem Anschluss drohte Ernst Bunzl aufgrund seiner jüdischen Herkunft ein Berufsverbot. Er flüchtete vor dem NS-Regime über Frankreich nach Brasilien. Im Archiv des Bundesdenkmalamts (BDA) hat sich die Anmeldung zur Ausfuhr der bei der Spedition Hausner eingelagerten und summarisch angeführten Vermögensgegenstände vom August 1938 erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte er sich vergeblich um die Auffindung seiner Sammlung. Den Lost-Art-Einträgen zufolge umfasste diese, neben den Arbeiten Kokoschkas, auch Gemälde Alter Meister, Asiatika sowie von der Wiener Werkstätte für die Familie Waerndorfer gefertigte Objekte.
Ende vergangene Woche wurde das Auktionshaus von der Kanzlei Lansky, Ganzger + Partner kontaktiert. Man ersuchte darum, das Werk aus der Auktion zu nehmen und Gespräche zu starten, wie Anwältin Julia Andras auf Anfrage bestätigt. Im Kinsky reagierte prompt und zog das Aquarell zurück. Dort peilt man nun eine Einigung an, die eine Versteigerung und anschließende Aufteilung des Erlöses vorsieht. In welchem prozentuellen Verhältnis, wird Gegenstand der Verhandlungen sein. Denn sowohl die Versicherung Uniqa als auch die Vorbesitzerin haben aus juristischer Sicht gutgläubig erworben. Es gebe aber auch noch eine moralische Verpflichtung, merkt Andras an, zumal das Werk derzeit unverkäuflich sei.
"Entarteter" Kokoschka
Das war es auch vor 80 Jahren, wenngleich aus anderen Gründen. Denn Kokoschka war einer der von den Nationalsozialisten als entartet diffamierten Künstler von "ausgesprochen krankhaftem Charakter". Sieht man von den Ende Juni 1939 in Luzern versteigerten Kokoschka-Gemälden ab, die 1937 in deutschen Museen konfisziert worden waren, kam der offizielle Handel mit seinen Werken in Österreich zum Erliegen. Begehrlichkeiten von Museen gab es gleichfalls nicht. So wanderten manche Werke Kokoschkas mit ihren Eigentümern ins Exil. Etwa im Falle von Otto Brill. Der studierte Chemiker und Riemenfabrikant war am 17. März 1938 von der Gestapo verhaftet worden. Innert weniger Wochen wurden das Wohnhaus in der Oberen Donaustraße und andere Liegenschaften beschlagnahmt, das Unternehmen in der Taborstraße arisiert. Otto, seiner Ehefrau Lilly und den drei gemeinsamen Kindern gelang die Flucht nach England.
Brill, der 1954 in London verstarb, war aber auch ein leidenschaftlicher Kunstsammler und Förderer zeitgenössischer Künstler. Davon zeugt auch die 2003 von Sophie Lillie (Was einmal war, Czernin-Verlag) publizierte Abschrift des Verzeichnisses von Kunstgegenständen aus dem BDA-Archiv. Es ist eine jener Listen, auf denen nur die Anzahl, die Technik und die Namen der Künstler angeführt sind, was keine Identifikation der Werke zulässt. Jedoch verwendete Brill, wenngleich nicht systematisch, einst auch einen charakteristischen Sammlerstempel, der fallweise Aufschluss über diese Provenienz geben kann.
So auch im Falle einer aktuell und ebenfalls von Kinsky offerierten Zeichnung einer liegenden Frau von Oskar Kokoschka aus dem Jahr 1913. Sie dürfte, wie auch seine Nachfahren vermuten, den Sammler nach London begleitet haben, der dort gemeinsam mit Lea Bondy Jaray (bis 1938 Galerie Würthle) in den 1940er-Jahren die St. George's Gallery gründete.
Für einige Werke hatte Brill jedoch keine Ausfuhrgenehmigung erhalten, vielmehr wanderten sie in den Bestand der Albertina. Etwa Selbstbildnisse von Anton Faistauer, Anton Hanak und Max Slevogt sowie Wiener-Ansichten von Rudolf von Alt. 2000 und 2002 wurden zehn Arbeiten auf Papier von diversen Künstlern an die Familie restituiert. Darunter zwei unter den Nummern 28031 und 28032 inventarisierte Zeichnungen von Egger-Lienz sowie drei unter 28035 bis 28037 erfasste Studien von Moritz von Schwind. Die zugehörigen Anträge der Albertina zur Ankaufsgenehmigung an das Ministerium datieren vom 20. Juli und vom 5. August 1938. Und in diesem Zeitraum müssen auch die Inventarnummern 28033, ein Skizzenbuch von Herbert, und 28034, eine Zeichnung des Boeckl-Schülers Stephan Pichler, in den Bestand der Albertina gekommen sein.
Sie gehörten einst ebenfalls Otto Brill, ist die in Wien lebenden Urenkelin überzeugt. Denn die Verbindung der Familien Brill und Boeckl war eine besonders enge. Besonders ab 1932, als Herbert Boeckl in eine wirtschaftlich missliche Lage geriet. Laut seiner Tochter Leonore Boeckl habe Brill oftmals die Heizkosten übernommen. Seine Ehefrau unterstützte die Großfamilie wiederum mit Lebensmittellieferungen. Als Dank gab es die eine oder andere Arbeit, wahrscheinlich auch das Skizzenbuch.
Im April 2006 verfasste Urenkelin Verena Krausneker eine ausführliche Stellungnahme. Die "Indizien" seien nicht ausreichend, ließ man sie wissen. Sie müsste Beweise liefern. In der Beschaffenheit wohl solche, die – wie ein Kaufvertrag, eine Rechnung oder Vergleichbares – die Albertina weder vorweisen kann noch muss. Ob es neue Hinweise oder Erkenntnisse gebe, woher die Objekte stammen, ob und falls für welchen Preis sie über wen angekauft wurden? Nein, erklärt die Albertina auf aktuelle Anfrage. Im Inventarbuch fänden sich keinerlei Vermerke. (Olga Kronsteiner, 10.6.2018)