"Es braucht ein eigenes Schulfach. Wie unterscheidet man Propaganda von Information?": Medienwissenschafter Bernhard Pörksen.

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vl.: Wolfgang Struber (Digitalradio Ö), Michael Fleischhacker (Addendum), Julia Wippersberg (Uni Wien), Ingrid Brodnig (Autorin), Rainer Schüller vom STANDARD und Esther Mitterstieler (News).

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Wien – "Die Zeit der Netzutopien ist vorbei", konstatiert Medienwissenschafter Bernhard Pörksen in seiner Keynote am zweiten Tag der Medienenquete im Wiener Museumsquartier: "Brexit-Propaganda oder Cambride-Analytica" all das habe eine "Stimmung der Euphorie in ein Klima des dystopischen Nachdenkens über das Netz gebracht". Das Netz erscheine als "Propagandamaschine" und Tor zur Manipulation, indem etwa Fake-Identitäten kreiert, Bots oder Troll-Armeen die Öffentlichkeit gezielt mit Falschmeldungen oder Propaganda infiltrieren. Pörksen, der an der Universität Tübingen lehrt, skizzierte mögliche Szenarien und lieferte eine Bestandsaufnahmen des medienpolitischen Diskurses.

Neben der Möglichkeit von Manipulation ortet Pörksen eine "Verwilderung" des Diskurses: "Die Grenzen haben sich verschoben. In einem Szenario des "totalen Spektakels" würde das belohnt, das mit Extremen spielt – ökonomisch gesprochen. "Eine eigene Erregungs- und Empörungsindustrie ist entstanden, die den Hype aufgreift und verstärkt." Erodierende Werbeeinnahmen, die sich immer mehr in Richtung Facebook und Google verschieben, und noch nicht funktionierende Paid Content Modelle könnten zum "Auspumpen des seriösen Journalismus" führen: "Dem Journalismus droht, die Hoheit über seine Vertriebskanäle zu verlieren. Das Leuchturmprinzip wankt."

Frage der Glaubwürdigkeit

In Teilen der Bevölkerung könnte sich eine "elementare Vertrauenserosion" breitmachen. Stichwort Lügenpresse: "Diese aggressive Form der Medienkritik zielt auf Demontage und Vernichtung des Journalismus ab." Ein weiteres Szenario wäre jenes der "Fragmentierung und der Polarisierung des Diskurses". Wirklichkeitsblasen würden sich bilden: "Egal ob es um Impfgegner oder politischen Extremismus geht." Fatal sei das Klima der Einschüchterung gegenüber Journalisten: ein "medienpolitischer Trumpismus". "Autoritär, kränkungsgesteuert und mit Drohungen verbunden", so Pörksen.

So ein "Klima der Einschüchterung" identifiziert er aber nicht nur in den USA, sondern auch in Europa in Ländern wie Polen, Ungarn, Serbien, aber auch Österreich – etwa durch Angriffe der FPÖ auf ORF-Redakteur. Hier wünscht sich Pörksen mehr Mut: "Vom ORF habe ich nur ein paar laue Tweets erlebt. Hier kann man in die Auseinandersetzung gehen."

Medienkompetenz als eigenes Schulfach

Um solchen Szenarien entgegenzutreten und Bürger "medienmündig" zu machen, liefert Pörksen drei Vorschläge: Medienanalyse und -Praxis sollten in der Schule gelehrt werden. "Es braucht ein eigenes Schulfach. Wie unterscheidet man Propaganda von Information?" Zweitens plädiert er für "staatlich abgesicherte Schutzzonen des unabhängigen Journalismus". Das sei gerade in Zeiten, "in denen man mit journalistischem Dreck sehr viel Geld verdienen kann", extrem wichtig. Drittens müssten de facto Monopole wie Facebook und Google zu Transparenz gezwungen werden. "Sie müssen ihre publizistische Verantwortung wahrnehmen." Konkret könnten etwa in einzelnen Ländern "Ombudsgremien" installiert werden. So ein Art "Plattformrat" könnte sich beispielsweise aus den Betreibern, Journalisten oder Wissenschaftern zusammensetzen und als Schiedsgericht fungieren.

Vom Journalismus erwartet er sich neben den essenziellen Rezepten wie Recherche und Transparenz auch eine Begegnung mit dem Publikum auf Augenhöhe. "Wir müssen medienmündig werden, weil wir selbst medienmächtig geworden sind, weil das gesellschaftliche Miteinander von einem Minimum an gesicherter Info lebt, weil sich das publizistische Machtgefüge dramatisch verschiebt."

"Österreich" und das "Nikoloverbot"

Wer über Facebook als Verbreitungsmaschine für Fake News redet, sollte auch über den heimischen Boulevard diskutieren, fand Autorin Ingrid Brodnig bei der anschließenden Diskussion über Journalismus und Digitalkompetenz. "Ein großer Teil der irreführenden Meldungen in Österreich kommt vom Boulevard." Als Beispiel erwähnt sie einen Artikel, der vergangen Dezember in "Österreich" erschienen ist und ein vermeintliches Nikoloverbot in einer Wiener Schule zum Thema hatte. "Über diesen Journalismus sollten wir reden." Und: "Wenn der Niki Fellner sagt, er möchte einfach die ORF-Inhalte ausstrahlen, läuft es mir kalt den Rücken runter."

Julia Wippersberg, Wissenschafterin an der Universität Wien, möchte mit der Verklärtheit aufräumen, dass früher alles besser war: "Menschen haben früher im Schnitt auch nicht drei Zeitungen pro Tag gelesen. Die Möglichkeiten, sich zu informieren, sind besser denn je, man muss es nur wollen." Möglicherweise hätte sich die Prioritäten bei Jugendlichen verschoben, aber: "Auch vor 20 Jahren haben sich nicht alle für Politik und Wirtschaft interessiert."

Mangelndes Interesse an politischen Themen kann Rainer Schüller, stellvertetender Chefredakteur des STANDARD, nicht erkennen: "Nimmt man Qualitätsjournalismus ernst, gewinnt man Vertrauen." Und: "Wir haben die meisten Leser seit der Gründung des Mediums." Ein Teil des Erfolgs und als Chance der Digitalisierung sieht er den Rückkanal: "User haben die Möglichkeit zu reagieren. Man muss das ernst nehmen, den Usern auf Augenhöhe zu begegnen", sagt Schüller. "Im Vorjahr hatten wir über neun Millionen Postings, im Schnitt sind es 28.000 Postings pro Tag." (omark, 8.6.2018)