Arbeitsstätte aus gebranntem Lehm: Die charakteristische Struktur ist ein Zitat der Champa-Tempel, die vor rund 1500 Jahren in dieser Gegend errichtet wurden.

Foto: Oki Hiroyuki

In der Regenzeit, mitten im Monsun, da kann das Wasser im Thu-Bon-Delta schon einmal bis zum Haus reichen und das Erdgeschoß in schwappenden Wogen überschwemmen. Doch das macht nichts. Denn zum einen kann Le Duc Ha, einer der bekanntesten Keramikkünstler Vietnams, dann eine Pause vom Arbeiten einlegen, und zum anderen braucht er sich um seine getöpferten Artefakte ohnehin keine Sorgen machen. Diese nämlich ruhen, den Fluten enthoben, in eigens dafür gefertigten Bambusregalen in einigen Metern Höhe.

"Früher habe ich neben einem Bambusbusch direkt am Fluss gearbeitet", erinnert sich Le Duc Ha, eine halbe Stunde Bootsfahrt von der weltberühmten, Unesco-geschützten Provinzhauptstadt Hoi An entfernt. "Ich saß im Schatten, es wehte eine kühle Brise, und das Wasser war zum Greifen nah. Ich habe mir ein Ateliergebäude gewünscht, das alle diese Qualitäten aufrechterhält, in dem ich wie im Freien arbeiten kann, zugleich aber vor Wind und Unwetter geschützt bin." Die Antwort auf diesen ungewöhnlichen Wunschkatalog lieferte das in Ho-Chi-Minh-Stadt beheimatete Architekturbüro Tropical Space mit einem sieben mal sieben mal sieben Meter großen Würfel aus handgefertigten Ziegelsteinen.

Auszeichnung

Vor wenigen Tagen wurde das archaisch anmutende Terra Cotta Studio mit dem Wienerberger Brick Award 2018 ausgezeichnet. "Le Duc Ha arbeitet mit Lehm, daher war für uns klar, dass wir diesen Baustoff auch in sein Atelierhaus einfließen lassen", sagt Architektin Tran Thi Ngu Ngon. "Damit bilden Haus und Kunst eine materielle Einheit." Schon auf den ersten Blick fällt die ungewöhnliche, sich immer wieder verändernde Perforation der Fassade auf. Jede Seitenfläche ist in 36, jeweils einen Quadratmeter große Felder unterteilt, die ihrerseits wiederum in verschiedenen Verbänden gemauert sind und auf diese Weise unterschiedlich viel Licht und Luft durchlassen. Die charakteristische Ziegelstruktur, die als Schattenspender und Lüftungsgitter dient, ist ein Zitat der Champa-Tempel, die vor rund 1500 Jahren in dieser Gegend errichtet wurden.

Zarte Stahlkonstruktion

Im Inneren der vierseitigen Ziegelkonstruktion steht – gleich einem Haus im Haus – ein 60 Zentimeter tiefes, bis nach oben reichendes Bambusregal, das auf schmalen Leitern, Treppen und Gerüsten erklommen werden kann. Die hölzerne Matrix, die sich an die rundum verlaufende Ziegelfassade schmiegt, dient als Galerie und Ausstellungsfläche für Le Duc Has Kunstwerke. Über alledem schwebt, um die Vasen, Schüsseln und Tonfiguren vor der Witterung zu schützen, eine zarte Stahlkonstruktion mit Glasdach. Im Zentrum des mit geringsten finanziellen Mitteln errichteten Gebäudes schließlich befindet sich eine kreisrunde Mulde im Fundament, in der der Künstler an seiner riesigen Töpferscheibe sitzt und auf diese Weise die geometrische wie auch energetische Mitte des Hauses markiert.

"Erstens ist dem Büro Tropical Space hier ein außergewöhnlicher Arbeitsorts gelungen, der in Verbindung mit den hier geschaffenen Werken und Skulpturen steht, und zweitens ist das Terra Cotta Studio ein perfektes Beispiel dafür, wie mit der Planung und dem Bau eines solchen Projekts die Wertschöpfungskette in der Region erhalten werden kann", sagt Stephan Ferenczy, Architekt im Wiener Büro BEHF und zugleich Mitglied der diesjährigen Brick-Jury. "Gerade in Entwicklungsregionen haben wir heuer einen ungewöhnlichen und innovativen Einsatz von Ziegel beobachtet, der in Industrieländern in dieser Qualität kaum noch anzutreffen ist. Ich finde den hier vorgelebten Umgang mit dem Material nicht nur architektonisch schön, sondern auch emotional berührend."

Internationale Projekte

Eingereicht wurden fast 600 Projekte aus 44 Ländern. Neben dem Preis für das Terra Cotta Studio in Mittelvietnam gingen sechs weitere Preise nach Belgien, Schweden, Spanien, Argentinien, in die Schweiz und in die Niederlande. In Antwerpen wurden die Westkaai Towers 5 & 6 des Londoner Architekten Tony Fretton ausgezeichnet. Mit den spielerisch vor- und rückspringenden Ziegeln, die durch ihr Relief ein Licht- und Schattenspiel erzeugen, wird die strenge, monumental wirkende Fassade aufgeweicht. In Basel wurde das Kunstmuseum von Christ & Gantenbein prämiert. Die gesamte Fassade besteht aus gebrannten Ziegeln, denen mittels Stickstoff die Rot- und Gelbtöne entzogen wurden. In reliefartigen Rillen integrierte LED-Streifen lassen das Haus erstrahlen und informieren die Passanten über aktuelle Ausstellungen.

In Eindhoven findet sich ein Einfamilienhaus unter den Preisträgern, das im Innen- und Außenraum auf radikale Weise aufzeigt, welche atmosphärischen Qualitäten aus dem Ziegel rauszuholen sind. In Stockholm ging der Preis an ein urbanes Biomassekraftwerk der Värtan Bioenergy CHP, das mit keramischen Fassadenpaneelen verkleidet wurde. In Vilanova de la Barca wurde die Sanierung einer Kirche aus dem 13. Jahrhundert prämiert, die im spanischen Bürgerkrieg zerstört und nun mit Industrieziegeln behutsam ergänzt wurde. Und in La Playosa wurde eine räumlich raffiniert gelöste Kapelle inmitten des argentinischen Flachlands gewürdigt.

"Bei manchen Bauten waren wir wirklich euphorisch", so Ferenczy, "denn sie sind beispielgebend dafür, wie Architektinnen und Architekten heute mit diesem so alten, archaischen Baustoff umgehen. Ziegel ist der Inbegriff eines menschlichen Materials, weil er ohne große Hilfsmittel und ohne aufregende Technologien verarbeitet werden kann. Und er ist Sinnbild dafür, wie man gestern, heute und morgen mit kleinen Bausteinen Großes erschaffen kann." (Wojciech Czaja, 10.6.2018)